Ministerpräsident gewählt: Thüringer Brombeer-Koalition konfrontiert mit scharfer Kritik und Kontroversen
Bereits im ersten Wahlgang hat CDU-Kandidat Mario Voigt am Donnerstag, 12.12., die erforderliche Mehrheit für die Wahl zum Ministerpräsidenten von Thüringen erhalten. Die „Brombeer-Koalition“ aus Union, BSW und SPD hat mit 44 von 88 Sitzen keine Mehrheit im Landtag. Deshalb galt es lange als ungewiss, wie viele Wahlgänge dafür erforderlich sein würden.
Im Jahr 2020 hatte eine ähnliche Ausgangssituation eine schwere innenpolitische Krise ausgelöst. Damals bewarb sich der amtierende Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linkspartei um die Wiederwahl. Sein Bündnis mit SPD und Grünen hatte keine Mehrheit mehr. Diese Situation nützte die AfD aus, um mit ihren Stimmen im dritten Wahlgang den von der CDU unterstützten FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich zum Kurzzeit-Ministerpräsidenten zu wählen.
Linkspartei will „Erpressungspotenzial der AfD“ in Thüringen entgegenwirken
Um der AfD, die in Thüringen mittlerweile mandatsstärkste Kraft im Landtag ist, diesmal eine ähnliche Profilierungschance zu nehmen, traf die Koalition im Vorfeld der Wahl eine Vereinbarung mit der Linkspartei. Wie der Landesvorsitzende der Linken, Christian Schaft, auf X erläuterte, hat seine Partei sich auf ein loses Drei-plus-eins-Format mit den Regierungsparteien geeinigt. Man wolle auf diese Weise das „Erpressungspotenzial der AfD“ minimieren und „demokratische Mehrheiten“ ermöglichen.
Damit das Erpressungspotential der AfD ein Ende hat, haben wir auf Vereinbarungen für demokratische Merheiten mit der Brombeere bestanden. Die geeinte Verpflichtung der Koalition ist für @Linke_Thl Basis, um einen Beitrag für die demokratische Mehrheit zur #MPWahl zu leisten. 1/2
— Christian Schaft (@ChristianSchaft) Dezember 12, 2024
Die Stimmen der Linken seien „ein Vertrauensvorschuss, aber kein Blankoscheck“. Man werde „die Vorhaben der Brombeere nach unseren politischen Maßstäben bewerten“ und gegebenenfalls Mehrheiten ermöglichen.
Der scheidende Ministerpräsident Bodo Ramelow selbst soll es gewesen sein, der auf dieses Vorgehen gedrängt habe. Man wollte aufseiten der Linken verhindern, dass Voigt durch Stimmen der AfD eine Mehrheit erhalte. Um dieser auch keine mögliche Blockade der Wahl zu ermöglichen, verzichtete man auch auf einen eigenen Kandidaten. Die AfD hätte diesen geschlossen wählen und damit den Landtag lahmlegen können.
Ramelow beschwört „Geist des Miteinanders“ im Freistaat
Schon zeitnah nach der Wahl des Ministerpräsidenten fand auch die Übergabe der Thüringer Staatskanzlei statt. Ramelow übergab offiziell die Amtsräume. Am Freitag will Voigt die Minister ernennen und die erste Kabinettssitzung leiten.
Ramelow zeigt sich optimistisch bezüglich der künftigen Arbeit im Landtag und glaubt an die Stabilität im Freistaat. Auf X äußert er:
„Es weht ein Geist des Miteinanders, des gemeinsamen Aufbruchs, um die Themen in Thüringen – die Alltagssorgen der Menschen im Land – gemeinsam anzupacken.“
Übergabe der Thüringer Staatskanzlei
„Es weht ein Geist des Miteinanders, des gemeinsamen Aufbruchs, um die Themen in Thüringen – die Alltagssorgen der Menschen im Land – gemeinsam anzupacken“.
Ministerpräsident Mario Voigt
Nach der Ministerpräsidentenwahl im @ThuerLandtag… pic.twitter.com/gvHKLIBiPn
— Staatskanzlei Thüringen (@thueringende) Dezember 12, 2024
Möglicherweise wird Voigts Amtsvorgänger selbst nicht mehr im Landtag vertreten sein. Ramelow hatte seine Bereitschaft bekundet, sich als Direktkandidat für den Bundestag zur Verfügung zu stellen. Gemeinsam mit Gregor Gysi und Dietmar Bartsch will er auf diese Weise dazu beitragen, der Linkspartei drei Direktmandate und damit den Wiedereinzug zu sichern. Umfragen sehen sie deutlich von der Fünf-Prozent-Hürde entfernt.
Höcke: „Verrat am Wählerwillen“ – AfD will Kramer-Untersuchungsausschuss
AfD-Landeschef Björn Höcke wirft dem neuen Ministerpräsidenten „Verrat am Wählerwillen“ vor. Mit Voigt vollende die CDU ihren „Linksdrift“. Eine Koalition mit BSW und SPD und ein Konsultationsmechanismus mit der Linkspartei seien „keine Brombeer-Koalition, sondern ein Himbeerbündnis mit einem schwarzen faulen Fleck“.
Eigentlich heißt es: ‚Erst das Land, dann die Partei und zuletzt die Person.‘ Mit Mario #Voigt hat #Thüringen ab heute einen Ministerpräsidenten, der dieses Prinzip auf den Kopf gestellt hat. Für Voigts Amt vollendet die #CDU ihren Linksdrift. Bereits 2019 wählten die Thüringer…
— Björn Höcke (@BjoernHoecke) Dezember 12, 2024
Auch am designierten Ministerteam wurde in sozialen Medien Kritik laut. Fünf Mitglieder der Staatsregierung in Thüringen werden künftig der CDU angehören, drei dem BSW und zwei der SPD. Im Amt bleiben soll Innenminister Georg Maier. Dies macht auch den Verbleib von Stephan Kramer an der Spitze des Landesamtes für Verfassungsschutz wahrscheinlich.
Kramer war jüngst in den Fokus von Medienberichten geraten, die ihm unter anderem Geheimnisverrat und eine unprofessionelle Amtsführung zur Last legten. Außerdem soll es Ermittlungen wegen des „Verdachts eines schweren Dienstvergehens“ gegeben haben. Allerdings bezieht sich dies auf einen Sachverhalt aus dem Jahr 2019. Hinreichend erhärtet scheinen sich die Vorwürfe nicht zu haben.
Die AfD-Fraktion will einen Untersuchungsausschuss in dieser Angelegenheit erzwingen. Sie sieht sich in besonderer Weise betroffen, da Kramer im Vorfeld ihrer Einstufung als „gesichert rechtsextrem“ parteiisch vorgegangen sei. Außerdem habe er gegen den Grundsatz der Indemnität verstoßen, indem er Äußerungen von Abgeordneten bei der Einstufung berücksichtigt habe. Die Indemnität bezieht sich jedoch auf strafrechtliche oder disziplinarrechtliche Verfolgung. Eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz ist davon nicht umfasst.
BSW-Minister in Thüringen: Wehrdienst als „Stasi-Tätigkeit“?
Der frühere Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, nimmt zudem Anstoß an der Ernennung des BSW-Abgeordneten Tilo Kummer zum Umweltminister. Der frühere Linken-Politiker war bereits von 1999 bis 2019 Landtagsabgeordneter, anschließend Bürgermeister von Hildburghausen.
Knabe beanstandet, dass sich Kummer nach seinem Abitur im Jahr 1987 als Unteroffizier auf Zeit im Berliner Wachregiment Feliks Dzierzynski verpflichtet hatte. Da dieses dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) zugehörte, musste er als solcher einen besonderen Eid auf das MfS leisten. Das Wachregiment war vor allem im Bereich des Personen- und Objektschutzes tätig. Aus Sicht Knabes stellt dies dennoch eine „Stasi-Tätigkeit“ dar, die für ein Ministeramt disqualifiziere.
Lieber @mariovoigt, stimmt es, dass Sie mit #TiloKummer zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik einen ehemaligen Angehörigen des DDR-Staatssicherheitsdienstes in die Regierung berufen wollen? So meldet es heute die @TAOnline.@cdu_fraktion_th @cdu_thueringen @CDU pic.twitter.com/B3kD37Fkeq
— Hubertus Knabe (@hubertus_knabe) Dezember 11, 2024
Unmut gibt es jedoch nicht nur auf der Rechten über die Kooperation der Union mit der Linken zum Zweck der Marginalisierung der AfD. Auch einige Stimmen auf der Linken sehen es kritisch, dass ihre Partei bereitwillig der CDU ein Durchregieren ermöglichen will.
Offensichtlich hat die Linke ihr gesamtes Erbe aufgegeben und ihre Glaubwürdigkeit als Linkspartei verloren – mit der Ankündigung, einen CDU-MP zu wählen. Schande
Sie lassen sich wirklich von der AfD diktieren, wie Sie wählen? Oder: Sie wollen Posten in der neuen Regierung?— Mike Wright (@MikePAWright) December 12, 2024
Voigt bleiben keine Optionen ohne Stimmen von Linkspartei oder AfD
Die CDU hatte 2018 einen heute noch in Kraft befindlichen Beschluss gefasst. Dieser bezog sich auf die AfD sowie auf die Linkspartei und besagte, dass „Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit“ mit diesen ausgeschlossen seien.
In Thüringen gab es schon vor der Landtagswahl 2024 Absprachen mit dem Kabinett Ramelow, die sich auf genau umrissene Sachfragen bezogen. Die Union hat nicht nur durch Enthaltung bei der zweiten Ministerpräsidentenwahl 2020 die Wiederwahl von Ramelow ermöglicht. Sie stimmte auch in zuvor vereinbarten Bereichen deren Haushaltsentwürfen zu. Eine ähnliche Konstruktion gibt es auch jetzt – in entgegengesetzter Richtung.
Die Verhältnisse im Thüringer Landtag erlauben keine Mehrheiten ohne zumindest eine Stimme aus den Reihen von AfD oder Linken.
„Lebenslüge der CDU“: Ist Linkspartei staatstragender als das BSW?
Thorsten Knuf wirft in der „Berliner Morgenpost“ die Frage auf, ob es nicht an der Zeit wäre, mit der „Lebenslüge der CDU“ im Hinblick auf die Linke abzuschließen. Fast 35 Jahre nach dem Ende der DDR sei es „aus der Zeit gefallen“, formale Kooperationen mit dieser Partei grundsätzlich auszuschließen.
Es sei nicht nur verfehlt, pragmatische Landespolitiker oder Exponenten wie Bodo Ramelow oder Gregor Gysi mit der AfD gleichzusetzen – zumal diese in Thüringen als besonders radikal gelte. Vor allem sei auch das „moskautreue“ BSW nicht zwingend gemäßigter als die heutige Linkspartei.
Als Grund für den Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linken wird in der CDU häufig die Kontinuität zwischen SED und Linkspartei zitiert. Jede Regierungsbeteiligung der Linkspartei trage potenziell zur Normalisierung der früheren Einheitspartei bei. Allerdings waren im Jahr 2021 nur noch etwa 20 Prozent der Mitglieder der Linkspartei vor 1989 auch in der SED. Von den Bundestagsabgeordneten bis 2021 waren es knapp 15 Prozent.
Christdemokraten mit früheren Einheitsparteien in eigenen Reihen
Auch auf internationaler Ebene gilt bei den Christdemokraten keine zwingende Unvereinbarkeit gegenüber Parteien, die früher autoritäre Einparteienregime getragen hatten. Auf europäischer Ebene kooperiert die EVP vielfach mit Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Deren Partei Fratelli d’Italia war aus der Alleanza Nazionale hervorgegangen, die wiederum eine Nachfolgepartei des Movimento Sociale Italiano war, der sich auf die faschistische Republik von Salò (1943-1945) berief.
Der EVP selbst gehören zudem der spanische PP, der portugiesische PSD und die österreichische ÖVP an. Auch diese wiesen ein hohes Maß an Kontinuität mit der Falange von General Francisco Franco, dem Estado Novo von Premierminister António de Oliveira Salazar und der Christlichsozialen Partei der Bundeskanzler Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg auf.
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