Berlin muss noch einmal wählen – den Bundestag

Corona, Marathon und schlechte Organisation: Der Wahltag in Berlin im September 2021 war von Pannen überschattet. Das Abgeordnetenhaus wurde schon neu gewählt. Nun geht es um die Bundestagswahl.
Das Bundesverfassungsgericht will heute verkünden, ob die Bundestagswahl 2021 in Berlin wiederholt werden muss.
Das Bundesverfassungsgericht will heute verkünden, ob die Bundestagswahl 2021 in Berlin wiederholt werden muss.Foto: Sebastian Gollnow/dpa
Epoch Times19. Dezember 2023

Stephan Bröchler war bei der Bundestagswahl 2021 noch nicht Landeswahlleiter in Berlin. Wie viele in der Hauptstadt stand er aber Schlange, um seine Stimme abzugeben.

Vor dem Bundesverfassungsgericht nannte er „schwere organisatorische Mängel“ als Grund dafür, dass nun eine Wiederholungswahl ansteht: die Wahl von 2021 muss wegen zahlreicher Pannen in 455 von 2256 Wahlbezirken des Landes Berlin wiederholt werden.

Das entschied das Bundesverfassungsgericht am Dienstag in Karlsruhe und ging damit über den Beschluss des Bundestags hinaus, der bereits im November 2022 eine teilweise Wiederholung beschlossen hatte. Die Teilwiederholung muss nun innerhalb von 60 Tagen stattfinden.

Was waren die Probleme?

Am 26. September 2021 – parallel zum Berlin-Marathon und inmitten der Corona-Pandemie – bildeten sich lange Warteschlangen vor Wahllokalen. Es gab zu wenige Wahlkabinen. Manche Stimmen wurden nach dem eigentlichen Wahlende um 18:00 Uhr abgegeben. Stimmzettel waren falsch oder fehlten gleich ganz.

Die Wahl wurde teilweise um mehr als 100 Minuten unterbrochen. Den Bundestag wählten am Ende Minderjährige mit sowie Menschen, die aus anderen Gründen dazu nicht berechtigt waren.

Welche Überlegungen zum Umfang der Wiederholungswahl gibt es?

Grundlage der Wahlprüfungsbeschwerde ist ein Beschluss des Bundestages vom 10. November 2022. Dieser hatte mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP – also den seit der Wahl regierenden Parteien – entschieden, dass die Wahl in 327 der 2256 Wahlbezirke der Hauptstadt sowie in 104 der 1507 Briefwahlbezirke wiederholt werden soll.

Die Unionsfraktion stützt ihre Klage unter anderem darauf, dass der Bundeswahlleiter die Wahl in sechs Wahlkreisen angefochten hatte. Der Bundestag hat die Wahl in diesen Wahlkreisen aber nicht insgesamt für ungültig erklärt. Daher fordern CDU und CSU eine Wiederholung in größerem Ausmaß, als in dem Beschluss vorgesehen ist.

Muss sich das Gericht bei der Entscheidung daran orientieren?

Nein. Die Richter des Zweiten Senats in Karlsruhe prüfen alle Unterlagen selbstständig auf Wahlfehler und sind frei in ihrer Entscheidung. Die Szenarien, auf sich Landeswahlleiter Bröchler einstellt, reichen von keiner bis zu einer vollständigen Wiederholung der Wahl.

Offen ist auch die Frage, ob die Abgabe der Zweitstimme – also für eine Partei beziehungsweise Gruppierung – ausreichen würde.

Welche Aspekte gilt es zu berücksichtigen?

In der Verhandlung im Juli ging es unter anderem darum, ob Menschen beeinflusst wurden, wenn sie nach 18:00 Uhr wählten und schon erste Prognosen zum Ausgang kannten. Diskutiert wurde, ob lange Wartezeiten an sich schon Wahlfehler seien. Fotos und Videos von Warteschlangen etwa in sozialen Netzwerken könnten vielleicht andere Menschen vom Wählen abgeschreckt haben.

Unklar ist, wie viele Nichtwähler wegen des Chaos nicht gewählt haben. Abwägen muss der Senat zudem zwischen dem Interesse an einer Korrektur des Wahlausgangs und der Frage, ob das gewählte Parlament Bestandsschutz genießt.

Wann würde neu gewählt?

Es gilt eine Frist von 60 Tagen nach dem Urteil. Wahlleiter Bröchler hatte schon vor geraumer Zeit den 11. Februar 2024 als denkbaren Termin genannt. Das ist der letzte Sonntag, bevor nach den Winterferien in Berlin die Schule wieder anfängt. Final ist das Datum aber noch nicht. Der Wahltermin muss im Amtsblatt verkündet werden.

Welches Wahlrecht gilt dann?

Genau dasselbe, das auch im ersten Durchlauf 2021 galt. Das Bundesverfassungsgericht hat erst vor kurzem entschieden, dass die zugrundeliegende Wahlrechtsreform von 2020 verfassungskonform war. Inzwischen wurde das Wahlgesetz zwar noch einmal reformiert. Das würde aber nicht bei der Wiederholungswahl angewendet.

Welche Folgen könnte eine Wiederholungswahl haben?

Es ist nicht davon auszugehen, dass sich die Machtverhältnisse im Bundestag komplett verschieben. Doch große Auswirkungen kann eine Wiederholungswahl auf die Linke haben.

Die Partei war 2021 auf unter fünf Prozent abgerutscht und durfte nur dank einer Ausnahmeregelung in den Bundestag einziehen: Weil drei ihrer Kandidaten Direktmandate erzielten. Gregor Gysis und Gesine Lötzschs Wahlkreise liegen in Berlin.

Wären sie von der Wiederholung betroffen und verlöre einer von beiden sein Mandat, wären alle Mandate der Linken hinfällig. Dass sich die Fraktion vor kurzem aufgelöst hat, spielt hierbei keine Rolle. Dritter im Bunde ist Sören Pellmann aus Leipzig.

Wurde die Wahl nicht längst wiederholt?

Nein. Infolge der Pannenwahl wurde lediglich jene zum Berliner Abgeordnetenhaus wiederholt. Der dortige Verfassungsgerichtshof hatte diese Wahl wegen „schwerer systemischer Mängel“ und zahlreicher Wahlfehler für ungültig erklärt. Am Ende löste eine schwarz-rote Koalition das Dreierbündnis von SPD, Grünen und Linken ab. (dpa/red)



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