Mehrfaches Asyl in der EU? In Griechenland anerkannte Flüchtlinge stellen neuen Asylantrag in Deutschland

Im Vorjahr sollen etwa 12.300 Asylsuchende einen Schutztitel in Deutschland erhalten haben, die in Griechenland bereits anerkannt waren. Urteile von Verwaltungsgerichten und das Innenministerium begünstigen die Entwicklung. Die EU-Asylreform könnte sie verstärken.
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Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Berlin.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von 5. März 2024

Mit großen Erwartungen hatten die Mitgliedstaaten der EU im Dezember des Vorjahres die gemeinschaftliche Asylreform beschlossen. Das „Gemeinsame Europäische Asylsystem“ (GEAS) sollte die Anzahl an Asylbewerbern in der EU begrenzen und Verfahren bereits an den Grenzen ermöglichen. Außerdem soll ein verpflichtender Solidaritätsmechanismus die Verantwortung besser verteilen. So sollen vor allem auch Hauptzielländer wie Deutschland Entlastung erfahren. Daran regen sich nun erste Zweifel.

Im Jahr 2023 rund 12.300 Anträge auf Asyl nach rechtskräftiger Anerkennung im Ausland

Anlass dazu ist ein Bericht der „Welt am Sonntag“ (WamS) über Fälle von Mehrfachasyl. Wie das Blatt unter Berufung auf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mitteilt, hat es im Vorjahr etwa 12.300 Fälle von „Mehrfachasyl“ gegeben. Insgesamt sollen es sogar mehr als 16.500 Anträge dieser Art gewesen sein.

Konkret soll es um Flüchtlinge vorwiegend syrischer und afghanischer Herkunft gegangen sein, denen nachweislich bereits zuvor Griechenland einen Schutzstatus zuerkannt hatte. In 1.900 Fällen habe sich die Angelegenheit von selbst erledigt – die betreffenden Personen seien in ein anderes Land weitergereist.

Eine Ablehnung des Asylantrages habe es jedoch nur in 2.300 Fällen gegeben. Dies wirft Fragen auf, da das Dubliner Übereinkommen und die Eurodac-Verordnung sogenanntes Mehrfachasyl gerade verhindern sollen.

Eigentlich ist Mehrfachasyl in der EU nicht vorgesehen

Das Dublin-System bestimmt, welcher Staat für die Prüfung des Erstantrags auf Asyl zuständig ist, wenn ein Asylsuchender aus einem Drittstaat in der EU einen Schutzstatus begehrt. Im Regelfall ist das jener EU-Mitgliedstaat, in den der Antragsteller zuerst eingereist ist.

In der Eurodac-Datenbank befinden sich biometrische Daten bereits erfasster Asylsuchender. Dies soll es den Asylbehörden ermöglichen, mehrfache Asylanträge zu identifizieren und damit verbundenen mehrfachen Bezug von Asylbewerberleistungen zu unterbinden. Allerdings setzt dies voraus, dass im Ersteinreisestaat bereits eine Registrierung erfolgt ist.

Wird ein Asylantrag zurückgezogen oder ist bereits eine rechtskräftige Ablehnung erfolgt, kann der Schutzsuchende einen Folgeantrag auf Asyl stellen. Ein Verfahren wird in diesem Fall jedoch nur durchgeführt, wenn ein sogenannter Wiederaufgreifensgrund nach Paragraf 51 Absatz 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegt. Dies könnte etwa eine Veränderung der politischen Situation im Herkunftsland sein oder die Beibringung neuer Beweismittel.

Ein Zweitantrag nach einem erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat ist theoretisch zwar möglich. Allerdings setzt er die gleichen Wiederaufgreifensgründe voraus wie der Erstantrag.

Sozialstandards in Griechenland als „unmenschliche und erniedrigende Behandlung“

Im Fall der in Griechenland bereits rechtskräftig anerkannten Asylsuchenden geht es nicht um abgelehnte oder zurückgezogene Asylanträge. Vielmehr ist diesen der Asylstatus bereits rechtskräftig zuerkannt worden. Dennoch hat das Bundesinnenministerium (BMI) 2023 dem „WamS“-Bericht zufolge lediglich 158 Personen von Deutschland nach Griechenland abgeschoben. Nur ein Teil der Rückführungen betraf bereits anerkannte Antragsteller.

Das Bundesinnenministerium ist sich der Problematik bewusst. Die Zögerlichkeit bei der Rückführung bereits anerkannter Asylbewerber hat auch einen Grund: Immer mehr Verwaltungsgerichte hatten in den vergangenen Jahren Abschiebungen nach Griechenland gestoppt. Dies betraf nicht nur Geflüchtete, die für die Dauer ihrer Asylverfahren in Lagern wie Moria untergebracht waren.

Auch bereits anerkannte Asylsuchende sollten nach Rechtsansicht der Gerichte nicht zurückgeschoben werden. Es sei, so hieß es mittlerweile mehrfach, die „ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung“ anzunehmen. Dies liege an fehlenden Standards bei der sozialen Absicherung von Asylsuchenden.

Verwaltungsgerichte: In Griechenland droht Flüchtlingen „in kürzester Zeit Verelendung“

Einer der Anlassfälle betraf syrische Frauen in Niedersachsen. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hatte einen ablehnenden Bescheid des BAMF aufgehoben. Die Klägerinnen hätten in Griechenland „weder durch staatliche noch sonstige Unterstützung die Chance auf Vermittlung von Wohnraum oder Sozialleistungen“.

Auch seien „elementare Leistungen wie Brot, Bett und Seife“ dort nicht gewährleistet. Zudem sei davon auszugehen, dass „bürokratische und tatsächliche Hindernisse“ auch der Integration in den Arbeitsmarkt entgegenstünden. Den Klägerinnen drohten dementsprechend „in kürzester Zeit Verelendung und ein Leben unter menschenrechtswidrigen Bedingungen“.

Dem BAMF zufolge beträfen die Entscheidungen konkrete Einzelfälle. Es sei jedoch eine politische Entscheidung vonseiten des Bundesinnenministeriums innerhalb des entsprechenden Ermessensspielraums, den Abschiebestopp auch auf andere auszudehnen. So gelte diese nun auch „für junge, gesunde Männer, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dort Arbeit finden würden“.

Das Bundesinnenministerium stellte diese Aussicht gegenüber „WamS“ in Abrede. Die Gerichte, so das Ministerium, gingen generell von einem de facto nicht vorhandenen Zugang zu Arbeit aus. Ministerin Nancy Faeser kündigte jüngst bereits eine Aufstockung des BAMF um 1.160 Stellen an. Auch sei Profit für Schleuser ausgeschlossen, da es jetzt die Einigung auf die Bezahlkarte für Asylsuchende gebe. Die Annahme ist, dass die Abzahlung bestehender Schulden bei Schleusern dadurch unterbunden würde.

15 Monate nach Ablehnung gilt weiterer Antrag auf Asyl als neuer Erstantrag

Die EU-Asylreform könnte die Situation für Deutschland sogar noch verschärfen, argwöhnt das Blatt weiter. Das Gros der Asylanträge betrifft immerhin nicht bereits rechtskräftig anerkannte, sondern abgelehnte oder unregistrierte Flüchtlinge.

Zwar soll es mehr Verfahren an den Außengrenzen geben – vor allem für Asylsuchende mit geringen Erfolgsaussichten. Die Erstaufnahmeländer hatten sich jedoch ausbedungen, nur noch für die Dauer von maximal 15 Monaten für die dort abgelehnten Asylbewerber zuständig zu sein.

Sollte eine Abschiebung aus welchen Gründen auch immer in diesem Zeitraum scheitern, sieht die Asylmanagementverordnung eine Sonderregelung vor. Stellen Betroffene nach Ablauf dieser 15 Monate in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag, gilt dieser nicht mehr als Zweit-, sondern als neuer Erstantrag.

Anfrage beim BAMF: Wie viele Fälle des „Mehrfachasyls“ nach Reform zu erwarten?

Die Epoch Times hat beim BAMF angefragt, mit wie vielen Fällen möglicher „Asyl-Binnenwanderung“ bereits in einem anderen Staat anerkannter Geflüchteter man nach Inkrafttreten der EU-Asylreform rechne.

Zudem fragten wir, ob eine Empfehlung oder ein Beschluss der EU-Mitgliedstaaten erforderlich wäre, um den Bedenken von Gerichten und Innenministerium über die soziale Situation anerkannter Asylbewerber in Griechenland Rechnung zu tragen.

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