Mehr Rüstung finanzieren: Lindner für Bremse bei Sozialausgaben – Esken will Reichensteuer einführen

Die Ukraine unterstützen, Europa hochrüsten – diese Ziele sind Ampel und Union dreistellige Milliardensummen wert. Unklar ist, was die viele Rüstung finanzieren soll. Minister Lindner und ifo-Chef Fuest wollen am Sozialen sparen. SPD-Vorsitzende Esken bringt eine Reichensteuer ins Spiel.
155-Millimeter Artelleriemunition wird beim Rüstungskonzern Rheinmetall gefertigt (Symbolbild).
155-Millimeter Artilleriemunition wird beim Rüstungskonzern Rheinmetall gefertigt (Symbolbild).Foto: Philipp Schulze/dpa
Von 24. Februar 2024

Zwei Jahre nach Beginn der russischen Militäroperation ist die militärische Lage der Ukraine wenig aussichtsreich. Auch unter den Westeuropäern würde nur eine Minderheit für das eigene Land eine Waffe in die Hand nehmen wollen. Dennoch trommeln Politiker der Ampel und der Union für mehr Rüstung und höhere Investitionen in diese. Dies wirft die Frage nach der Finanzierung auf.

Ausgaben für Rüstung könnten schon bald das Dreifache umfassen

Bundeskanzler Olaf Scholz hat wiederholt erklärt, man werde die Ukraine militärisch unterstützen, „solange es dauert“. Erst jüngst hatte der Kanzler eingeräumt, man habe „die Bundeswehr über viele Jahre vernachlässigt“. Nun sei man jedoch entschlossen, einen „europäischen Schutzschirm“ aufzuspannen und das Zwei-Prozent-Ziel der NATO einzuhalten.

Bis 2027 bleibt das 2022 geschaffene 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr aufrecht. CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter fordert dessen Aufstockung auf das Dreifache. Scholz wiederum hatte gegenüber der „Süddeutschen“ erklärt, dem Zwei-Prozent-Ziel aus dem regulären Haushalt entsprechen zu wollen.

Diese Ankündigung wurde auch in den Reihen der Ampel selbst nicht ohne Skepsis aufgenommen. Es sei absehbar, dass ein solches Vorhaben nicht ohne deutliche Einsparungen in anderen Bereichen umsetzbar sein werde. Vor allem der Gedanke, für zusätzliche Rüstung auch Sozialausgaben zu kürzen, befremdet Politiker von SPD und Grünen. Diese hatten erst jüngst ein Aussetzen der Schuldenbremse gefordert.

FDP und Union wollen Prioritäten im Haushalt erzwingen

Bereits zu Beginn der Vorwoche hatte der SPD-Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner vor „Verteilungskämpfen zulasten Armer“ gewarnt. Innere und äußere Sicherheit dürften „niemals gegen den sozialen Zusammenhalt ausgespielt“ werden. Höhere Militärausgaben bei Kürzung von Sozialausgaben und Beibehaltung der Schuldenbremse würden „Rechtspopulisten stärken“, zitiert ihn „FuldaInfo“.

Grünen-Abgeordnete Agnieszka Brugger äußerte im „Spiegel“, man müsse eine „verheerende Kürzungsdebatte“ vermeiden. Eine Debatte über Kürzungen bei Klimaschutz, Landwirtschaft oder Entwicklungszusammenarbeit, um Rüstung zu finanzieren, könne „die Sicherheit und den Konsens in der Gesellschaft in diesen ernsten Zeiten“ gefährden.

In der FDP nimmt man die Debatte jedoch mit größtmöglicher Gelassenheit wahr. Verteidigungspolitiker Alexander Müller äußerte, die erforderlichen Anschaffungen seien sinnvollerweise nicht mit neuen Schulden zu bewältigen. Vielmehr müsse man „im normalen Haushalt normal priorisieren“. Unions-Fraktionsvize Johann Wadephul stimmt der Position des Kanzlers zu. Mit der ausreichenden Finanzierung des Zwei-Prozent-Ziels aus dem laufenden Haushalt hätte dieser jedoch schon „in diesem Jahr anfangen müssen“.

Lang hält Finanzierung von Rüstung aus regulärem Etat nicht für machbar

Bundesfinanzminister Christian Lindner plädiert ebenfalls für eine Finanzierung der Ziele für die Rüstung aus dem regulären Etat. Dazu ist aus seiner Sicht ein „Moratorium bei Sozialausgaben und Subventionen“ erforderlich.

In der Sendung „Maybrit Illner“ äußerte er am Donnerstag, 22. Februar, es gehe vorerst „nicht darum, dass wir jetzt Dinge abschaffen müssen“. Es sei erforderlich, zu gewährleisten, „dass nicht immer neue Subventionen, neue Sozialausgaben, neue Standards dazukommen“. Dies drei Jahre lang durchzuhalten, wäre ein entscheidender Schritt zur Konsolidierung.

Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang sagte, die Unterstützung für die Ukraine und die wehrtechnische Unabhängigkeit von den USA seien zentral. Allerdings dürfe man „die Sicherheit nach außen nicht gegen soziale Sicherheit im Land ausspielen“. Sie bezweifelte, dass eine Finanzierung des Zwei-Prozent-Ziels aus dem laufenden Haushalt zu bewerkstelligen sei. Man müsse deshalb „andere Möglichkeiten“ finden.

„Kanonen und Butter“ oder „Kanonen statt Butter“

Clemens Fuest, Chef des Wirtschaftsforschungsinstitutes ifo, erklärte demgegenüber, „Kanonen und Butter“ wäre „Schlaraffenland“. Deshalb müsse man von „Kanonen ohne Butter“ ausgehen. Der Sozialstaat werde nicht verschwinden, er werde jedoch „kleiner ausfallen“.

Völlig anders sieht SPD-Vorsitzende Saskia Esken die Angelegenheit. Zu Kürzungen bei den Sozialausgaben sei „die Sozialdemokratie nicht bereit“ – auch nicht zur Finanzierung der Rüstung. Stattdessen sollten „reiche Menschen“ im Land „einen größeren Beitrag zum Gemeinwohl leisten“.

Vorstandschefin Michaela Engelmeier vom Sozialverband Deutschland (SoVD) sprach von einer „unanständigen“ Debatte. Sie lehnte Lindners Ansinnen ab, „bei den Ärmsten und Schwächsten der Gesellschaft“ zu sparen. Stattdessen, so Engelmeier, solle es eine „Reform der Schuldenbremse“ und eine „Vermögenssteuer für Superreiche“ geben. Zur Finanzierung der Rüstung empfiehlt sie zudem eine Übergewinnsteuer für Unternehmen und eine höhere Erbschaftssteuer.

Allein für die Betreuung Geflüchteter hat der Bund 2023 den Ländern etwa 2,75 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Seit Kriegsbeginn sind mehr als 1,1 Millionen Menschen aus der Ukraine ins Land geflüchtet. Infolge der Kriege in Libyen, im Irak und in Syrien waren ebenfalls mehr als eine Million Menschen ins Land gekommen. Kritiker halten westliche Militärinterventionen und Bemühungen, Regierungswechsel in Drittländern herbeizuführen, für einen Hauptauslöser von Fluchtbewegungen – und dadurch notwendigen Sozialausgaben.



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