Nach tödlichem Messerangriff auf Polizisten: Trauer und Wut unter Kollegen
Der Polizist, der am vergangenen Freitag von dem mutmaßlichen Islamisten Sulaiman A. (25) mit einem Messer schwerst am Kopf verletzt wurde, ist am Sonntag an den Folgen seiner Verletzungen gestorben.
Der 29-jährige Polizeioberkommissar Rouven L. war von den Ärzten schon vorher für Hirntod erklärt worden. Trotzdem blieb er noch stundenlang an einer Herz-Lungenmaschine angeschlossen, da er Organspender war. Am Sonntag wurden dann die Maschinen abgeschaltet. Wie unter anderem die „Bild“ schreibt, blieb das Herz des jungen Polizeibeamten um 17.03 Uhr stehen.
Deutschlandweite Trauer, Wut und Entsetzen prägt einen Tag nach dem Tod des Polizisten bundesweit die Stimmung im Land. Gegenüber der „Bild“ sagte Thomas R. J. Franz, Landesvorsitzender aus Baden-Württemberg der Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer Weißer Ring:
„Unser mutiger Polizist Rouven L. ist heute um 17.03 Uhr infolge seiner Verletzungen eines terroristischen Angriffs offiziell verstorben. Mein allertiefstes Mitgefühl seinen Angehörigen, seinen Freunden und allen Kolleginnen und Kollegen der Polizei.“
Schonungslos brutal, menschenverachtend und oft tödlich
Auch die „Deutsche Polizeigewerkschaft“ (DPolG) meldete sich am Sonntag mit einer Pressemitteilung zu Wort. So sagt ihr stellvertretender Bundesvorsitzender Ralf Kusterer, der auch Landesvorsitzende der DPolG Baden-Württemberg ist:
„Diese Tat macht uns tief betroffen. Wir sind nach wie vor mit unseren Gedanken bei dem Kollegen. Seit dem Angriff am Freitag-Vormittag erleben wir eine bundesweite Anteilnahme. Kolleginnen und Kollegen aus ganz Deutschland haben für den Kollegen gebetet und gehofft, dass die sicherlich hervorragende medizinische Versorgung im Großraum Mannheim und Heidelberg ein Wunder bewirken kann. Wir sind in den Gedanken bei der Familie des Kollegen, aber auch bei den Mannheimer Kolleginnen und Kollegen, die am Freitag wie an jedem Tag alles für die Sicherheit gegeben haben.“
Kritik übt Kusterer am momentanen gesellschaftlichen Klima: „Die Gewalt, die uns täglich begegnet, ist schonungslos brutal, menschenverachtend und oft tödlich“, resümiert der Polizeigewerkschafter. Es könne jede Bürgerin und jeden Bürger überall in Deutschland treffen. Viel zu oft seien aber Polizisten, Beschäftigte des öffentlichen Dienstes und die „Blaulichtfamilie“ betroffen. „Die Kampagnen gegen Hass und Hetze treffen oft nicht einmal im Ansatz die Probleme, die unsere Polizistinnen und Polizisten täglich erleben und leider ertragen müssen“, so Kusterer.
Deutschland hat sich verändert
Zur Wahrheit gehöre, dass „fanatische, ideologisierte und verblendete potenzielle Täter“ mit all den Thesen und Maßnahmen nicht erreicht werden. Sie seien aber eine ernst zu nehmende Gefahr. „Mit Diskussionen um Demokratie und Meinungsfreiheit erreicht man weder schuld- und deliktsunfähige Täter noch religiöse Fanatiker, deren Gedankenwelt uns völlig fremd und absurd erscheint.“
Es gehöre zur Realität, dass sich Deutschland verändert habe, so Kusterer. „Daran ändern weder die schöngerechneten Zahlen von Kriminalitätsstatistiken etwas, noch irgendwelche politischen Reden und die schönsten Polizeibilder, die im Grunde nur einen Schleier über die grausame Realität ziehen.“
Gewalt gegen Polizisten hat in den vergangenen Jahren deutlich zugelegt. Im November vergangenen Jahres veröffentlichte das Bundeskriminalamt (BKA) sein alljährlich veröffentlichtes Bundeslagebild „Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte“. Die damals veröffentlichten Zahlen bezogen sich auf das Jahr 2022. Demnach sind die registrierten Gewalttaten um 3.128 Fälle auf 42.777 gestiegen. Das entspricht einer Zunahme um 7,9 Prozent im Vergleich zum Jahr 2021.
Bilanz der Gewalt
Im Jahr 2022 entfielen 46,5 Prozent der Gewalttaten auf Widerstände gegen Vollstreckungsbeamte. Insgesamt wurden 48.980 Polizistinnen und Polizisten als Opfer solcher Übergriffe registriert, was einem Anstieg von 5,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht (2021: 46.410).
Besonders besorgniserregend ist auch der Anstieg der Tötungsdelikte. Die Anzahl dieser Delikte stieg von 30 im Jahr 2021 auf 37 im Jahr 2022. Im Gegensatz zum Vorjahr handelte es sich dabei nicht nur um versuchte Tötungsdelikte: Im Jahr 2022 wurde ein vollendeter Fall mit zwei Opfern registriert.
Die Mehrheit der Tatverdächtigen in diesen Fällen ist männlich (84,1 Prozent). Von den insgesamt 36.493 Tatverdächtigen hatten 25.494 die deutsche Staatsangehörigkeit, was einem Anteil von 69,9 Prozent entspricht. Nichtdeutsche Tatverdächtige machten 10.999 Fälle aus (2021: 9.949). Über zwei Drittel der Verdächtigen waren über 25 Jahre alt und handelten meist alleine. Ein beträchtlicher Anteil der Tatverdächtigen war bereits polizeibekannt (74,3 Prozent) und mehr als jeder Zweite stand zum Tatzeitpunkt unter Alkoholeinfluss.
Auch Einsatzkräfte der Feuerwehr und anderer Rettungsdienste blieben von dieser Gewaltwelle nicht verschont. Im Jahr 2022 wurden 650 Fälle registriert, in denen mindestens eine bei der Feuerwehr tätige Person betroffen war. Darüber hinaus wurden 1.920 Fälle verzeichnet, bei denen mindestens ein Mitglied der sonstigen Rettungskräfte Opfer von Gewalt wurde. Die Gesamtzahl der betroffenen Personen in diesen Gruppen belief sich auf 3.616. Diese Zahlen liegen jeweils deutlich über dem Niveau des Jahres 2021. Zahlen zu 2023 wurden bisher nicht veröffentlicht.
„Warme Worte“ der Politik helfen nicht
Patrick Seegers, Landesvorsitzender der Polizeigewerkschaft Niedersachsen kommentierte damals die Zahlen so:
„Es ist erschreckend, mit welchem Hass unsere Kolleginnen und Kollegen tagtäglich konfrontiert sind und umgehen müssen. Sie werden bespuckt, geschlagen, getreten, mit Flaschen, Steinen und Feuerwerkskörpern beworfen – all dies bei ihrem Einsatz für unsere Sicherheit.“
Dieses Lagebild verdeutliche, dass ein „gefahrengeneigter Beruf“ nicht nur durch „warme Worte der Politik, sondern auch durch Taten am Laufen gehalten werden muss.“ Sonst gebe es bald keinen Nachwuchs mehr.
Nach dem Tod des Polizisten Rouven L. wachsen Enttäuschung und Wut offenbar bei der Deutschen Polizeigewerkschaft. Markus Sehn, Polizeioberkommissar und Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft im Saarland, äußerte sich gegenüber der „Bild“ tief betroffen über den Tod des jungen Polizeikollegen aus Mannheim: „Als Polizeigewerkschaft sind wir zutiefst erschüttert über diesen Verlust. Neben der Fassungslosigkeit und Trauer verspüren wir jedoch auch Enttäuschung und Wut. Wir sind enttäuscht darüber, dass die Verrohung der Gesellschaft in ganz Deutschland und auch im Saarland zunimmt und die Politik seit Jahren nicht in der Lage ist, dieses Problem ernsthaft und nachhaltig anzugehen, die Ursachen zu erforschen und zu beseitigen.“
Niemand darf jetzt zur Tagesordnung übergehen
Ähnlich sieht es auch Jens Mohrherr, der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in Hessen: „Nach den zahlreichen Angriffen auf Polizisten in den vergangenen Jahren haben wir genug Sonntagsreden gehört. Es ist höchste Zeit, dass Politik und Justiz endlich wirksam reagieren. Die Justiz muss den bestehenden Strafrahmen voll ausschöpfen, um potentielle Täter abzuschrecken. Jeder Angriff auf die Polizei ist ein Angriff auf unseren Rechtsstaat.“
DPolG-Bundeschef Rainer Wendt erwartet nun politisches Handeln seitens der Verantwortlichen. Gegenüber der „Bild“ sagte Wendt:
„Unser Kollege ist in treuer, heldenhafter Pflichterfüllung ums Leben gekommen, unsere Trauer ist grenzenlos. Wir spüren aber auch Wut darüber, dass über solche fanatischen Zeitbomben, wie dieser Terrorist, der den Anschlag begangen hat, nicht klarer und ohne Denkverbote gesprochen und gehandelt wird. Jetzt darf niemand zur Tagesordnung übergehen!“
Auch die Kollegen des jungen Polizisten sind tief erschüttert. Am Sonntag fand am Tatort eine Trauerzeremonie statt, bei der die Kollegen des Verstorbenen gedachten. „Rouven war in den vergangenen Jahren stets an vorderster Front, wenn es brannte. Er gab immer sein Bestes und wurde deshalb gefördert. Er war engagiert und gradlinig. Es ist unfassbar, für uns, ihn verloren zu haben“, zitiert die „Bild“ die Polizisten, die mit dem Getöteten zusammengearbeitet hatten.
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