Mobbing, Gewalt und Polizeieinsätze – Berliner Vorzeigeschule in den Schlagzeilen

Die Friedrich-Bergius-Schule war einst Vorzeigebildungsstätte in der Hauptstadt. Mittlerweile fühlen sich jedoch die Lehrer von Schulbehörde und Bildungssenat alleingelassen. Sie beklagen „asoziales“ Verhalten bei den Schülern und eine gleichgültige Elternschaft. Andere sehen ein „kollektives Versagen von Schulaufsicht, Schule und Rechtsstaat“ und eine Mitursache im Berliner Schulsystem.
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Konflikte zwischen Schülern treten häufiger an der Schule auf. (Symbolbild)Foto: Egoitz Bengoetxea Iguaran/iStock
Von 18. Dezember 2024

In einem siebenseitigen Brandbrief beklagten sich vor einigen Wochen Lehrer einer einstigen Vorzeigeschule im beschaulichen, gut bürgerlichen Berliner Bezirk Friedenau über Mobbing, Gewalt und Polizeieinsätze. Die Elternschaft zeigte sich nach dem Schreiben stark beunruhigt, forderte Antworten und Veränderungen.

Da die Bezirksschulrätin Ute Lamprecht trotz Einladung der Gesamtelternvertretung zu einem aufgrund des Brandbriefes einberaumten Treffen Mitte Dezember in der Schule nicht erschien, eskalierte die Situation. Verschiedene Medien berichteten darüber.

Was war geschehen? Lehrer der Friedrich-Bergius-Schule in Berlin, einer Integrierten Sekundarschule mit rund 400 Schülern der 7. bis 10. Klasse, richteten sich mit einem Brandbrief im November an die zuständige Schulaufsicht des Bezirks Tempelhof-Schöneberg.

Darin beklagen sie „asoziales“ Verhalten und berichten von Schülern, die „die Ansprüche einer weiterführenden Schule in keiner Weise erfüllen können“. Die Lehrkräfte fordern darin unter anderem einen Pförtner, der das Schulschwänzen unterbinden soll, indem er die Schüler am unentschuldigten Verlassen des Schulgeländes hindert. Es vergehe „kein Tag ohne verbale Beleidigungen und Bedrohungen“, man sah sich „verstärkt gezwungen, die Polizei zur Schule zu rufen“, heißt es in dem Brief, den der „Tagesspiegel“ zur Gänze veröffentlicht hat.

Angriffe auf Mitschüler und Lehrer

Seit Ende der Corona-Zeit nehme man wahr, dass „die Erziehungsverantwortung der Eltern immer weniger dazu beiträgt, eine normale Beschulung unserer Schülerklientel zu ermöglichen“, heißt es im Brief der Lehrkräfte. Sie beschreiben die Schüler als „bildungsfern“, einige würden mit bis zu zehn Geschwistern aufwachsen, viele Eltern würden sich nicht um die Schullaufbahn der Kinder kümmern. Das Jugendamt reagiere kaum auf Meldungen seitens der Lehrer, berichten sie.

Der Brief berichtet von Schwierigkeiten, die das pünktliche Erscheinen der Schüler zum Unterricht betrifft. In den Pausen würden Schüler zudem problematisches Verhalten zeigen, wie das Werfen von vollen Wasserflaschen in eine Gruppe von Mitschülern, aber auch auf Lehrkräfte. Zudem würde mit Handys versucht, in die Toilettenkabinen hinein zu filmen.

An normalen Unterricht sei nicht zu denken. Die Klassenbucheinträge wegen Fehlverhaltens hätten sich bereits in den ersten 38 Tagen des neuen Schuljahres auf über 1.543 Einträge summiert, also 41 Einträge pro Tag. Hinzu kommen im gleichen Zeitraum 517 Besuche bei Sozialpädagogen.

Aufgrund der Situation sei jede dritte bis vierte Lehrkraft krankgeschrieben. Und die, die im Einsatz seien, müssten Probleme und Konflikte lösen, statt zu unterrichten. So gebe es laut dem Brief Schüler mit erteilten Hausverboten durch umliegende Geschäfte, Anwohnerklagen und Konflikte unter den Schülern.

Viele Schüler würden zudem aus Flüchtlingsfamilien kommen und würden kaum oder gar kein Deutsch sprechen. 70 Prozent der im Jahr 2023 aufgenommenen Siebtklässler würden zudem keine analogen Uhren mehr lesen können, gibt „Welt“ die Schulleitung wieder.

Rund 74 Prozent der Schüler an der Friedrich-Bergius-Schule sind deutsche Staatsbürger, über 83 Prozent allerdings mit nicht deutscher Herkunftssprache. Und die Schule ist mit 55 Prozent Jungen männlich dominiert, wie aus dem Schulprogramm hervorgeht.

Gestresste Lehrerin. Foto: nicoletaionescu/iStock

Kleinere Klassen, Schulpsychologin und mehr Personal

Die Lehrer fordern im Brief aufgrund der Zustände geteilten Unterricht und somit kleinere Klassen in den Prüfungsfächern Deutsch, Mathematik und Englisch. Dies bedeute, zusätzliche Lehrkräfte einzustellen.

Zudem brauche man eine eigene Schulpsychologin und mehr Personal für die Pausenaufsicht. Auch eine zweite nutzbare Sporthalle fehle, nachdem eine Halle vom naheliegenden Gymnasium übernommen wurde, heißt es.

Noch vor drei Jahren soll es an der Friedrich-Bergius-Schule ganz anders ausgesehen haben, berichtete „Welt“. Der damalige Schulleiter Michael Rudolph setzte auf Pünktlichkeit, Disziplin und Ordnung, er galt als härtester Schulleiter Berlins. Aus der unbeliebten Brennpunktschule sei unter ihm eine begehrte Sekundarschule geworden, berichtet das Medium weiter.

Dann ging Rudolph in den Ruhestand. Seitdem führt mit Andrea Mehrländer als Schulleiterin und Gesine Wegener als Konrektorin ein Frauengespann die Schule. Das war vor drei Jahren nicht der einzige Bruch, sondern auch in der Schulsozialarbeit gab es Veränderungen. So gab es dort einen Trägerwechsel. Nach jahrelanger Schulsozialarbeit an der Friedrich-Bergius-Schule zog sich das Nachbarschafts- und Selbsthilfezentrum in der ufafabrik e. V. von allen Berliner Oberschulen zurück.

Pädagoge: „Kollektives Versagen von Schulaufsicht, Schule und Rechtsstaat“

Für Prof. Olaf Köller, Co-Vorsitzender der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz, haben die Zustände an der Schule auch mit dem Berliner Schulsystem zu tun, erklärt er gegenüber der „Welt“.

Die Integrierten Sekundarschulen ohne Oberstufe würden besonders stark bildungsferne Schüler anziehen, „die, wenn überhaupt, den ersten Schulabschluss, mit großem Glück den mittleren Schulabschluss erreichen können“, zitiert das Medium Köller.

Sie kämen oft aus Familien, wo physische und verbale Gewalt akzeptierte Konfliktbewältigungsmittel seien. Zudem gebe es gerade bei den in den vergangenen Jahren nach Deutschland zugewanderten Jugendlichen Sprachprobleme, die ein erfolgreiches Unterrichten erschweren.

Die dadurch gesammelten Misserfolgserfahrungen brächten diese Schüler dazu, über Gewalt um Akzeptanz zu kämpfen.

Laut Köller seien klare Regeln für die Jugendlichen wichtig, wobei er auch Bußgelder fürs Schulschwänzen nennt. Programme zur gewaltfreien Schule und zur Sprachförderung inklusive Deutsch als Zweitsprache sollten an der Schule eingeführt werden.

Im konkreten Fall sieht er ein kollektives Versagen von Schulaufsicht, Schule und Rechtsstaat, „das zu dieser verheerenden Situation geführt hat“.

Potenzial der Schüler

Dass allerdings Potenzial in der Schülerschaft trotz der schwierigen Ausgangsbedingungen steckt, geht aus dem Schulprogramm hervor. Denn obwohl oftmals ein Migrationshintergrund in Verbindung mit Sprachschwierigkeiten besteht, konnten trotz der Corona-Krise seit dem Schuljahr 2020/21 durchgängig bis zum Schuljahr 2023/24 zwischen 35 und 53 Prozent der Schüler mit Mittlerer Reife (Realschulabschluss) eine Empfehlung zum Übergang in die gymnasiale Oberstufe erhalten.

Der ehemalige Schulleiter Rudolph erklärte gegenüber „Welt“, es mache ihn „traurig“, die jetzigen Schlagzeilen von der Schule zu lesen. Denn die Schüler seien im Kern kaum anders, als sie früher waren. Gewalt habe es schon immer an dieser Schule gegeben, genauso wie einen hohen Anteil an Schülern mit Migrationshintergrund.



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