Als Hauptdarsteller der RTL2-Serie „Privatdetektive im Einsatz“ lernten viele Menschen Carsten Stahl kennen und schätzen. Durchtrainiert, tätowiert, authentisch, so erscheint er auch im täglichen Leben. Authentisch ist er durch das, was er erlebt hat.
Als Junge wuchs Carsten Stahl im Berliner Bezirk Neukölln auf, berüchtigt durch Kriminalität, Drogenhandel und Ansiedlung von "Clans". Er wurde in seiner Schule als Zehnjähriger Opfer gewalttätigen Mobbings, und das jahrelang. Er weiß, wovon er spricht, und wovor er jetzt seine und andere Kinder bewahren will.
Seit acht Jahren ist er mit Veranstaltungen für Kinder, Eltern und Lehrer unterwegs. Er redet in Augenhöhe mit ihnen und erreicht die Herzen der Kinder. Tausende handgeschriebene Briefe, Fotos, Mails hat er schon bekommen. Er kontaktiert Politiker und rückt auch Richtern auf "die Pelle", damit Täter ihren Taten entsprechend bestraft werden. Rechtzeitig, ehe sie zu Serientätern werden.
"Was ist los in diesem Land," fragt er laut und deutlich, "dass alle wegschauen?" Er gründete die Organisation Camp Stahl, mit der er in allen Social-Media-Kanälen zu finden ist. Er macht den Mund auf, ist erreichbar und er hilft mit Herz und Verstand. Die Epoch Times sprach anlässlich des Tages gegen das Mobbing, 23. Februar, mit dem Experten.
Epoch Times: Meine Damen und Herren, wir begrüßen Sie im Epoch Times Büro. Wir haben heute wieder einen besonderen Gast, und zwar Herrn Carsten Stahl. Herr Stahl, Sie sind bekannt wie ein bunter Hund, sagt man in Berlin. Aber Sie waren noch nie bei uns, und wir freuen uns, dass Sie gleich zu einem Gespräch gekommen sind. Gestern war nämlich der Tag gegen das Mobbing. Und vielleicht erzählen Sie ein bisschen, was Sie damit zu tun haben.
Carsten Stahl: Ja, gestern war der Internationale Tag: ‚Behaupte dich gegen Mobbing' und ich habe oder mache seit acht Jahren nichts anderes. Also ich mache acht Jahre ‚Behaupte dich gegen Mobbing‘.
ET: In welcher Form?
Stahl: Ja, also angefangen hat alles damit, dass mein eigener Sohn nach zwei Tagen Grundschule - Samstag eingeschult, Montag erster Schultag, Dienstag zweiter Schultag - nach Hause kam und von vier Jungs an seiner neuen Schule zusammengeschlagen wurde. Blutige Nase, blutige Lippe, ein weinender, fünfeinhalb Jahre alter Junge lag in meinen Armen und bat mich, nie wieder zur Schule zu müssen.
Und das hat etwas in mir ausgelöst. Heute sagt man, das hat mich getriggert. Es hat mir aufgezeigt, dass sich in den letzten Jahrzehnten nichts, aber absolut gar nichts verändert hat.
Denn wenn man triggert, erinnert das einen an sich selbst oder andere Dinge. Hier hat es sich sofort an mich selbst erinnert. Denn ich war auch mal ein zehnjähriger kleiner Junge, etwas kleiner, dicker und schmächtiger, mit vielen Sommersprossen, der in seiner Klasse immer als Dicky, Speckie Bulettie bezeichnet wurde. Das fand ich nicht schön.
Aber na ja, ich war ja dick, er hatte ja recht. Aber an dieser Schule gab es auch fünf Jungs, die das Sagen hatten. Sie waren sportlich, größer, kräftiger und zwischen 13 und 15 Jahre alt.
Und die haben andere und ganz besonders mich gehänselt. Da gab es den Begriff Mobbing nicht. Mobbing beinhaltet fünf Grundpfeiler: Lästern, beleidigen, schlagen und treten, Sachen kaputt machen und auslachen. Das sind fünf Grundsäulen von Mobbing. Mobbing bedeutet ausgegrenzt, ausgeschlossen, isoliert zu werden und nicht dazuzugehören.
Dieses Gefühl hatte ich damals schon. Mobbing gab es schon immer. War schon immer ein Geschwür unserer Gesellschaft. Aber noch nie so schlimm wie jetzt. Bei mir war es so schlimm, dass ich mich umbringen wollte, als ich zehn war.
Man hat mich monatelang gemobbt. Der schlimmste Moment, den ich nie vergessen habe, war von diesen fünf Jungs in eine Grube gestoßen zu werden, drei Meter tief. Ich habe mir die Rippen gebrochen und bin mit dem Kopf auf dem harten Lehmboden aufgeschlagen, so dass er aufplatzte.
Ich habe hier eine Narbe. Aus meinem Kopf kam Blut. Ich war benommen. Ich konnte kaum atmen oder schreien. Aber was ich nie vergessen werde, ist, dass sich die Jungs um die Grube gestellt und mich beleidigt haben. ‚Bastard, Hurensohn‘.
Alles Dinge, die schon damals gesagt wurden, die heute normal sind. Und dann haben sie etwas getan, was ich ebenfalls nie vergessen werde. Der 15-Jährige, der Anführer, der das Sagen hatte, hat angefangen auf mich herunter zu pinkeln. Und dann haben sie zu fünft auf mich herunter gepinkelt. Auf den kleinen, weinenden Jungen, der hilflos in einer Grube lag.
Dann sind sie weggegangen und haben mich dort blutend, gedemütigt, erniedrigt, zurückgelassen. Ich hätte schreien können. Es war Spätherbst, kurz vor meinem Geburtstag. Hab ich aber nicht, denn ich war monatelang drangsaliert, getreten, misshandelt, erpresst, genötigt worden.
Jetzt fragt sich jeder: Warum hast du es denn nicht deiner Mutter, deinem Vater oder den Lehrern erzählt. Man hat Scham und Angst. Und man bekommt gesagt: ‚Wenn du es sagst, wird es noch schlimmer‘. In meinem Fall hieß es, ‚wenn du das deinen Eltern sagst, schneiden wir deiner Mutter die Kehle durch‘. Das macht etwas mit einem Kind, einem zehnjährigen Jungen.
Ich habe meine Eltern bestohlen, um mich freizukaufen. Dann haben sie mich erstmal im Ruhe gelassen. Wenn es zu wenig war, haben sie mich weiter verprügelt, mich in Mülltonnen gesteckt, mich ausgezogen, mich gedemütigt, meine Sachen kaputt gemacht.
Aber dieser Moment, als sie mich in die Grube gestoßen haben, das war der Moment, wo ich nicht mehr geschrien habe. Und ich bin eingeschlafen. Eigentlich bin ich ins Koma gefallen, hat man mir später gesagt.
Und vier Tage später bin ich aus dem Koma aufgewacht. Hätte mich an dem Abend nicht ein alter Mann um 22 Uhr 30 gefunden - es war sehr kalt und spät - wäre ich verblutet. Er hat den Krankenwagen gerufen und sie haben mich ins Krankenhaus gefahren. Ich habe Bluttransfusionen bekommen und bin nach vier Tagen aus dem Koma – künstlichen Koma – erwacht.
Man hat mich gefragt: ‚Carsten, was ist passiert?‘ Und selbst im Krankenhaus habe ich gelogen. Ich habe gesagt, ich hab gespielt und bin da reingefallen. Weil ich Angst hatte, dass es schlimmer wird, ich Angst hatte, sie tun meiner Mutter was.
Mobbing wird ausgelöst durch die Gruppendynamik und den Gruppenzwang, weil man dazugehören will.“
Ich habe mein Wissen nicht aus Büchern. Ich habe nicht studiert. Ich habe Mobbing er- und überlebt. Ich weiß, wovon ich rede, weil ich es durchgemacht habe.
Heute trete ich in Deutschland und weltweit am lautesten gegen Mobbing auf. Ich bekämpfe Mobbing mit allen Möglichkeiten, die mir zur Verfügung stehen. Aber das Wichtigste, was ich habe, ist die Erfahrung, die Authentizität.
Alle Schüler in Deutschland kennen mich, weil ich durch einen Witz, durch eine Verkettung bestimmter Dinge ins Fernsehen kam und eine sehr bekannte, sehr beliebte Fernsehsendung hatte, die ich Jahre lang betrieben habe. Irgendwann habe ich gemerkt, dass wir mehr für die Kinder tun müssen, als sie abzulenken und mit einer Show zu berieseln, in der ich ein Actionheld war.
Lasst uns doch mal helfen. Lasst uns doch mal wirklich was tun. 'Nein, es läuft für uns. Wir verdienen damit Geld.' Ja ihr, aber ich möchte mehr. Es geht nicht um Geld. Es geht um Verantwortung. 'Ja, machen wir irgendwann.'
Nee, ich tue es jetzt. Was mir mein Herz sagt.
‚Sigue tu destino‘ im Spanischen heißt: Folge deiner Bestimmung. Und meine Bestimmung war, meinem Sohn zu helfen, weil ich wusste, wo Mobbing hinführt.“
Man wird zum Opfer, zerbricht daran oder man macht mit, andere zu zerstören und lacht mit. Der Übergang zum Täter ist meist fließend. Dann zerbrichst du daran. Ich wollte das für meinen Sohn nicht. Also hab ich mich aufgebäumt und hab der Schulleitung gesagt:
Ich will, dass hier was passiert. Das einzige, was die Schulleitung gesagt hat, war: ‚Wir müssen erst mal gucken, was ihr Sohn gemacht hat.‘“
Die haben mich übrigens nicht gefragt, wie alt mein Sohn ist oder seit wann er in der Schule ist. Ich war aber zu der Zeit schon sehr bekannt und habe gesagt: ‚Naja, wissen Sie, Herr Direktor. Ich weiß, was das bedeutet. Ich weiß nicht, was mich mehr schockiert. Ihre Antwort, die aus dem Nichts kommt, oder die Tatsache, dass Sie das nicht zum ersten Mal machen. Weil, das hat System, was Sie sagen.‘ Und dann hab ich gesagt: ‚Was gucken Sie lieber? ARD, ZDF, Sat 1, RTL? Was schauen Sie am liebsten? Und die stehen morgen da vor der Tür und ich mache Sie zu der berühmtesten Schule in Deutschland.‘“
Und dann habe ich etwas gespürt, was ich jetzt bei Politikern spüre. Die Angst vor der öffentlichen Wahrnehmung. Dann hat der Mann mir schon wieder leidgetan, weil er mir nämlich gesagt hat:
‚Herr Stahl, wir werden im Stich gelassen. Wir sind doch nur ganz unten. Wenn wir sagen, wir haben Probleme, kriegen wir das als Schulleiter ab. Wir werden zum Schweigen verdonnert.
Wenn wir was sagen, dann bekommen wir Repressalien. Die Schulen, die Gewalt melden, stehen schlechter da als die, die sie nicht melden, die sie verschweigen.‘“
Also bin ich zu Frau Sandra Scheeres [Senatorin für Bildung, Jugend und Familie in Berlin] hingegangen, wie er mir empfohlen hat. Dort hat man mich nur mit großen Augen angeguckt und mich gefragt, was ich mir eigentlich einbilde. Ich dürfe mich nicht für Kinder einsetzen. Das gehe mich nichts an. Ich bin kein Pädagoge. Ich habe da heute noch E-Mail-Verläufe.
Wissen Sie, wenn Sie einem Neuköllner Jungen sagen, dass er das nicht tun darf, was er gerade tut, dann wird der Neuköllner Junge wahrscheinlich die Hände heben und ihnen den Finger zeigen. Was meine Kinder betrifft, bestimme ich, was ich darf und was nicht.
Dann habe ich angefangen, in der Politik zum Thema Mobbing zu mobilisieren. In Berlin hat man versucht, mich zu blockieren. Das versucht man heute noch. Da ich aber bundesweit durch meine Fernsehsendung bekannt war, habe ich bundesweit angefangen, Seminare an Schulen zu halten, in kleineren und größeren Gruppen. Und jetzt kommen wir zum heutigen Tag.
ET: Jetzt? Gerne.
Stahl: 80.000 Schüler hatte ich bisher in über 230 Schulen. Ich habe die Kampagne Stopp Mobbing ins Leben gerufen und das Bündnis Kinderschutz, bringe Gesetze mit auf den Weg, spreche in Landtagen, spreche im Bundestag und zeige Fernsehsender an, die Mobbing fördern. Komiker, die komisch sein wollen, so wie Oliver Pocher.
Ich bin ein Gewissen für viele Millionen von Menschen. Wir machen Videos, die Millionen von Menschen erreichen. Ich will die Gesellschaft sensibilisieren, dass Mobbing gefährlich ist und dass wir die Kinder schützen müssen. Kinderschutz geht uns alle an. Das ist eine Verantwortung.
Die Moral einer Gesellschaft zeigt sich in dem, was sie für ihre Kinder tut.“
Das sagte Dietrich Bonhoeffer. Und wenn Menschen, die dafür gestorben sind, dass sie das gesagt haben und zwar in einer Zeit, wo unser Land in Schutt und Asche lag, dann sollten wir das heute respektieren.
Hätten wir vor 25 Jahren Leute Mobbing schon ernster genommen, würden heute keine Kinder sterben. Während wir beide hier sprechen, überlegen sich gerade fünf bis sechs Kinder, sich morgen das Leben zu nehmen. Eins wird es schaffen. Die anderen werden mit schwersten Behinderungen und Traumata in Kliniken kommen. Das war vor Corona. Jetzt haben wir das mal drei.
ET: Ist Mobbing denn schlimmer geworden, Herr Stahl? Was hat sich denn verändert?
Stahl: Wir haben es digitalisiert. Es gibt keinen Unterschied beim Mobbing mehr, ob es in einer Ecke in Oberammergau, Flensburg, Berlin oder sonst wo stattfindet. Der einzige Unterschied ist, dass die Form des körperlichen Mobbings in Berlin-Kreuzberg oder in anderen Brennpunkten wie Frankfurt höher ist als meinetwegen in Zehlendorf.
In den letzten zehn Jahren hat die Gewalt der Mädchen extrem zugenommen. Die Gewaltvideos, die gefilmt und ins Netz gestellt werden, sind meistens von Mädchen. Die Jungs sind meistens nicht so naiv, dass sie sich dabei filmen. Es ist ein ganz, ganz gefährlicher Trend. Ich habe der „Süddeutschen Zeitung“ damals gesagt:
Mobbing ist ein Geschwür unserer Gesellschaft. Es zerfrisst alle sozialen Schichten.“
Mobbing kann jeden treffen. So wie jetzt. Kasia Lenhardt, 25 Jahre, Berlinerin, tot, weil Menschen im Netz und in den Medien sie zerrissen haben. Weil sie der Meinung waren, eine private Beziehung zwischen einem berühmten Fußballer, Jerome Boateng und Kasia Lenhardt, ausschlachten zu müssen.
Und weil ein Jerome Boateng vielleicht aus Wut, aus Unwissenheit, aus Dummheit, aus Naivität der Meinung war, den Schneeball von der Lawine losrollen zu müssen und jetzt ist sie tot. Wenn sieben Millionen Follower, die er allein hatte, bei Instagram und, und, und ... auf eine Frau, eine Mutter einschlagen ... Jeder macht Fehler, auch in einer Beziehung.
Aber dreckige Wäsche sollte man nicht öffentlich waschen. Ich bin auch ein Vorbild von Millionen von Menschen, genau wie Boateng. Ich würde so etwas nie tun. Ich habe das Recht, ihm das zu sagen und habe ihm in Videos gesagt: ‚Du hast es losgetreten, wissend oder unwissend. Du warst 15 Monate mit dieser Frau zusammen.
Du hattest ihren Sohn auf dem Arm. Hast du mit ihm gespielt? Dieser Sohn hat seine Mama verloren. Übernimm deine Verantwortung als Vorbild! Dich kostet das ein Fingerschnippen. Du hast 30 Millionen Euro. Lege einen Fonds an für dieses Kind, dass er bis zum 18. Lebensjahr keine finanziellen Sorgen hat. Das ist deine Pflicht. Du bist daran mit schuld, dass das passiert ist.‘
Und wer ist noch daran schuld? Zweiundachtzig Komma sechs Millionen Menschen allein in Deutschland, weil sie Mobbing nicht ernst nehmen. Weil sie wegsehen. Weil sie mitmachen, weil sie mitlachen.“
Weil sie nicht Stopp sagen, weil sie der Politik weiter zugestehen, nichts zu tun. Dabei mache ich nicht mehr mit. Schon seit acht Jahren nicht. Ich bin unbequem und so nennt man mich Mister Unbequem. Warum? Weil ich mir erlaube, die Wahrheit zu sagen? Was hat Fontane gesagt?
Wenn man die Wahrheit nicht bekämpfen kann, bekämpft man den, der die Wahrheit sagt, damit er unglaubwürdig wird.“
Kommt mir ganz stark bekannt vor. Gerade in diesen Tagen kommt mir das ganz bekannt vor.
Übrigens, ich bin kein Aluhutträger, kein Verschwörungstheoretiker, einfach nur ein Vater, Bürger, der nicht dumm ist und der sieht, was passiert. Und ich bin nur zwei Menschen gegenüber verantwortlich. Einer ist 12, die andere ist 10 und für die würde ich mein Leben geben. Das sollte jeder wirklich ernst nehmen. Ich kämpfe für meine Kinder und wenn ihr das verhindern wollt, dann müsst ihr euch schon die Mühe machen, mir gegenüber zu stehen.
Ich kann meine Vergangenheit nicht ändern. Ich bin, der ich bin. Mir geht das Erlebte nicht mehr aus dem Kopf. Aber es ist meine Pflicht als Bürger, Vater, als Vorbild dabei zu helfen, dass es für die Kinder von heute besser wird.
Kinder sterben jeden Tag in diesem Lockdown, jeden Tag. Kinder sterben wegen Mobbing an den Schulen. Ich war auf acht Beerdigungen, hab vier Mahnwachen gemacht. Ich bin in Gerichtssälen, wenn Menschen, die Kinder missbraucht und getötet haben, da sitzen und auf ein milderes Urteil hoffen. Ich bin da, wo es weh tut. Ich sitze mit meinem Arsch nicht im Bundestag und habe eine große Klappe mit nichts dahinter. Betrifft nicht alle, aber sehr viele. Reden können sie alle. Leistung bringen tun nur die wenigsten.
Ich brauche oder wir brauchen einen Mann wie Helmut Schmidt. Einen Krisenmanager mit Charisma. Mit Charakter. Hat er nicht gesagt,
In der Krise zeigt sich die wahre Stärke und der wahre Charakter eines Menschen.“
Oh ja, gerade jetzt sieht man, dass es kaum Politiker oder Menschen mit Charakter gibt. Wo sind sie denn, die ganzen Promis? Alle verstecken sie sich. Schönwetter-Geister. Das ist traurig. Gestern war der ‚Behauptet euch gegen Mobbing-Tag‘. Das Jahr hat 365 Tage, 24 Stunden. 7 Tage die Woche leiden Kinder unter Mobbing. Wow. Tut weh, wenn man das alles, so hört? Das ist die Wahrheit. Die blanke, traurige Realität in Deutschland 2021.
ET: Dafür sind wir da, die Wahrheit auch weiter zu verbreiten, nicht wahr? Deswegen haben wir Sie eingeladen. Inzwischen nennt man das jetzt Hate Speech. Auf Englisch, um es ein bisschen eleganter zu machen. Erträglicher. Es ist nicht erträglich. Es ist tödlich. Wie sind Ihre Verbindungen in andere Länder?
Stahl: Ja. Wir haben ja nicht nur Stopp Mobbing gegründet, sondern gleichzeitig auch Stop Bullying. Ich habe das gleiche auch mit Stop Bullying gemacht, weil ich schon weitergedacht habe, wenn das größer wird. Es gibt Menschen mit Visionen, die weit über den Tellerrand hinaus sehen können. Also den Teller, den ich habe, den kann man nicht in ein Fußballfeld stellen. Manche haben ja bloß so einen kleinen Tellerrand und schauen nur etwas darüber. Besonders die Verantwortlichen in unserem Land und da habe ich natürlich vorausgedacht, habe gesagt:
Na ja, wenn das denn funktioniert, kommen vielleicht auch andere Länder, die wollen daran partizipieren, das Wissen übertragen, mitnehmen.“
Ich habe Kontakte nach Österreich und in die Schweiz, da bin ich bekannt, aber auch nach Griechenland und Holland.
Wir sollten uns ein Beispiel an den skandinavischen Ländern nehmen, besonders an Dänemark. Es ist ein kleines Land, aber sie haben es geschafft, Mobbing mit geeigneten Maßnahmen einzudämmen, mit Offenheit und Ehrlichkeit. Man wird es nie komplett bekämpfen können.
Es so ist so wie mit der Grippe. Die Grippe haben wir vollkommen in den Griff gekriegt, die gibt's ja nicht mehr. Ja, aber vielleicht haben wir sie auch nur umetikettiert, ich weiß nicht.
Aber entscheidend ist: Man kann verändern, wenn man will. Was in Dänemark funktioniert, geht auch in Deutschland. Aber man muss Maßnahmen treffen. Und genau da setzen wir an. Wir haben damals an alle Familien-, Kultusminister und Bildungsminister eine Petition gesendet, einschließlich unserer Familienministerin. Mit Anwälten haben wir zusammen überlegt, was man ändern kann. Wo muss man ansetzen?
Schauen Sie mal, wir haben in Deutschland an allen 32.000 Schulen, wenn der Schulbetrieb läuft, jede Woche 500.000 bis eine Million Fälle von Mobbing, Gewalt, Hass und Vorurteilen, übrigens ohne Cybermobbing. Das kommt noch obendrauf.
Die Hälfte aller Schulleiter in Deutschland sagt heute noch: An unserer Schule gibt es keine Probleme, kein Mobbing, keine Drogen, weil sie Angst haben, als Problemschulen dazustehen und von oben den Druck zu kriegen. Dann heißt es: Du hast deine Schule nicht unter Kontrolle! Wie soll ein Schulleiter 500 bis 600 digitalisierte Schüler unter Kontrolle haben. Das geht nicht.
Die andere Hälfte der Schulleiter sagt: Natürlich haben wir das Problem und wir versuchen auch alles, aber es fehlt uns an geeigneten Maßnahmen. Man muss die Kinder, die Jugendlichen erreichen. Die erreicht man nicht mit Büchern oder irgendwelchen Anti Mobbing Fibeln. Die erreicht man nur durch Offenheit und Ehrlichkeit. Und selbst wenn da ein studierter Prof. sitzt, das interessiert die Kinder einen Scheiß.
Sie sind digitalisiert, hören Pop-, Rapmusik, Hardliner, spielen gewaltverherrlichende Spiele. Sie sind so getriggert, wenn sie was wollen, dann muss das jemand sein, der sie voll abholt - übrigens nicht von oben, sondern auf Augenhöhe. Wenn ich in die Seminare gehe, arbeite ich mit Schülern, dann mit Lehrern und abends mit Eltern.
Alle sind Teil des Problems, alle sind Teil der Lösung. Ich arbeite mit allen auf Augenhöhe. Vor den Schülern sage ich, lasst uns gleich eins klarstellen, ich bin einer von euch. Dass gerade der große Carsten Stahl, der berühmte Mann sagt, der ist einer von uns?
Ich weiß genau, warum ihr es tut, ihr wollt dazuzugehören und cool sein. In dreieinhalb Stunden zeige ich euch, was Coolness wirklich bedeutet. Coolness bedeutet nämlich nicht, Schwache fertigzumachen. Coolness bedeutet, als Gemeinschaft stark zu sein. Das werde ich euch beim Tag der Gemeinschaft heute ans Herz legen. Entscheiden müsst ihr allein. Ich bin hier, um euch die Augen zu öffnen.
Die Lehrer bilde ich weiter, damit sie erkennen, wie sie effektiv Mobbing bekämpfen können und wissen, wann sie 112 anrufen müssen. Und die lieben, lieben Eltern, die sich gern hinstellen und sagen:
Die Lehrer müssen doch meinen Kindern Respekt und Toleranz beibringen.“
Denen sage ich: Ihr habt sie in die Welt gesetzt. Ihr seid dran, den Kindern Respekt und Toleranz vorzuleben. Es sind eure Kinder. Es ist eure Aufgabe.
Ich bin in Haftanstalten, in Haftanstalten, wo Jugendliche drin sind, die sogar gemeinschaftlich Mord gemacht haben. Warum kann ich da stehen und reden? Ich war 18 Jahre kriminell.
Ich war Opfer, bin dann abgerutscht und wurde zum Täter. Wer in Neukölln zum Gewalttäter wird, gerät ganz schnell in Konfrontation mit der Polizei und wird abgestempelt.
Du machst ein Ding, zwei Dinge. Lässt dich mobilisieren. Willst dazugehören. Willst cool sein. Dann kommen die Leute mit den großen Autos, mit viel Geld und sagen: Carsten, ein Typ wie du. Du wirst doch nicht arbeiten gehen? Komm arbeite für uns. Bring doch mal ein Paket von A nach B. Du kriegst Geld dafür. Man ist dumm und naiv. Man möchte dazugehören. Man macht das, ist drinnen und kommt nicht mehr raus.
Die Frage, ob ich dafür bezahlt habe und im Gefängnis war, kommt oft. Leider nicht, wenn ich im Gefängnis gewesen wäre, hätte ich vielleicht früher aufgehört. Hab ich dafür bezahlt? Oh ja, ich hab dafür bezahlt.
Ich war 24 und meine Freundin 21. Sie war im vierten Monat schwanger und ich war nicht zu Hause. Die Polizei, Richter, Staatsanwälte halten sich an Regeln und Gesetze, Kriminelle aber nicht. Sie wollten mir eine Lektion erteilen. Sie haben sich meine Freundin geschnappt, sie vergewaltigt, geschlagen und getreten. Sie hat mein vier Monate altes Kind, was sie in sich trug, verloren. Ich habe bezahlt.
Ich hab nicht studiert. Ich hab das Leben studiert. Ich hab so viel Wissen. Da kommt ihr nie mit und seid dankbar, dass ihr dieses Wissen nicht habt. Aber erzählt mir nicht, was ich darf und was ich nicht darf.
Ich helfe Kindern. Habe Menschen das Leben gerettet? Nachweislich. Kinder vom Suizid befreit, aus der Kriminalität geholfen. Anstatt etwas zu bekämpfen, was Kindern und Menschen hilft und der Gesellschaft vielleicht hilft, solltet ihr überlegen, wie wir gemeinsam unsere Kinder schützen. Ihr werdet mich nicht stoppen. Niemals.
Weil ich nicht für euch kämpfe, sondern für die Zukunft unseres Landes. Ihr habt vergessen, was das ist. Ich nicht. Das sind unsere Kinder.
ET: Wie sind Sie da rausgekommen?
Stahl: Wenn man da einmal drin ist, kommt man nicht mehr raus. Du wirst durch diesen Sog immer tiefer in diesen Schmutz gezogen. Das Geld verführt dich. Du weißt auch, wenn du woanders hinkommst, du wirst nicht akzeptiert. Aber du bleibst immer in dieser Clanstruktur. Sie haben ihre Familie.
Selbst wenn einer von ihnen sagt, ich ziehe jetzt nach Zehlendorf, wird er dort nicht akzeptiert, egal wieviel Geld er hat. Sie bleiben für sich. Ich blieb in dieser Struktur drinnen und wäre, wenn ich es so deutlich sagen darf, darin verreckt.
Denn nachdem, was meiner Freundin da passiert ist, habe ich immer exzessiver gelebt. Wie konnte ich denn mit der Schuld umgehen? Wer war denn schuld? Diejenigen, die meine Freundin missbraucht haben, oder ich, der sich entschieden hatte, kriminell zu werden. Ich hatte sie belogen, ich hatte ihr das doch nicht gesagt. Ich konnte sie nicht beschützen. Also war ich der Schuldige.
Ich lebte immer exzessiver, habe Drogen genommen und wurde immer gewalttätiger. Ich habe den Tod gesucht. Er kam nur nicht. Ich habe jede Gewaltkonfrontation gesucht, nix! Nix ist passiert. Vielleicht, wenn wir an Gott glauben oder an Schicksal... Vielleicht hatte ich eine Bestimmung, nicht wahr?
Es hat alles einen Grund im Leben. Man muss nur erstmal an dem Punkt ankommen und verstehen, warum. Ich hab es mit zwei Dingen hinaus geschafft: Erstmal ist das Wichtigste passiert, was einen Mann zu einem Mann macht. 28. Januar 2008, 56 Zentimeter, 3.167 Gramm. Blaue Augen. Mein Sohn Nikolai hat mir mein Leben gerettet. Ohne meinen Sohn wäre ich heute nicht hier. Zwei Jahre später kam meine Tochter. Durch meine Kinder bin ich ein besserer Mensch geworden. Ohne meine Kinder wäre ich heute tot.
Eins habe ich damals geschworen: Wenn noch einmal irgendetwas meine Familie, meine Kinder bedroht oder meinen Kindern wehtut, werde ich alles dafür tun, meine Kinder zu beschützen. Und als mein Sohn Opfer von Mobbing wurde, habe ich meinen Sohn beschützt. Dann habe ich gesehen, wie viele Kinder leiden, wie viele Eltern hilflos sind. Dann habe ich entschlossen, jetzt beschütze ich die, die ich beschützen kann. Und das sind verdammt viele und ich mache weiter.
Und wem das nicht passt. Stellt euch mir in den Weg. Ihr werdet verlieren, weil ich es mit Herz mache und weil ich echt bin. Und weil die Kinder und die Eltern verstehen, was richtig und was falsch ist, wenn es der Richtige tut und sagt.
Ich hab mich freigekauft, um da rauszukommen. Ich bin über zwei Jahre rumgelaufen und musste jeden Tag damit rechnen, erschossen zu werden. Wir waren Fünf, die das Sagen hatten und viele drum herum. Raten Sie mal, wieviele von denen heute noch leben.
ET: Keine?
Stahl: Nur noch ich. Entweder der Knast, die Drogen oder eine Kugel. Macht mich das dann zu einem besseren Menschen? Zu einem schlechteren Menschen? Es macht mich zu einem erfahrenen Menschen. Auf was ich stolz bin? Auf meine Kinder. Weil meine Kinder heute schon bessere Menschen sind, als ich es jemals werden kann. Ich kann meine Schulden nie bezahlen. Ich hab mein Kind verloren. Diese Last kann ich nie bezahlen.
Aber mit jedem Kind, das ich vorm Suizid rette, mit jedem Gerichtsurteil, bei dem ich dazu beitrage, dass Mörder und Menschen, die Kinder missbraucht haben, länger im Knast sind, kann ich mithelfen, dass Land zu verbessern. Das ist meine Pflicht, als Vater, als Bürger und als Vorbild.
Und wenn das mal alle, die die Möglichkeiten haben, verinnerlichen würden, dann hätten wir eine viel bessere Gesellschaft mit weniger Egoismus, Narzissmus und Gier nach Macht und Geld und Feigheit.
Zivilcourage, das ist ja etwas, was ich heute an den Schulen lehren muss. Damit die Kinder von heute, die Erwachsenen von morgen, nicht wegschauen, wenn jemand in der S-Bahn vergewaltigt wird oder wenn jemand leblos auf der Straße liegt.
Wenn ein LKW-Fahrer, wie vor ein paar Tagen, von der Spur abkommt, stehen bleibt und an einem Herzinfarkt im Auto stribt, weil alle vorbeifahren. Was sind wir für eine Gesellschaft von Egoisten geworden. Nicht alle, aber zu viele. Und ich war auch so. Jetzt nicht mehr.
Ob ich was verändern kann? Ich muss es probieren. Hab ich schon etwas verändert? Oh ja, Gesetze werden verabschiedet, weil ich mit anderen Dinge auf den Weg gebracht habe. Es war in Deutschland ganz normal Kindersexpuppen bei Amazon und Ebay zu beziehen. Dann habe ich es zu deren Problem gemacht. Petitionen, öffentliche Aufschreie. Jetzt sollen sie durch Bundestag und Bundesrat verboten werden.
ET: Was kann denn der Einzelne tun, Herr Stahl?
Stahl: Wir nehmen die Kinderschutz-Vereine. Erstens ist mir beim Kinderschutz wichtig, dass keiner wegsieht. Es kann nicht sein, dass Kinder missbraucht und misshandelt werden, und der Nachbar es nicht gehört hat. Schreiende, weinende, wimmernde Kinder hört man.
Dann muss man die Polzei rufen und das Jugendamt informieren. Man darf nicht wegsehen. Ich fordere die Gesellschaft auf, Verantwortung als Gesellschaft zu übernehmen. Die Moral einer Gesellschaft zeigt sich in dem, was sie für ihre Kinder tut, also seid wachsam. Und für alle Eltern: Ich war auf acht Beerdigungen. Sie wussten nicht, dass ihr Kind gemobbt wird. Ja, ich habe es selber erlebt. Ich habe mich meinen Eltern aus Angst und Scham nicht anvertraut.
Sprecht mit euren Kindern, sensbilisiert sie, redet mit ihnen. Denn egal, ob euer Kind, Opfer, Täter oder Mittäter ist, ihr wollt das doch nicht!“
Wenn mir Eltern sagen, Herr Stahl, meine Tochter macht nichts, sie macht wirklich nichts. Sie haben ja recht, Frau Müller, Meier, Schulz, ihre Tochter macht nichts, aber sie schaut zu oder weg, wenn andere Kinder leiden und geschlagen werden, weil sie Angst hat zu helfen. Und das passt auf unsere Gesellschaft. Wir schauen weg und schweigen, weil es uns vielleicht besser geht? Weil es uns nichts angehen soll, weil wir Angst haben? Zivilcourage verrottet. Das darf nicht sein.
Haben wir nicht gelernt, was Ausgrenzung bedeutet, als vor vielen Jahren viele Menschen geschwiegen oder weggesehen haben? Haben wir nichts daraus gelernt? Die Zeit ist mit Instagram und Facebook viel schneller geworden. Sie ist digitalisiert. Werte wie Demut, Respekt werden gar nicht mehr vermittelt. Mobbing in Fernsehsendungen, Comedians mobben, Gewalt, Sexismus, Rassismus, überall.
Wäre es nicht Zeit, das langsam mal wieder zu entschleunigen und sich zu erden? Zu den Grundwerten zurückzukommen und nicht zu vergessen, auf was unsere Gesellschaft aufgebaut ist? Es ist verankert in Artikel 1 des Grundgesetzes:
Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Das gilt für jeden.
ET: Herr Stahl, vielen Dank, wir werden es gerne ausstrahlen.
Carsten Stahl: Ich danke Ihnen.
Das Gespräch führte Renate Lilge-Stodieck
Carsten Stahl gründete die Organisation camp-stahl.de
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