Milch per Genschere – sind bald keine Kühe mehr notwendig?

Die „Milch der Zukunft“ soll aus dem stählernen Bioreaktor statt aus dem Euter kommen. In einigen Ländern stehen tierfreie Milchprodukte schon in den Regalen. Die EU hat noch keine Zulassung erteilt.
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Das dänische Startup Remilk baut eine Produktion für Präzisionsfermentation, die jährlich 50.000 Milchkühe ersetzen soll.Foto: iStock
Von 5. Februar 2023

Tierfreie Milch, die aber so schmeckt wie Kuhmilch? Die Herstellung eines solchen Produkts haben Wissenschaftler schon seit Jahren im Blick. Da die herkömmliche Milch als klimaschädlich bezeichnet wird, werden Alternativen gesucht. Milch auf Pflanzenbasis ist in der Regel teuer und laut Umweltforschern in der Herstellung auch nicht unbedingt nachhaltig.

Forscher aus Deutschland, Israel, Singapur und den USA sind emsig dabei, tierfreie Milchprodukte weiterzuentwickeln. Die „Milch der Zukunft“ soll aus dem stählernen Bioreaktor statt aus dem Euter kommen. Hergestellt wird sie durch sogenannte Präzisionsfermentation, wie das „Handelsblatt“ kürzlich berichtete.

Geldgeber gibt es genug, die das Projekt vorantreiben. Mehrere Milliarden Dollar werden in Start-ups investiert, die tierfreie Milch aus dem Fermenter entwickeln. In den USA findet man schon Produkte wie Frischkäse, Eiscreme und Schokoriegel in den Supermärkten.

Milchindustrie erzeugt 3,4 Prozent aller Treibhausgase

Nach Angaben des weltgrößten Nahrungsmittelkonzerns Nestlé ist die Ökobilanz von herkömmlicher Milch und Käse bedenklich. Wie das Statistische Bundesamt im Jahr 2018 berechnete, stößt eine Milchkuh etwa 3,2 Kilogramm CO₂ pro Liter Milch aus. Die CO₂-Emissionen bei der Herstellung von Mandelmilch lagen dagegen nur bei 0,7 Kilogramm.

Die globale Milchindustrie erzeugte laut der UNO-Agrarorganisation FAO 2015 rund 3,4 Prozent aller Treibhausgase – das sei fast so viel wie Schiff- und Luftfahrt zusammen.

Der amerikanische Thinktank Rethink X geht davon aus, dass diese tierfreien Milchprodukte bis 2030 um die Hälfte billiger sein werden als solche aus Kuhmilch. Wie der Thinktank errechnete, sei die Umwandlung durch Mikroorganismen in Milchprodukten bis zu 20-mal effizienter als durch Säugetiere. Die Vorhersagen von Rethink X gehen sogar so weit, dass sie sagen, dass das „konventionelle System der Molkereiwirtschaft kollabieren“ werde.

EU-weit noch keine Zulassung

In der EU gibt es für derartige Milchprodukte noch keine Zulassung. Bevor sie den Gang in die Supermarktregale antreten dürfen, müssen sie unter der Kennzeichnung „Novel Food“ freigegeben sein.

Novel Food oder auch neuartige Lebensmittel unterliegen EU-weit einheitlichen Regelungen, um ein hohes Niveau beim Schutz der Gesundheit des Menschen zu erreichen. Die Novel-Food-Verordnung gilt seit dem Jahr 2015.

Den Zulassungsprozess in Europa bezeichnet der Biotechnologe Grzegorz Kubik als „sehr aufwendig“. Kubik ist Forscher am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart und leitet das Innovationsfeld industrielle Biotechnologie. In Europa sei noch eine Hürde zu überwinden.

Speziell in Deutschland sehe er gewisse Schwierigkeiten, die verhindern, dass die Produkte ein Biolabel oder Zertifikat „Ohne Gentechnik hergestellt“ bekommen. Das Problem sei, dass bei der Herstellung mit „gentechnisch veränderten Organismen“ gearbeitet werde, wird Kubik im „Handelsblatt“ zitiert.

Genschere: Kopierte Kuh-DNA wird in Hefezellen eingesetzt

Um Milch herzustellen, benötigt man vor allem Molkenprotein und das Milcheiweiß Casein. Da diese Bestandteile in Pflanzen nicht vorkommen, muss man sie nachbauen. Erreicht wird das mit der Präzisionsfermentation.

Dabei wird in Hefezellen eine kopierte Kuh-DNA eingebracht, damit diese Milcheiweiß produzieren können. Die Technik dazu nennt sich Genschere CRISPR/Cas.

Wie die Forscher 2009 im Magazin „Science“ berichteten, umfasst das Genom der Kuh mindestens 22.000 Gene. „Genetische Modifikation von Mikroorganismen hat die Fermentation wirklich vorangebracht“, sagt der Biotechnologe Kubik.

Für ihn ist die „Präzisionsfermentation eine Meilenstein-Technologie“. Sie könne dabei helfen, die wachsende Erdbevölkerung klimafreundlich zu ernähren, ohne dass Menschen auf gewohnte nahrhafte Produkte verzichten müssten.

Dabei könne auf „Antibiotika bei der Kultivierung weitgehend verzichtet werden“, die bei Hochleistungsmilchkühen oft eingesetzt werden. Ein anderer Vorteil sei, dass unerwünschte Inhaltsstoffe wie Cholesterin oder Laktose weggelassen werden können, wenn man das Lebensmittel selbst zusammenbaue.

Firma: „Unsere Anlage wird jährlich 50.000 Milchkühe ersetzen“

Start-ups, die sich bereits mit der Produktion von tierfreien Milchprodukten beschäftigen, gibt es einige. Das israelische Unternehmen Remilk verkauft bereits tierfreien Frischkäse mit Molkeprotein aus dem Fermenter in den USA. Unterstützt wird es unter anderem von der deutschen Milchmarke Hochland.

In Dänemark ist Remilk dabei, die derzeit mit 70.000 Quadratmetern weltgrößte Produktion für Präzisionsfermentation zu bauen. „Unsere Anlage in Kalundborg wird jährlich 50.000 Milchkühe ersetzen“, kündigt Remilk-Gründer Aviv Wolff an. Joghurt, Frischkäse und Eiscreme sollen bereits 2024 zum gleichen Preis verkauft werden wie konventionelle Milchprodukte, berichtete das „Handelsblatt“.

In Deutschland arbeitet das Berliner Start-up Formo an der Herstellung von kuhfreiem Käse. Formo will in diesem Jahr mit drei bis fünf Käsesorten wie Ricotta und Feta zunächst in Singapur und später in Europa starten. Angeblich denkt das Start-up auch über Eigenkreationen nach. „Wir können Käse entwickeln, den es heute noch gar nicht gibt“, sagt Formo-Chef Wohlgensinger.

Weitere Start-ups sind Better Dairy in London, New Culture in Neuseeland und Perfect Day in Kalifornien. Letzteres hat in den USA bereits Produkte wie Eiscreme, Frischkäse oder Backmischungen mit naturidentischen Milchproteinen auf den Markt gebracht. In Zusammenarbeit mit Nestlé will das Start-up seine Produktpalette noch um einiges erweitern. Auch will es bald in Asien verkaufen. Dort haben die zuständigen Behörden die Proteine als unbedenklich eingestuft.



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