Mit falschem Bart und Namen: Journalist schleicht sich in Berlins SPD ein

Eine Wallraffiade zog „Handelsblatt“-Redakteur Mathias Brüggmann über mehrere Jahre in Berlins SPD durch. Eine Wutrede gegen Franziska Giffey verriet ihn.
Regierende Bürgermeisterin von Berlin und Vorsitzende der Hauptstadt-SPD: Franziska Giffey.
Musste sich von „Matthias Brückmann“ harsche Kritik anhören: Berlins noch amtierende Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD).Foto: Omer Messinger/Getty Images
Von 17. März 2023

Zum Teil harsche Kritik musste Berlins SPD-Chefin Franziska Giffey am Samstag, 11. März, in Pankow über sich ergehen lassen. Medien berichteten, wie Vertreter der Parteibasis ihren Koalitionskurs mit der CDU kritisierten. Besonders scharf war die Wortmeldung des früheren Chefs und jetzigen stellvertretenden Vorsitzenden des Verbandes Winskiez-Kollwitzplatz, Matthias Brückmann.

Er warf Giffey vor, im Wahlkampf Wähler verschreckt zu haben. Nun habe sie sich „der CDU an den Hals geworfen“ und führe die Partei in einen sicheren Abstieg. Offenbar hätte er eine Fortsetzung des Linksbündnisses oder einen Gang in die Opposition bevorzugt, die ein schwarz-grünes Bündnis wahrscheinlich gemacht hätte. Mehrere Medien berichteten über den Auftritt Brückmanns.

Mittlerweile weiß man: Die vermeintliche „Stimme der Basis“ ist ein Journalist, der als „International Correspondent“ beim „Handelsblatt“ sein Geld verdient. Auch der Name war nicht authentisch: „Matthias Brückmann“ heißt real Mathias Brüggmann – und auch der Bart, den er bei seinen Auftritten in der SPD trug, war nicht echt.

Inkognito-Tätigkeit in der SPD seit mindestens sieben Jahren

Alfonso Pantisano, einem Beisitzer im Kreisvorstand, ging der Auftritt seines Genossen augenscheinlich zu weit. In einem WhatsApp-Chat weist er auf den falschen Bart hin. Er wirft Brüggmann vor, dieser würde „heute mit falschem Namen einen auf Wutbürger machen und nicht mit offenem Visier arbeiten“.

Seine Wallraffiade hatte Brüggmann offenbar bereits seit mehreren Jahren durchgezogen. Der „Tagesspiegel“ identifiziert ihn als einen von zwei Delegierten, die 2016 gegen die Spitzenkandidatur von Michael Müller gestimmt hatten. Daraufhin habe einer von ihnen „mit falschem Bart“ den Raum verlassen, hieß es damals.

Dem Mediendienst „kress“ zufolge soll Brüggmann auch getarnt als vermeintlicher Brexit-Anhänger ein Treffen der UKIP besucht haben. Agenturen zogen damals das Foto, das den vermeintlichen EU-Gegner zeigte, später zurück. Brüggmann rechtfertigte sich zu jener Zeit mit dem Wunsch, „möglichst nahe“ an „Großbritanniens größte EU-Hasser“ heranzukommen. Es sei ihm auch gelungen, „so an einige interessante Informationen“ zu gelangen. In weiterer Folge berichtete er über Personen, die angeblich ihr Votum für den Brexit bereuten.

Lob für die „Zeitenwende“-Politik der SPD

Über einige Zeit hinweg leitete Brüggmann als „Matthias Brückmann“ sogar die „SPD Abteilung 15″ im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Hauptberuflich waren die Niederungen der Lokalpolitik unterdessen nicht sein Hauptthema. Für das „Handelsblatt“ schrieb Brüggmann über das „verrohte Imperium“ Russland und den Kampfesmut der tapferen Ukrainer. Er analysierte die Chancen auf einen „Regime Change“ im Kreml und erläuterte, wie sich selbst langjährige außenpolitische Partner von Moskau abwendeten.

Anfang des Jahres verkündete Brüggmann das „überraschende Comeback der Demokratie“, das sich weltweit abzeichne. Gleichzeitig klagte er, dass man nach dem energiepolitischen Bruch mit Russland nun „Unrechtsstaaten“ zu möglichen Ersatzpartnern machen müsse. Immerhin hatte er für Polen dickes Lob übrig: Der östliche Nachbar zeige durch seine „klare Kante gegen Putin“, den er für einen „zweiten Stalin“ hält, „wie wertvoll es für Europa“ sein könne. Publiziert hatte er zudem über arabische Staaten.

In mehreren Fällen soll Brüggmann auch über die SPD berichtet haben. Fraktionschef Ralf Mützenich verlinkt auf seiner Website einen – nicht mehr verfügbaren – Artikel, an dem der Journalist mitgeschrieben hatte. Augenscheinlich wird darin Lob über die „Zeitenwende“-Politik der SPD und über deren Anti-Russland-Kurs laut. Im Jahr 2018 war Brüggmann zudem unter den Finalisten im Wettbewerb um den Deutschen Journalistenpreis.

Brüggmann bis auf Weiteres beurlaubt

Im „Handelsblatt“ ist man derweil über das Inkognito-Engagement seines Korrespondenten wenig erbaut. In einer Erklärung heißt es, Brüggmann sei vorerst beurlaubt, bis „die Zusammenhänge lückenlos geklärt“ seien. Der Chefredaktion sei auch „das politische Amt von Handelsblatt-Redakteur Mathias Brüggmann nicht bekannt“ gewesen.

Eine Kommission soll nun Brüggmanns Texte untersuchen, „ob sie unserem Anspruch an redaktionelle Unabhängigkeit gerecht geworden sind“. Von Brüggmann selbst gibt es bislang keine Stellungnahme zu den Berichten über seine Person.

Infiltrationen von Parteien durch Journalisten bislang eher auf der Rechten üblich

Vermeintliche oder tatsächliche Undercover-Recherchen von Journalisten in politischen Parteien betrafen in Deutschland bislang eher rechte Formationen. Im Jahr 1989 hatte sich etwa der Kölner Journalist Michael Schomers als „Theodor Schomers“ bei den Republikanern eingeschlichen. Ein Jahr später veröffentlichte er darüber sein Buch „Deutschland ganz rechts“.

Im Jahr 2018 trat Hinrich Lührssen, der unter anderem für das NDR-Magazin „buten un binnen“ und für RTL tätig war, der AfD bei. Er meldete umgehend nach seinem Eintritt Ambitionen auf eine Spitzenkandidatur bei der Bürgerschaftswahl an. Als seine politische Karriere in der Partei nicht nach seinen Vorstellungen verlief, wechselte er zur rechten Konkurrenz „Bürger in Wut“ (BIW).

Mittlerweile verließ Lührssen auch diese Gruppierung und erklärte, er sei lediglich zu Recherchezwecken in den beiden Rechtsparteien aktiv geworden. Im Jahr 2021 veröffentlichte er das Buch „Undercover in der AfD: Eingeschleust und aufgedeckt – was wirklich in der AfD passiert“.

Ob es auch von Mathias Brüggmann ein Enthüllungsbuch über das Innenleben der Berliner SPD geben wird, ist bis dato nicht bekannt. Die Affäre könnte allerdings – ähnlich wie die Enthüllungen über den Ex-„Spiegel“-Mitarbeiter Claas Relotius – das zuletzt schon angeknackste Vertrauen in deutsche Medien weiter belasten.



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