Merz statt Merkel? Was sagt man dazu? Im Volk und in den Medien?
Man kann der CDU nicht vorwerfen, sie hätte sich in den letzten Jahren vollständig von den Stimmungslagen in der Bevölkerung abgekoppelt. Dies zeigt nicht nur die Tatsache, dass die vielfach als „ewige Kanzlerin“ und Sinnbild für politischen Stillstand angesehene Angela Merkel sehr rasch nach dem Wahldebakel in Hessen ihren teilweisen Rückzug verkündet hat.
Was besonders bemerkenswert ist: Die CDU hat auf ihrem Parteitag Anfang Dezember in Hamburg eine echte Auswahl zwischen einem „Weiter so“, nur mit jüngeren Köpfen, und einem zumindest stilistischen Wandel.
Armin Laschet hat schon erklärt, dass er im Dezember nicht antreten will. Kramp-Karrenbauer, die als Garantin für eine nahtlose Fortführung der Merkel-Politik gilt, bleibt im Rennen. Jens Spahn hat laut neuesten Umfragen allenfalls Außenseiterchancen.
„Bild“-Leser favorisieren eindeutig Merz
Eine nicht repräsentative Erhebung der „Bild“, die mit Merz schon AfD-Wähler massenhaft in die CDU zurückkehren sieht, gibt dem Finanzfachmann Rückenwind: Von fast 70 000 Teilnehmern sprachen sich 72 Prozent für Friedrich Merz als Merkel-Nachfolger aus, Annegret Kramp-Karrenbauer und Jens Spahn landeten mit 15 bzw. 13 Prozent deutlich dahinter. In der Gesamtbevölkerung ist der Rückhalt gleichmäßiger verteilt, allerdings hat auch dort Merz leicht die Nase vorn. Wie es unter den stimmberechtigten Delegierten zum Bundesparteitag der CDU aussieht, wird sich im Dezember erweisen.
Es fällt einerseits schwer, sich vorzustellen, dass die weitgehend gleichen Delegierten, die noch 2016 in Essen der Kanzlerin einen elfminütigen Schlussapplaus gezollt hatten, nun plötzlich deren Wunsch-Nachfolgerin in Scharen die Gefolgschaft verweigern. Andererseits ist der Leidensdruck nach zahlreichen deftigen Wahlniederlagen in der Zwischenzeit weiter angewachsen und es ist nicht absehbar, wie tief das Verlangen nach einem Ende der Stagnation in Deutschland, als deren Ausdruck die Große Koalition gilt, mittlerweile in der CDU ist.
Friedrich Merz hat allerdings den großen Vorteil, dass er ein umfassendes Kontrastprogramm zu Merkel verkörpert. Damit kann er auch glaubwürdig genug den Eindruck vermitteln, in der Partei, in der Regierung und im Land insgesamt Dynamik und Veränderung zu entfalten. Dies gilt unabhängig von der Frage, was sich tatsächlich inhaltlich ändern wird.
Merkelismus als deutsche Variante des schwedischen „Volksheims“
Nach dem pöbelnden Abgang von Altkanzler Gerhard Schröder in der Elefantenrunde am Wahlabend des 18. September 2005 hat Angela Merkel ihre Macht darauf gestützt, dass sie die Mentalität vieler Bundesbürger wie keine andere politische Persönlichkeit zu verkörpern wusste. Wie das „Volksheim“ zum Staatsideal im Schweden des 20. Jahrhunderts geworden war, hat das Land in Merkel gern auch „die Mutti“ hineininterpretiert.
Mit Friedrich Merz wäre diese familiäre Stimmung jäh am Ende. Es würde auch geradezu grotesk wirken, würde er versuchen, sich in diese einzufügen. Es wäre nicht die Welt eines Beraters der Kanzlei Mayer Brown LLP und Aufsichtsratsvorsitzenden der deutschen Tochtergesellschaft des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock, 2006 fusioniert mit Finanzdienstleister Merrill Lynch.
Gabor Steingart voll des Lobes über Merz
Merz würde als Versteher der lange vergessenen Fleißigen und Erfolgreichen zurückkehren und damit seine Ansprache an ein weitgehend anderes Zielpublikum richten als Merkel. Entsprechend reagieren jetzt schon Beobachter wie der Medienmanager und Publizist Gabor Steingart, der Merz in seinem Morning Briefing einen „Willen zur Wahrheit“ attestiert und ihn als das „weiße Schaf einer fast durchgängig schwarzen Herde“ innerhalb der politischen Klasse bezeichnet.
In Merz, so Steingart, sei „hochangereicherte Kanzlerenergie gespeichert, die darauf drängt, sich im obersten Führungsjob der Republik zu entladen“. Wird er im Dezember gewählt, würde Merkel nach seiner Meinung noch vor der nächsten Bundestagswahl das Kanzleramt räumen. Seine Biografie mache Merz zum „Kanzler zum Sofortgebrauch“. Es käme ein „wahrer Globalist“ anstelle des bislang vorherrschenden Typus des „weltoffenen Provinzlers“ ins Amt, der in Deutschland die Regel gewesen wäre.
Die AfD, so Steingart, würde ihr Feindbild und am Ende auch ihre Existenzberechtigung verlieren, demgegenüber könnte die politische Linke genesen und nach Vorbild von Bernie Sanders und Jeremy Corbyn den Antikapitalismus wieder zu ihrem Markenkern machen. Unterdessen könnte Merz zusammen mit dem Grünen Robert Habeck und FDP-Chef Christian Lindner in eine „Modernisierungskoalition“ aufbrechen.
Dass sich die Linke nach einem Bruch der Großen Koalition neu formieren könnte und Sarah Wagenknechts Bewegung „Aufstehen“ eine Schlüsselrolle bei ihrer weiteren Radikalisierung spielen könnte, liegt auf der Hand. Auch, dass die Grünen als zwar ideologisch weit linke, soziologisch aber im reichsten Segment der Bevölkerung verankerte Partei am ehesten bereit wären, sich von Union und FDP Kompromisse zu Lasten der unteren Einkommensgruppen abkaufen zu lassen, ist wahrscheinlich.
Jenseits der Wunschvorstellungen des journalistischen Mainstreams liegt es jedoch eher nahe, dass Merz eher für die FDP eine existenzielle Bedrohung darstellt als für die AfD. Dass Merz im Jahr 2000 den Begriff der „deutschen Leitkultur“ prägte und diesen auf muslimische Einwanderer münzte, impliziert nicht, dass er eine grundlegende Wende in der Einwanderungspolitik herbeiführen würde – vor allem nicht in einer „Jamaika-Koalition“ mit den Grünen.
Die FDP müsste Merz eher fürchten als die AfD
Dass mit ihm mehr Markt in der Energiepolitik und in Teilen der öffentlichen Verwaltung einkehren würde, heißt noch lange nicht, dass er tatsächlich willens oder in der Lage wäre, die Sozialbürokratie zurückzustutzen oder der kulturellen Hegemonie der Linken den Kampf anzusagen.
Im Gegenteil: Merz steht für „mehr Europa“, für eine EU-Armee, für mehr haushaltspolitische Kompetenzen aufseiten der EU und gegen den vermeintlichen „Nationalismus“ von EU-Skeptikern. Als Trump-Freund gilt er ebenso wenig, auch wenn er seine Kritik an der derzeitigen US-Führung dezenter vorträgt als im deutschen Mainstream üblich. Dass Merz zudem den Ludwig-Erhard-Preis abgelehnt haben soll, weil er nicht mit dem konservativen Publizisten Roland Tichy auf einer Bühne stehen wollte, ist auch nicht wirklich ein überzeugendes Argument für AfD-Wähler, ihm Vertrauen zu schenken.
Insgesamt dürfte Merz auf jenen Teil des AfD-Publikums, der dem ordoliberalen Segment um Alice Weidel oder Georg Pazderski zuzuordnen ist, und auch auf Teile des christlich-konservativen Flügels um Beatrix von Storch mehr Anziehungskraft ausüben als auf den nationalkonservativen Bereich rund um Björn Höcke oder Alexander Gauland.
Ein weiteres Hindernis, das dem Hoffnungsträger vieler CDU-Funktionäre noch Probleme bereiten könnte, ist sein Engagement für Blackrock. Wie die „Zeit“ berichtete, argwöhnen Beobachter, das Investmenthaus übe einen zu großen Einfluss auf die deutsche Wirtschaft aus. Die Fondsgesellschaft hält schon länger beträchtliche Aktienpakte aller 30 deutschen Unternehmen, die im Dax repräsentiert sind. Merz wird sich deshalb wohl auch künftig mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Vorwurf ausgesetzt sehen, potenziell anfällig für lobbyistische Einflüsterungen zu sein.
Was häufig erwähnt wird, ist die notwendige Verjüngung in der CDU-Führung, aber da kann Merz eher nicht punkten, auch wenn er jünger aussieht, er wird am 11.11. 63 Jahre alt, die Kanzlerin Angela Merkel wurde am 17. Juli 64 Jahre alt.
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