Nach erneuter Nicht-Wahl der AfD-Kandidatin: Kritik an „Ausgrenzung im Namen der Moral“
Im Ausland und in internationalen Gremien sind es nicht selten die deutschen Politiker und Diplomaten, die in besonders entschiedener Weise andere Länder mahnen, sich nach einer Ordnung zu richten, die auf Regeln beruhe. In eigener Sache hat man es damit am gestrigen Donnerstag (4. April) wieder einmal nicht ganz so genau genommen.
Bereits zum dritten Mal verweigerten 423 Abgeordnete der anderen Parteien der Kandidatin der Alternative für Deutschland (AfD), Mariana Harder-Kühnel, die Wahl ins Bundestagspräsidium, obwohl nach geltender Gesetzes- und Beschlusslage jeder Fraktion ein Platz in diesem Gremium zusteht.
Erster Kandidat wegen „islamfeindlicher Aussagen“ abgelehnt
Harder-Kühnel, die als moderat gilt, wurde von der AfD vorgeschlagen, nachdem die Bundestagsmehrheit den ursprünglichen Kandidaten der Partei, Alfred Glaser, mit der Begründung abgelehnt hatte, dieser habe sich durch „islamfeindliche“ Äußerungen für das Amt disqualifiziert. Von Harder-Kühnel sind keine Aussagen bekannt, die von Vertretern anderer Parteien oder Medien als vermeintlich zu radikal beanstandet worden wären.
Chefkommentator Jacques Schuster hat in der „Welt“ das Vorgehen der Parlamentsmehrheit kritisiert und dieser vorgeworfen, der Partei in die Hände zu spielen. Das Votum stehe „für das mangelnde Selbstvertrauen einer Vielzahl von Abgeordneten, die offenbar glauben, der Bundestag sei nicht gefestigt genug, in seinem Präsidium auch nur eine einzige Vertreterin der AfD zu ertragen – sei sie auch noch so gemäßigt“.
Vielmehr verhielten sich 423 Abgeordnete, die gegen die AfD-Kandidatin Mariana Harder-Kühnel gestimmt haben, „genau so, wie sie es den Rechtspopulisten seit ihrem Aufkommen vorwerfen: Sie grenzen aus. Nicht im Namen des Volkes, wie es die AfD tut, im Namen der Moral schließen sie einen Teil der Abgeordneten und damit auch die Bürger aus, die sie gewählt haben. Dabei halten sie sich noch für besonders vorbildliche Demokraten.“
Haben eigene Abgeordnete Harder-Kühnel die Stimme verweigert?
Indem sie einer Fraktion das verweigern, was ihr zustehe, obwohl das Grundgesetz eine solche Ungleichbehandlung verbiete, spielten sie der AfD in die Hände. Auch wenn es zutreffe, dass einige Strömungen in der Partei „die Verfassungsordnung so nicht akzeptieren oder sogar in grundlegenden Punkten revidieren wollen“, habe sie etwas bewegt, was zur Lebendigkeit der Demokratie beigetragen habe:
Seit die AfD im Bundestag ist, ist das Parlament wieder ein Marktplatz der Meinungen und ein genaueres Spiegelbild der Gesellschaft.“
Der „Spiegel“ hatte im Vorfeld der Abstimmung – ohne konkrete Namen zu nennen – kolportiert, es gäbe auch in der AfD-Fraktion selbst Widerstände gegen die Person Harder-Kühnels. Abgeordnete der eigenen Fraktion sollen demnach erklärt haben, die Kandidatin nicht wählen zu wollen. Diese sei, so soll geäußert worden sein, „mitnichten unabhängig“, sondern „eng verdrahtet“ mit dem „Flügel“, der nationalkonservativen Lobbygruppe innerhalb der Partei rund um den Thüringer Landesvorsitzenden Björn Höcke. Der Verfassungsschutz hatte den „Flügel“ als „Verdachtsfall“ hinsichtlich möglicher verfassungsfeindlicher Bestrebungen eingestuft.
„Spiegel“ versucht „Flügel“-Kontaktschuld zu konstruieren
Die Belege, die das Magazin für diese Behauptung präsentiert, bringen nicht viel an Substanz auf die Waage: So soll der Brandenburger Landeschef Andreas Kalbitz, ein prominenter Exponent des „Flügels“, im Bundesvorstand für sie geworben haben und einige weitere Politiker, die diesem zugeordnet werden, sich „für sie stark gemacht“ haben. Zudem bemühte der „Spiegel“ einige gemeinsame Veranstaltungs- und Fototermine mit Politikern und Akteuren innerhalb der AfD oder deren Umfeld, die aus seiner Sicht offenbar eine „Kontaktschuld“ begründen.
Aus der Presseabteilung hieß es dazu, dass die Abgeordnete „keine Berührungsängste“ in irgendeine Richtung innerhalb der Partei habe, aber keine Kandidatin des „Flügels“ sei. Der hessische Landesverband der AfD gilt auch tatsächlich nicht als Hochburg der Parteirechten.
Die Landesparteitage in jüngster Zeit wählten durchwegs Kandidaten in die Spitzenämter, die nicht dem „Flügel“ zuzuordnen sind. Der letzte Landesvorsitzende, der dem „Flügel“ zuzurechnen war, Peter Münch, hatte nicht erneut für das Amt kandidiert, nachdem er 2017 bei der Nominierungsversammlung für die Bundestagswahl gescheitert war. Diese hatte hingegen Harder-Kühnel mit deutlicher Mehrheit zur Spitzenkandidatin gewählt.
Ströbele: Wählerwille muss beachtet werden
In einem Interview mit dem „Deutschlandfunk“ hat nun auch der langjährige Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele die willkürlich wirkende Verweigerung des Präsidiumspostens für die AfD kritisiert:
„Und man muss da sehr vorsichtig sein, weil es natürlich nicht zweierlei Abgeordnete im Bundestag gibt, der eine hat mehr Rechte als der andere, oder die eine Fraktion hat mehr Rechte als die andere. Das kann so nicht sein, sondern da ist der Wille der Wählerinnen und Wähler maßgeblich. Die wollen, dass die AfD im Bundestag sitzt. Ich finde das nicht gut, aber ich muss das zur Kenntnis nehmen. Und deshalb muss man ihr grundsätzlich dort auch die parlamentarischen Rechte geben. Das fängt bei der Bezahlung an, aber das hört dann auch bei der Postenverteilung auf.“
Eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht könnte der AfD weiteren symbolischen Rückenwind verleihen – ein durchsetzbarer Anspruch auf die Wahl eines Vertreters ins Präsidium würde hingegen wahrscheinlich am Prinzip des freien Mandats scheitern.
Die AfD-Fraktion will nun jede Woche dem Bundestag einen neuen Kandidaten für den vakanten Sitz im Bundestagspräsidium präsentieren – unabhängig von den Erfolgsaussichten. Dass unter der damit zwangsläufig verbundenen Blockade der Sacharbeit das Ansehen des Parlaments weiter leiden könnte, fällt aus Sicht der Fraktion nicht wirklich ins Gewicht.
In der AfD und nicht nur dort herrscht die Meinung vor, dass die etablierten Parteien mit ihrer „Ausgrenzung im Namen der Moral“, wie Jacques Schuster es nennt, dem Parlamentarismus in Deutschland selbst am meisten geschadet hätten.
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