Mehr junge Menschen hinter Gittern

Deutschlands größtes Jugendgefängnis in Hameln musste die Plätze aufstocken. Derzeit sitzen dort 387 Inhaftierte.
In Hameln sind derzeit 387 Jugendliche und Heranwachsende inhaftiert.
In Hameln sind derzeit 387 Jugendliche inhaftiert.Foto: Julian Stratenschulte/dpa
Von 20. Mai 2023

Die gestiegene Zahl von minderjährigen Tatverdächtigen im vergangenen Jahr spiegelt sich auch in der Belegung von Deutschlands größtem Jugendgefängnis wider. Die Plätze in der Untersuchungshaft seien aufgestockt worden, sagte Wolfgang Kuhlmann, Leiter der Jugendanstalt Hameln, der „Deutschen Presse-Agentur“ (dpa). „Wir haben seit 2022 mehr 14-Jährige und 15-Jährige, aber es ist noch zu früh, darin einen Trend zu sehen“, betonte er.

Insgesamt sind 387 Jugendliche und Heranwachsende in dem zentralen Jugendgefängnis für Niedersachsen inhaftiert. Vor der Pandemie waren es etwa 320 Gefangene. Insgesamt verfügt die Jugendanstalt Hameln über 661 Haftplätze.

Pandemie und Weltlage Gründe für wachsende Gewalt

„Wir müssen ganz dringend auf krisenhafte Entwicklungen bei jungen Leuten schauen, dazu gehören auch Straftaten“, sagte die Rechtswissenschaftlerin Theresia Höynck. Seit 2008 sei die Jugendgewalt zurückgegangen. Dazu habe auch die Prävention an Schulen beigetragen. Der jetzt zu beobachtende Anstieg der jungen Tatverdächtigen könne mit den Erfahrungen während der Pandemie zu tun haben.

Gegenüber dem „Mitteldeutschen Rundfunk“ (MDR) sagte sie, dass gerade diese Altersgruppe so kriminell sei, da sie in den vergangenen drei Jahren nicht feiern und auf die Straße gehen konnten und jetzt draußen erst richtig aktiv würden.

Auch die allgemeine Verunsicherung der Welt habe mit dieser Entwicklung zu tun. Höynck nannte in diesem Zusammenhang auch den Krieg in der Ukraine und die Klimakrise.

Zum gesetzestreuen Verhalten motivieren

Die Rechtswissenschaftlerin ist Professorin an der Universität Kassel. Kinder- und Jugendkriminalität ist einer ihrer Forschungsschwerpunkte. „Wenn wir möchten, dass junge Menschen sich positiv entwickeln können, dann müssen wir ihnen unbedingt mit etwas Kredit begegnen und dem Versuch, sie zu verstehen, und nicht sie bekämpfen.“

Die Vorstellung, dass härtere Strafen dazu führen, dass Straftaten sofort zurückgehen oder dass Abschreckung funktioniert, die ist leider trügerisch“, führte sie in der MDR-Talksendung „Fakt ist!“ aus. Es brauche Grenzsetzungen als Folge verübter Taten. Die Frage sei aber, was geeignet sei, um Grenzen zu setzen. Wichtiger sei es, „junge Menschen zu motivieren, dass sie sich gesetzestreu verhalten, dass sie eine Perspektive haben, warum sich das für sie lohnt“.

Scheinhinrichtungen unter 13-Jährigen

In derselben Sendung bestätigte der Sozialarbeiter und Anti-Gewalt-Trainer Tim Marx, dass zwar die Fallzahlen in den vergangenen Jahren gesunken seien, die Härte aber zunehme. „Die Täter werden immer jünger, immer brutaler“, sagte er. Er berichtete von 13-Jährigen, die Scheinhinrichtungen durchführten. Oder von 14-Jährigen, die den Unterarm eines anderen Kindes mit dem Kantholz durchschlagen, „um zu schauen, wie das ist, wie sich das anfühlt“.

Viele Täter würden seiner Ansicht nach „zu spät gebremst“. Die Folge sei, dass sich bei ihnen im Laufe der Monate oder Jahre „Allmachtsphantasien entwickeln“. Es fehle die Grenzsetzung: „Sie denken, mir passiert nichts, mir kann keiner was, und es gibt keine Konsequenz.“

Polizei und Justiz würden von den jungen Tätern oft belächelt, weil sie wüssten, dass sie mit einem blauen Auge davonkämen.

Bundesweit stieg 2022 innerhalb eines Jahres laut Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) die Zahl der 14- bis 18-jährigen Tatverdächtigen um 22,1 Prozent auf gut 189.000. Bei den unter 14-Jährigen war es sogar ein Anstieg um 35,5 Prozent auf rund 93.000, so die „Deutsche Presse-Agentur“.



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