Minderheitsregierung komplett: Kukies übernimmt Finanzministerium – Wissing und Özdemir werden Doppelminister

Der Bundeskanzler hat drei von vier FDP-Bundesministern ersetzen lassen. Staatssekretär Jörg Kukies übernimmt das Finanzministerium. Cem Özdemir bekommt zusätzlich das Bildungsministerium. Volker Wissing bleibt Verkehrsminister, darf sich aber auch um das vakante Justizressort kümmern. Er war dafür extra aus der FDP ausgetreten.
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Der bisherige Staatssekretär im Kanzleramt, Jörg Kukies (SPD), ist zumindest übergangsweise neuer Finanzminister. Er löst den entlassenen Christian Lindner (FDP) ab.Foto: Odd Andersen/afp via Getty Images
Von 7. November 2024

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Nach dem Bruch der Ampelkoalition am Abend des 6. November 2024 sind die Posten der drei scheidenden FDP-Bundesminister am frühen Nachmittag des Folgetags übergangsweise nachbesetzt worden.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) händigte im Schloss Bellevue in Berlin die Entlassungsurkunden für Christian Lindner, Marco Buschmann und Bettina Stark-Watzinger aus. Danach ernannte er ihre Nachfolger. Der vierte frühere FDP-Minister, Volker Wissing, behält auf Wunsch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sein Amt als Ressortchef für Verkehr und Digitales – und hat künftig auch im Justizministerium das Sagen.

Auch Scholz nahm an der Zeremonie teil, obwohl für diesen Zeitpunkt eigentlich die Teilnahme am EU-Ratstreffen in Budapest auf seinem Terminkalender gestanden hatte. Wie die „Bild“ berichtet, wird Scholz erst am Abend nach Ungarn reisen.

Bundeskanzler Olaf Scholz hört Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu, während er am 7. November 2024 im Präsidialpalast Bellevue in Berlin die Entlassungsurkunden an die Minister übergibt. Foto: Ralf Hirschberger/afp via Getty Images

Staatssekretär Kukies übernimmt Finanzministerium

Im umgebauten Übergangskabinett gibt es nur ein neues Gesicht: Jörg Kukies (SPD), bislang Staatssekretär im Kanzleramt, übernimmt das Finanzministerium von Christian Lindner. Der neue Mann gilt als enger Vertrauter und Berater des Kanzlers, vorwiegend in Wirtschaftsfragen.

Nun soll Kukies im Interesse des Kanzlers mithelfen, die Union dazu zu bewegen, künftige Ausgaben primär für die Ukraine und zur Wirtschaftsförderung mitzutragen. Das berichtet die „Bild“ unter Verweis auf SPD-Kreise.

Kukies, Jahrgang 1968, studierte unter anderem an der Université Paris I Panthéon-Sorbonne (BA in Wirtschaftswissenschaften), der Kennedy School of Government der Universität Harvard (Master of Public Administration) und der Universität Chicago (Doktortitel in Finanzwesen). Anschließend stieg er in eine lange und erfolgreiche Karriere bei Goldman Sachs von 2001 bis 2018 ein. Von 2014 bis 2018 war er Co-CEO von Goldman Sachs Deutschland und Österreich.

2018 berief der damalige Bundesfinanzminister Olaf Scholz Kukies zum Staatssekretär. Als Scholz im Herbst 2021 Kanzler wurde, wechselte der Finanzexperte ins Bundeskanzleramt.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (L) überreicht dem neuen Finanzminister Jörg Kukies die Ernennungsurkunde am 7. November 2024 im Präsidialpalais Bellevue in Berlin. Foto: Ralf Hirschberger/afp via Getty Images

In der Nacht zum Donnerstag hatte die Frage im Raum gestanden, ob Robert Habeck (Grüne) die Aufgaben des Finanzressorts zusätzlich zu seiner Arbeit als Bundeswirtschaftsminister übernehmen sollte. So hätte es jedenfalls die offizielle Übersichtsliste über die amtliche Reihenfolge der Bundesministerinnen und Bundesminister und ihrer Vertreter vorgesehen. Doch Habeck erklärte am Donnerstagmorgen im Deutschlandfunk, kein Interesse daran zu haben.

Wissing überraschend Doppelminister

Dr. Volker Wissing (nun parteilos) hatte am Donnerstagmorgen während einer Pressekonferenz in seinem Ministerium erklärt, als Minister für Verkehr und Digitales weitermachen zu wollen. Der Kanzler habe ihm am Mittwochabend ein entsprechendes Angebot unterbreitet. Dieses habe er angenommen.

Bundespräsident Steinmeier übertrug ihm nun überraschend auch das Amt des Justizministers. Zuvor war Nancy Faeser für diese Aufgabe gehandelt worden.

Wissing hatte bereits am Morgen erklärt, Parteichef Christian Lindner über seinen Austritt aus der Partei unterrichtet zu haben. Er vollziehe diesen Schritt, um keine Belastung für die FDP darzustellen. Einer anderen Partei wolle er sich aber nicht anschließen. Ihm gehe es allein darum, sich selbst „treu“ zu bleiben und seiner Verantwortung weiterhin gerecht zu werden: „Ich werde alles tun, damit die Dinge, die ich begonnen habe, erfolgreich fortgeführt werden“, so Wissing vor der Presse.

Wäre Wissing als Minister zurückgetreten, hätte ihn nach den offiziellen Vertretungsregelungen der Bundesregierung Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) ersetzen können.

Kurz nach Wissings Klarstellung erklärten seine Staatssekretäre Daniela Kluckert, Oliver Luksic und Gero Hocker (alle FDP) ihren Rücktritt. „Wir haben nach seiner einsamen Entscheidung kein Vertrauen mehr in Volker Wissing“, hieß es am Morgen in einem auf X verbreiteten Statement, „unser Land braucht schnell einen Neuanfang und geordnete politische Verhältnisse“.

Özdemir neuer Bildungsminister

An die Stelle der bisherigen Bildungs- und Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger tritt nach Informationen des ZDF – ebenfalls überraschend – Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne).

Sein angestammtes Ressort behält Özdemir wie alle anderen Minister so lange, bis eine neue Bundesregierung zustande kommt. Nach den offiziellen Vertretungsregeln hätte auch Famililenministerin Lisa Paus (Grüne) das Amt übergangsweise ausfüllen können.

Lindner wegen unüberbrückbarer Differenzen entlassen

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) war am Mittwochabend unter schweren Vorwürfen des Kanzlers (Video auf YouTube) nach der mit Spannung erwarteten Sitzung des Koalitionsausschusses entlassen worden. Zuvor hatte Lindner nach eigenen Angaben, die vom Kanzler verlangte Auflösung der Schuldenbremse abgelehnt und selbst einen politischen Kurswechsel oder Neuwahlen vorgeschlagen. Das habe Scholz abgelehnt (Video auf YouTube).

Nach dem Rauswurf Lindners kündigte FDP-Fraktionschef Christian Dürr zunächst den Rücktritt sämtlicher FDP-Bundesminister an. Nur Wissing folgte dem Plan nicht.

Trotzdem ist die Ampelkoalition damit Geschichte: Der Regierungschef kann im Bundestag momentan nur noch auf die insgesamt 324 Abgeordneten von SPD (207) und Grünen (117) zählen. Gebraucht würden aber 367 Stimmen. Eine rot-grüne Minderheitsregierung müsste bei jedem Gesetzesvorhaben um die Unterstützung der Oppositionsparteien buhlen.

Genau darauf will sich Scholz offenbar einlassen. Bei seinem Auftritt vor der Presse am Mittwochabend hatte Scholz angekündigt, erst Mitte Januar die Vertrauensfrage im Bundestag stellen zu wollen, um Neuwahlen für den März 2025 zu ermöglichen. Bis dahin wolle er noch eine Reihe von drängenden Problemen lösen.

Union, FDP, BSW und AfD wollen Neuwahl schon im Januar

Das geht den alten und neuen Oppositionsfraktionen aber nicht schnell genug: Der CDU-Partei- und Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz verlangte am Donnerstagvormittag von Scholz, die Vertrauensfrage „sofort“ zu stellen, spätestens aber Anfang der kommenden Woche.

Nach Einschätzung von Merz könnten Bundestagswahlen bereits in der zweiten Januarhälfte 2025 stattfinden, falls Scholz so schnell einlenken werde. „Dafür reicht die Zeit, dafür reichen die Vorbereitungsarbeiten in allen Parteien, in allen Wahlkreisen“, twitterte Merz. Wie die „Tagesschau“ berichtet, bestätigte ein Sprecher der Bundeswahlleiterin, dass Neuwahlen zu diesem Termin problemlos möglich seien. Artikel 39 des Grundgesetzes sieht vor, eine Neuwahl innerhalb von 60 Tagen zu ermöglichen, wenn der Bundestag aufgelöst wird.

Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, der CDU-Innenpolitiker Philipp Amthor, Ex-Finanzminister Lindner, sein Fraktionsvorsitzender Christian Dürr, die BSW-Parteivorsitzende Sahra Wagenknecht und die beiden AfD-Bundessprecher Alice Weidel und Tino Chrupalla machten sich für die Vertrauensfrage durch den Kanzler spätestens in der kommenden Woche stark.

Steinmeier mahnt zu Vernunft und Verantwortung

Bundespräsident Steinmeier erklärte am Vormittag, er stehe bereit, über die Auflösung des Bundestags zu entscheiden, sobald Bundeskanzler Scholz die Vertrauensfrage stellen werde. Das Grundgesetz knüpfe allerdings bestimmte Voraussetzungen an diese Entscheidung an. „Unser Land braucht stabile Mehrheiten und eine handlungsfähige Regierung, das wird mein Prüfungsmaßstab sein“ betonte der Präsident. Und weiter:

Es ist nicht die Zeit für Taktik und Scharmützel, sondern für Vernunft und Verantwortung. Ich erwarte von allen Verantwortlichen, dass sie der Größe der Herausforderung gerecht werden.“

Der Unionsfraktionsvorsitzende Friedrich Merz hatte am Vormittag angekündigt, seine Argumente für schnelle Neuwahlen noch am 7. November bei einem Gespräch mit dem Bundespräsidenten vorzutragen.

(Mit Materialien von Agenturen)

 



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