Monatlich rund 1.000 Afghanen: Baerbock und Faeser einig über Aufnahmeprogramm
Die Bundesregierung hat nach langen Verhandlungen ein Aufnahmeprogramm für „besonders gefährdete“ Afghanen auf den Weg gebracht. Geplant sei, im Monat ca. 1.000 Afghanen mit ihren Familienangehörigen aufzunehmen, teilten Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Montag in Berlin mit.
Zielgruppe seien afghanische Staatsangehörige in Afghanistan, die sich durch ihren Einsatz für Frauen- und Menschenrechte oder durch ihre Tätigkeit in den Bereichen Justiz, Politik, Medien, Bildung, Kultur, Sport oder Wissenschaft „besonders exponiert haben“ und deshalb „individuell gefährdet“ seien.
Auch Personen, die „aufgrund ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität oder ihrer Religion“ eine sich aus den „besonderen Umständen des Einzelfalles“ ergebende spezifische Gewalt oder Verfolgung erfahren bzw. erfahren haben und deshalb „konkret und individuell gefährdet“ seien, zählen zur Zielgruppe. Außerdem zählen exponierte Vertreter religiöser Gruppen/Gemeinden dazu. Für das Programm kommen nur Menschen mit Aufenthalt in Afghanistan in Betracht.
Aufnahmekapazitäten „fest im Blick“
Bundesinnenministerin Faeser erklärte, Deutschland habe im EU-Vergleich mit Abstand die meisten Ortskräfte und besonders gefährdeten Afghanen aufgenommen. Zur Größenordnung der künftig geplanten Aufnahmen sagte sie: „Wir sehen die große Belastung der Kommunen durch die hohe Anzahl Geflüchteter, die wir in diesem Jahr bereits aufgenommen haben. Die Aufnahme- und Integrationsfähigkeit haben wir fest im Blick.“
Außenministerin Baerbock betonte, man stehe vor einer Mammutaufgabe. „Zu erklären, dass wir Menschen aufnehmen, ist das eine – dafür zu sorgen, dass sie dann auch sicher aus Afghanistan heraus nach Deutschland kommen können, das andere“.
Schwierigkeit bei der Auswahlentscheidung
Bei der Konzeption des Aufnahmeprogramms hatte die Bundesregierung mit mehreren Verbänden und Nichtregierungsorganisationen zusammengearbeitet. Da die deutschen Vertretungen in Afghanistan geschlossen sind, stellt die Sicherheitsüberprüfung der Menschen, die von dem Programm profitieren sollen, eine Herausforderung dar. Auch die in ähnlichen Fällen übliche Zusammenarbeit mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sei nicht möglich, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts.
Deshalb sollen unter anderem zivilgesellschaftliche Organisationen Menschen für die Aufnahme vorschlagen. Die Entscheidung trifft dann die Bundesregierung. Auswahlentscheidungen sollen in „regelmäßigen Abständen“ unter Zugrundelegung des aktuellen Datenbestandes stattfinden. Die meldeberechtigten Stellen sollen aber fortlaufend Vorschläge einbringen können.
Im Fokus sollen zu Beginn des Programms zunächst Personen stehen, zu denen die teilnehmenden Stellen bereits Informationen haben, hieß es aus den Ministerien. Es sei beabsichtigt, Möglichkeiten für neue Anmeldungen „in einer späteren Phase“ des Programms zu schaffen.
Bei der Berücksichtigung von Familienangehörigen komme eine Familiendefinition zur Anwendung, die „an die Lebensrealität vor Ort angepasst“ sei, hieß es weiter. Eine weitere Schwierigkeit ist für manche die Ausreise aus Afghanistan. Denn nur Menschen, die sich aktuell in Afghanistan aufhalten, sollen aufgenommen werden.
Grünen-Politiker: Gesamtzahl soll nicht begrenzt werden
Der Grünen-Politiker Julian Pahlke sagte: „Auch wenn jede einzelne Person zählt, die aufgenommen wird, hätte ich mir einen größeren Umfang gewünscht, der nicht in der Gesamtzahl begrenzt ist.“ Der Bundestagsabgeordnete forderte: „Es braucht eine Erweiterung des Programms auch für gefährdete Menschen, die bereits in die Nachbarstaaten geflohen sind.“
Die flucht-politische Sprecherin der Linksfraktion, Clara Bünger, nannte das Programm bürokratisch und unambitioniert. „Für viele Menschen, die in Afghanistan um ihr Leben und ihre Sicherheit bangen, wird es so absehbar noch Monate oder gar Jahre dauern, bis sie eine Aufnahmezusage für Deutschland bekommen können.“ Menschen würden sterben, während sie auf ihre Evakuierung warteten.
Kritik von der CSU: „Fatales Signal“
Die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz (CSU), kritisierte das Programm. Sie sagte, Deutschland erfülle seine Zusagen gegenüber denen, die sich für den deutschen Staat in Gefahr gebracht hätten und nach einer Gefährdungsanalyse akut bedroht seien. „Aber bei diesem Aufnahmeprogramm geht es um Personen, die wie Millionen andere Menschen auf der Welt auch bedroht sind.“
In der aktuell höchst angespannten Migrationslage sei dies ein „fatales Signal“ der Ampel-Regierung. Ihr Parteikollege, Bayerns Innenminister Joachim Hermann, der aktuell Vorsitzender der Innenministerkonferenz ist, sagte: „Der Bund betreibt unter dem Deckmantel der Humanität eine Migrationspolitik zulasten der Länder, Landkreise, Städte und Gemeinden.“
Dass die Außenministerin den Schutz von Frauen und Mädchen besonders in den Blick nehme, sei nachvollziehbar, kommentierte Pro Asyl. Die Organisation wies allerdings darauf hin: „Im Falle von Racheaktionen durch das Taliban-Regime ist zu berücksichtigen, dass überwiegend männliche Familienangehörige in dessen Visier geraten.“
Für die SPD-Fraktion räumte Helge Lindh ein, Deutschland könne „nicht Zufluchtsort für alle Afghaninnen und Afghanen werden“, die von den Taliban unterdrückt würden. Daher müsse den Menschen auch vor Ort geholfen werden.
Der genaue Zeitplan für die Umsetzung des Programms war zunächst unklar. Diese solle „zügig erfolgen“, hieß es lediglich. Aber auch bis das neue Programm in vollem Umfang läuft, sollten weiter Menschen nach Deutschland kommen können. (dl)
(Mit Material von Nachrichtenagenturen)
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