Mit 240 Stimmenthaltungen: Bundestag beschließt Einführung eines inklusiven Wahlrechts
Der Bundestag hat am Freitag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen einen Antrag zur Einführung eines inklusiven Wahlrechts beschlossen. Demnach sollen auch Menschen, die unter vollständiger Betreuung stehen, an Wahlen teilnehmen dürfen. Für die Europawahl am 26. Mai soll die Neuregelung allerdings noch nicht gelten. FDP, Linke und Grüne warfen der Koalition vor, viel zu spät zu handeln.
In namentlicher Abstimmung votierten 345 Abgeordnete für den Koalitionsantrag, die bisherigen Ausschlüsse von Menschen mit Behinderungen im Bundeswahlgesetz und Europawahlgesetz zu streichen. 240 Parlamentarier enthielten sich, es gab keine Nein-Stimmen.
Ein gemeinsamer Gesetzentwurf von Grünen und Linken, der unter anderem noch die Teilnahme an der Europawahl erreichen wollte, erhielt mit 170 Stimmen keine Mehrheit. Ein FDP-Gesetzentwurf erreichte ebenfalls 170 Stimmen.
Die Koalitionsfraktionen werden nach Angaben des zuständigen SPD-Berichterstatters Matthias Bartke in den nächsten Wochen ein Gesetz vorlegen, das am 1. Juli in Kraft treten soll. Die geplante Neuregelung betrifft nach Angaben von Parlamentariern 80.000 bis 85.000 Menschen.
Inklusives Wahlrecht und Wahlassistenz
Bisher dürfen Menschen, die unter Vollbetreuung stehen, sowie psychisch Kranke, die sich im Maßregelvollzug befinden, nicht an Wahlen auf Bundesebene teilnehmen. Beides hatte das Bundesverfassungsgericht Anfang des Jahres für rechtswidrig erklärt.
Auf die Einführung des inklusiven Wahlrechts hatten sich Union und SPD auch im Koalitionsvertrag verständigt, sie rangen aber bisher um die konkrete Ausgestaltung. Mit der Neuregelung sollen auch Möglichkeiten einer Wahlrechtsassistenz für Menschen mit Behinderung geschaffen werden.
Der FDP-Abgeordnete Jens Beeck kritisierte, das Thema stehe seit 30 Jahren im Raum, „und trotzdem bestehen die Wahlrechtsausschlüsse bis heute“. Der Linken-Abgeordnete Sören Pellmann warf der Koalition vor, sie habe mit ihrer „Verzögerungstaktik“ die Teilnahme von Menschen mit Behinderungen bereits an der Europawahl verhindert.
Die Grünen-Abgeordnete Corinna Rüffer sprach von einem „erbärmlichen Trauerspiel“. Ohne die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts „wäre überhaupt nichts passiert“, sagte sie. (afp)
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