„Meinhof als Lehrerin und Baader bei der Polizei – das geht nicht“

Januar 1972: Die neue Ostpolitik von SPD-Kanzler Willy Brandt unter dem Motto "Wandel durch Annäherung" hat den Eisernen Vorhang ein wenig gelüftet. Doch während die Bonner Außenpolitik die Weichen für Entspannung im Ost-West-Verhältnis stellt, weht innenpolitisch ein scharfer Wind...
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SymbolbildFoto: Sean Gallup/Getty Images
Epoch Times27. Januar 2017

Westdeutschland im Januar 1972: Es herrscht Aufbruchstimmung am Regierungssitz in Bonn. Die neue Ostpolitik von SPD-Kanzler Willy Brandt unter dem Motto „Wandel durch Annäherung“ hat den Eisernen Vorhang ein wenig gelüftet. Doch während die Bonner Außenpolitik die Weichen für Entspannung im Ost-West-Verhältnis stellt, weht innenpolitisch ein scharfer Wind: Am 28. Januar 1972 verabschieden Brandt und die Ministerpräsidenten der Bundesländer den sogenannten Radikalenerlass.

DREIEINHALB MILLIONEN MENSCHEN ÜBERPRÜFT

Die bis heute heftig umstrittene Regelung sah vor, dass ab sofort alle Bewerber für den öffentlichen Dienst auf ihre Verfassungstreue überprüft werden sollten. Nach Angaben der Linkspartei wurden in der Folgezeit etwa dreieinhalb Millionen Menschen einer sogenannten Sicherheitsüberprüfung unterzogen. Dies führte demnach zu insgesamt 11.000 offiziellen Berufsverbotsverfahren – mit dem Ergebnis, dass 1256 Menschen der Weg in der Beruf versperrt wurde und 265 ihren Job verloren.

45 Jahre danach mag es verwundern, dass ausgerechnet der Reformkanzler Brandt für diesen Erlass mitverantwortlich zeichnete und damit den Weg frei machte für die Gesinnungsprüfung bei angehenden und bereits eingestellten Staatsdienern. Doch damals wirkten in der Bundesrepublik immer noch die Studentenunruhen von 1968 nach.

FURCHT VOR RADIKALEN LINKEN

Ein Teil der breiten Studentenbewegung, die an den Universitäten gegen die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft mobil gemacht hatte, vertrat in den in den frühen 70er Jahren zunehmend radikale Positionen – einige wenige wie die Linksterroristen der Rote Armee Fraktion (RAF) schreckten auch vor Bluttaten nicht zurück.

„Ulrike Meinhof als Lehrerin und Andreas Baader bei der Polizei beschäftigt – das geht nicht“, soll 1972 der damalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident Heinz Kühn (SPD) gesagt haben. Freilich hätte das Beamtenrecht angesichts der Verbrechen von Baader und Meinhof auch ohne den Radikalenerlass genügend Handhabe geboten, die beiden RAF-Mitgründer vom Staatsdienst fernzuhalten – falls denn überhaupt Veranlassung dazu bestanden hätte.

„MARSCH DURCH DIE INSTITUTIONEN“

In Wahrheit ging damals unter den staatstragenden Politikern vor allem die Furcht vor denjenigen Linken um, die für sich den „Marsch durch die Institutionen“ ausgerufen hatten und nun nach Abschluss ihres Studiums auf einflussreiche Beamtenpositionen drängten. Dem sollte der Radikalenerlass Einhalt gebieten: Nach dessen Verabschiedung holten die Behörden zunächst beim Verfassungsschutz routinemäßig Auskünfte darüber ein, ob der Bewerber denn auch tatsächlich „Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt“.

Besonders schlechte Karten für eine Beamtenkarriere hatten Mitglieder der 1968 in Frankfurt am Main gegründeten Deutschen Kommunistischen Partei (DKP). Die Furcht vor Kommunisten im Staatsdienst trieb die Behörden dazu, Berufsverbote nicht nur etwa gegen angehende Lehrer zu verhängen – auch Briefträger oder Lokführer waren betroffen.

BIS VOR DAS VERFASSUNGSGERICHT

Die nahezu flächendeckende Überprüfung von angehenden Beamten hatte eine Vielzahl von Gerichtsverfahren zu Folge. Im Mai 1975 musste sich erstmals das höchste deutsche Gericht mit dem Radikalenerlass beschäftigen: In seinem sogenannten Radikalenurteil befand damals das Bundesverfassungsgericht, Beamte unterlägen einer besonderen politischen Treuepflicht. Die Mitgliedschaft in einer extremistischen Partei allein reiche aber für die Ablehnung des Bewerbers in der Regel allein nicht aus.

In der Folgezeit rückten der Bund und weitgehend auch die Länder vom alten Radikalenerlass ab, der die Regelanfrage beim Verfassungsschutz vorsah. Doch noch im September 1995 rügte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg die bundesrepublikanische Praxis der 70er und 80er Jahre, Anwärter oder Beamte schon aufgrund der bloßen Mitgliedschaft in einer Organisation nicht einzustellen oder zu entlassen. Und Willy Brandt hatte schon Jahre vor seinem Tod 1992 den Radikalenerlass als „Fehler“ seiner sozialliberalen Regierung bezeichnet. (afp)



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