Nach Eilbeschluss gegen Lockdown Gütersloh: Experte sieht erhöhte Anforderungen an Corona-Verordnungen

Seit der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster gelten deutliche höhere Maßstäbe für zukünftige flächendeckende Lockdowns. Das Gericht hatte die zweite Corona-Regionalverordnung, die nach dem Corona-Ausbruch in Gütersloh verhängt wurde, als „voraussichtlich rechtswidrig“ bewertet.
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In Anlehnung an den Eilbeschluss des OVG Münster gelten nun deutlich höhere Anforderungen an flächendeckende Lockdowns.Foto: iStock
Epoch Times8. Juli 2020

„Insgesamt erschwert die Entscheidung des OVG Münster die Verhängung von flächendeckenden Lockdowns erheblich. Solche sind nur noch kurzfristig möglich, um einen Überblick über das Infektionsgeschehen im betreffenden Landkreis zu gewinnen“, sagte Josef Franz Lindner, geschäftsführender Direktor des Instituts für Bio-, Gesundheits- und Medizinrecht der Juristischen Fakultät an der Universität Augsburg, gegenüber „Welt“.

Demnach sei auch ein größeres lokales Ausbruchsgeschehen „allein grundsätzlich nicht geeignet“, damit längerfristige Lockdown-Maßnahmen für den gesamten Kreis verhängt werden.

Notwendig sei vielmehr die lokale Differenzierung nach Maßgabe des tatsächlichen, durch konkrete und valide Infektionszahlen belegten Infektionsgeschehens, betonte Lindner. Damit seien die Anforderungen für einen Lockdown im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit und das Gleichbehandlungsgebot „deutlich erhöht“ und die Differenzierungspflichten verschärft.

Der Medizinrechtler geht davon aus, dass innerhalb eines Landkreises für einzelne Bereiche, insbesondere Gemeinden, lokale Lockdowns zu verhängen sind, wenn dort vermehrt Infektionsfälle auftreten.

OVG Münster erlässt Eilbeschluss

In seinem Eilbeschluss vom 6. Juli hatte das Oberverwaltungsgericht Münster die für das Gebiet des Kreises Gütersloh geltende nordrhein-westfälische Corona-Verordnung vorläufig außer Vollzug gesetzt.

Nach einem Corona-Ausbruch im Schlachtbetrieb Tönnies in Rheda-Wiedenbrück im Kreis Gütersloh mit über 1.500 Infizierten hatte das Land Nordrhein-Westfalen eine erste Corona-Regionalverordnung erlassen. Diese sah zunächst befristet für die Dauer einer Woche weitreichende Kontaktbeschränkungen sowie Einschränkungen im Kultur- und Freizeitbereich für die Kreise Gütersloh und Warendorf vor.

Während die Maßnahmen betreffend den Kreis Warendorf mit Ablauf des 30. Juni 2020 ausgelaufen sind, hatte das Land diese hinsichtlich des Kreises Gütersloh mit einer zweiten Corona-Regionalverordnung für eine weitere Woche bis zum 7. Juli 2020 fortgeschrieben.

Der Eilantrag eines Bürgers aus dem Kreis Gütersloh gegen die erste Corona-Regionalverordnung blieb ohne Erfolg. Gegen die zweite Corona-Regionalverordnung hatte sich dann eine GmbH aus Oelde gewandt, die im Kreis Gütersloh unter anderem in Schloss Holte-Stukenbrock und Versmold Spielhallen betreibt.

Verhältnismäßigkeit und Gleichbehandlung auf dem Prüfstand

Diesem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat der 13. Senat entsprochen. Zur Begründung führte er an, dass die angegriffene Corona-Regionalverordnung nach der Prüfung im Eilverfahren „voraussichtlich rechtswidrig“ sei. Es sei nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht mehr mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem Gleichbehandlungsgrundsatz zu vereinbaren, dass sich ihr Geltungsbereich auf das gesamte Gebiet des Kreises Gütersloh erstrecke.

Zwar sei es zu Beginn des in Rheda-Wiedenbrück lokalisierten Ausbruchsgeschehens nicht zu beanstanden gewesen, dass der Verordnungsgeber für den gesamten Kreis kurzfristig strengere Schutzmaßnahmen als für andere Regionen Nordrhein-Westfalens ergriffen habe. So habe er Zeit für Aufklärungsmaßnahmen gewonnen, um anschließend auf belastbarer Grundlage über die weitere Vorgehensweise zu entscheiden können. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sei es jedoch möglich und erforderlich gewesen, eine differenziertere Regelung zu erlassen.

Laut den durchgeführten Massentestungen im Kreises Gütersloh variiert die Verteilung der bestätigten Neuinfektionen erheblich. Insbesondere in den im Norden und Osten des Kreises gelegenen Städten seien nur wenige Neuinfizierungen festgestellt worden.

Vor diesem Hintergrund sei „nicht (mehr) ersichtlich“, dass sich die dortige Gefährdungslage signifikant von derjenigen in anderen außerhalb des Kreisgebietes gelegenen Städten und Gemeinden vergleichbarer Größenordnung unterscheide.

Lauterbach (SPD) hält an Regelungen fest

Dass grundsätzlich Gerichte zu derartigen Belangen befragt würden, damit müssten Politiker leben, sagte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach im „ntv-Frühstart“.

Bezüglich der grundsätzlichen Regelung von Bund und Ländern, einen Lockdown durchzuführen, wenn es binnen sieben Tagen in einem Landkreis mehr als 50 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner gegeben hat, sieht der SPD-Politiker kein Problem. „Die Regel ist nicht vom Tisch. Die Regel ist ja nicht ganz grundsätzlich infrage gestellt worden“, sagte er.

Sein Fazit: „Ich glaube, dass man diese Gerichtsentscheidung, diese eine Entscheidung, die es hier gegeben hat, nicht überbewerten kann“. Wenn derartige Fälle auch an anderen Gerichten vorlägen, würden die Gerichte die Situation noch differenzierter betrachten und differenzierter entscheiden.

„Noch häufiger anzupassen und noch kleinteiliger die Landkreise abzuriegeln, das würde uns vom epidemischen Geschehen her zurückwerfen“, betonte Lauterbach. (pr/sua)



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