Merkel im U-Ausschuss zu Afghanistan: „Wir sind gescheitert“

Am Donnerstag haben Angela Merkel und Helge Braun vor dem Afghanistan-Untersuchungsausschuss ausgesagt. Im Fokus standen die dramatischen Ereignisse rund um den Abzug aus Afghanistan im Sommer 2021. Merkel verteidigte den Einsatz der Bundeswehr, räumte jedoch strategische und kulturelle Versäumnisse ein.
Mit der Befragung von Altkanzlerin Angela Merkel (CDU) ist die Vernehmung von Zeugen durch den Ausschuss voraussichtlich abgeschlossen.
Mit der Befragung von Altkanzlerin Angela Merkel (CDU) ist die Vernehmung von Zeugen durch den Ausschuss voraussichtlich abgeschlossen.Foto: Kay Nietfeld/dpa
Von 6. Dezember 2024

Am Donnerstag, 5.12., hat die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel vor dem Afghanistan-Untersuchungsausschuss zu den Ereignissen im Sommer 2021 Stellung genommen. Auch ihr früherer Kanzleramtschef Helge Braun wurde befragt. Beide hatte man in ihrer Funktion als Inhaber der Fachaufsicht über den Bundesnachrichtendienst (BND) vorgeladen.

Gegen diesen wurden Vorwürfe laut, die Situation im Land falsch eingeschätzt zu haben. Mit den Aussagen von Braun und Merkel sollten die Befragungen enden – da der Untersuchungsausschuss noch vor den Bundestagswahlen seinen Abschlussbericht vorlegen soll.

Biden begann im April 2021 mit Abzug aus Afghanistan

Am 29. August 2020 hatten die USA unter Präsident Donald Trump in Doha mit den radikalen Taliban-Milizen in Afghanistan ein Abkommen unterzeichnet. Darin sagten die Amerikaner den Rückzug ihrer Truppen und aller Verbündeter zu. Die Taliban, die sich schon damals in weiten Teilen des Landes auf dem Vormarsch befunden hatten, versprachen im Gegenzug geordnete Verhältnisse beim Abzug. Zudem würden sie dafür sorgen, dass Afghanistan künftig kein ruhiges Hinterland für Terroristen werde.

Nachfolger Joe Biden hat das Abkommen übernommen und im April 2021 mit dem Abzug der US-Truppen nach knapp 20 Jahren begonnen. Am 31. August sollte der letzte US-Soldat Afghanistan verlassen. Für den Abzug der übrigen Soldaten der von den NATO-Ländern geführten ISAF-Truppen sollten die jeweiligen Staaten selbst verantwortlich sein.

Mitte August zeichnete sich ab, dass die Taliban schon inmitten des Abzugsprozesses der ausländischen Einheiten die Macht in der Hauptstadt Kabul an sich reißen. Präsident Aschraf Ghani floh mit mehreren Regierungsmitgliedern in die Vereinigten Arabischen Emirate.

Brigadegeneral: Merkel wollte „zweites Saigon“ vermeiden

Die USA stimmten am 15. August einer Einnahme des Präsidentenpalastes durch die Taliban zu. So soll ein Machtvakuum verhindert werden. Die religiös-fundamentalistischen Milizen hatten schon tags zuvor begonnen, die Hauptstadt ohne Widerstand zu erobern.

Auf den Flughäfen kam es jedoch zu chaotischen Szenen. Taliban-Gegner versuchten, sich an abhebenden Militärmaschinen festzuklammern. In Deutschland wusste man, dass sich noch zahlreiche sogenannte Ortskräfte im Land befinden. Diese Einheimischen, die mit den ausländischen Truppen zusammenarbeiteten, mussten Racheakte durch die Taliban befürchten.

Angela Merkel äußerte vor dem Ausschuss, der Abzug der Bundeswehr und die Räumung ihres größten Feldlagers Camp Marmal seien wie vorgesehen vonstattengegangen. Sie sei „sehr erleichtert“ darüber gewesen, dass der Zeitplan eingehalten werden konnte.

Der letzte Kommandeur der Bundeswehr in Afghanistan, Brigadegeneral Ansgar Meyer, hatte eigenen Aussagen zufolge den Auftrag, ein „zweites Saigon“ zu verhindern. Merkel spielte damit offenbar auf den chaotischen US-Rückzug 1975 aus Vietnam an. Szenen wie diese konnten verhindert werden.

Merkel: Demokratisierung in Afghanistan nicht “von außen zu erzwingen“

Merkel verteidigte den Bundeswehr-Einsatz als solchen. Die Intervention in Afghanistan, die nach dem 11. September 2001 auch vom UNO-Weltsicherheitsrat abgesegnet war, habe „die begründete Hoffnung“ auf ein Ausbleiben weiteren Terrors geweckt, der von dort aus geplant werde.

Bei allen anderen Zielen, von Rechtsstaatlichkeit über Kampf gegen Korruption bis zu Frauenrechten, sei die internationale Gemeinschaft gescheitert. Die kulturellen Unterschiede zum Westen „wogen schwerer, als ich es mir vorgestellt hatte“, äußerte die Altkanzlerin. Es sei nicht gelungen, ein demokratisches System ohne Vetternwirtschaft und Korruption zu initiieren:

„Es war unmöglich, das von außen zu erzwingen.“

Es habe den westlichen Verbündeten an kulturellem Verständnis gefehlt, äußerte Merkel. Zudem habe der Rauschgifthandel weiter geblüht. In Summe seien keine Voraussetzungen entstanden, um Vertrauen in der Bevölkerung aufzubauen. Außerdem habe man wohl die geopolitische Lage des Landes und den Einfluss Pakistans „nicht ganz richtig eingeschätzt“.

Merkel-Kanzleramtschef Braun: „Emirat 2.0“ für möglich – aber nicht wahrscheinlich – gehalten

Helge Braun erklärte zudem, die Bundesregierung habe sich für eine Fortsetzung des Friedensprozesses in Afghanistan auch nach dem Abzug westlicher Truppen eingesetzt. Um keinen „Vertrauensverlust“ bei potenziellen Gesprächspartnern vor Ort zu riskieren, habe man keine frühzeitigen Visa-Verfahren für Ortskräfte angeboten.

Der frühere Kanzleramtschef räumte ein, es wäre „wohl besser gewesen“, sich auf das Szenario einer direkten Taliban-Machtübernahme vorzubereiten. Dieses habe man unter dem Begriff „Emirat 2.0“ sogar mit den Nachrichtendiensten als ein mögliches Szenario durchgespielt. Abgeordnete im Ausschuss kritisierten, dass unter anderem eine Staatssekretärsrunde und ausländische Dienste dies schon 2020 für eine wahrscheinliche Entwicklung gehalten hätten.

Der BND schloss sich dieser Einschätzung nicht an. Er ging nicht von einer raschen Machtübernahme der Taliban aus. Auch Merkel erklärte, es sei ihr „erst am 13. August [2021] bewusst gewesen“, dass es zu einer zeitnahen Evakuierung des deutschen diplomatischen Personals kommen müsse.



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