Mehr Eingriff in das Leben der Menschen – die „sozial gerechte Transformation“
In Berlin wurden am Montag, 14. Oktober, aktuelle Erkenntnisse und Empfehlungen zum Thema „sozial gerechte Transformation“ diskutiert. Vertreter des Club of Rome, des Wuppertal Instituts und der Präsident des Umweltbundesamtes (UBA), Prof. Dr. Dirk Messner, nahmen an der Bundespressekonferenz teil.
In den vergangenen Jahrzehnten sei es zu einem erhöhten Wohlstand in Deutschland gekommen, aber auch zu einer „sehr ungleichen Verteilung von Wohlstand in der Gesellschaft“, sagte der Präsident und wissenschaftliche Geschäftsführer des Wuppertal Instituts, Prof. Dr. Manfred Fischedick.
Würde es so weitergehen wie bisher, sei es zu wenig und zu spät für soziale Gerechtigkeit, ergibt eine Studie des Wuppertal Instituts. Was wir jetzt bräuchten, sei ein „großer Sprung“. Man bräuchte nun Mut, „die bestehenden und nicht erst seit heute bekannten Herausforderungen aufzugreifen“. Die Begründung für den fehlenden politischen und gesellschaftlichen Mut für die notwendigen Transformationsprozesse erklärt er unter anderem mit der Notwendigkeit, in das Leben der Bevölkerung eingreifen zu müssen:
„Und wir sehen natürlich, dass bei der Umsetzung der Transformationsherausforderung wir zunehmend in den Lebensalltag der Menschen eingreifen, sei es im Energiebereich, bei der Gebäudeenergieversorgung oder auch im Mobilitätsbereich.“
Eingriff in das Leben der Menschen
In fünf zentralen Bereichen gebe es Handlungsbedarf, sogenannte Kehrtwenden. Es benötige eine „Armutswende“, denn jeder Fünfte sei in Deutschland von Armut betroffen. Es bräuchte eine „Ungleichheitswende“, „also die Verringerung der Ungleichheit, indem Dividenden geteilt und Wohlstand gerecht verteilt wird“. Die dritte Kehrtwende sei die „Ermächtigungswende“, die die Menschen hinsichtlich einer wirklichen Geschlechtergerechtigkeit ermächtigen solle. Es bräuchte außerdem eine „Ernährungswende, ein gesundes Ernährungssystem für Mensch und Planet.“ Zuletzt die schon bekannte „Energiewende“ mit einem „nachhaltigen Konsummuster“.
Höhere Steuern und Selbstzügelung
Weiter geht Fischedick auf das am selben Tag vom Club of Rome und Wuppertal Institut gemeinsam veröffentlichte Buch „Earth for All Deutschland – Aufbruch in eine Zukunft für alle“ ein. Bei seiner Zusammenfassung der Kernaussagen machte er deutlich, dass eine Transformation bereichsübergreifend stattfinden muss. „Wir sehen, dass eine ökologische Transformation ohne einen Abbau von sozialer Ungleichheit scheitern wird.“
Grundvoraussetzung für alle Wenden sei daher eine gerechtere Steuer- und Sozialpolitik. „Höhere Einkommenssteuersätze und die Vermögenssteuer für die Reichen in der Gesellschaft dürfen heute kein Tabu mehr sein, gerade weil sie in deutlich überproportionalem Maß zu Emissionen und Rohstoffbedarf beitragen“, so der Präsident des Instituts.
Alle Transformationen hätten in ihrer Umsetzung drastisch beschleunigt werden müssen, führt Fischedick weiter aus, was auch einen höheren Rohstoffverbrauch bedeute. Deshalb müsse die Umsetzung „flankiert werden mit maßvollen Lebensstilen und der Begrenzung von Luxuskonsum und einem grundlegenden Paradigmenwechsel in Richtung sparsamen Umgangs mit Ressourcen.“
Die Transformation sei finanzierbar. Sie erfordere aber sicherlich „erhebliche Zukunftsinvestitionen“. Die Gelder sollen durch den „Abbau klimaschädlicher Subventionen“, „einen progressiven Finanzierungsbeitrag der Reichen“ und „Reformen der Staatsfinanzen wie die Schuldenbremse“ mobilisiert werden.
Reichensteuer und Vergesellschaftung
Zustimmend äußerte sich Prof. Dr. Peter Hennicke vom Club of Rome. „Tax the Rich“ (die Reichen besteuern) fordere der Club of Rome „unvermittelt und sehr direkt“. Die Umsetzung des neuen Fahrplans für die Transformation müsse von den Reichen finanziert werden. Denn diese würden auch die meisten Emissionen verursachen. Eine Studie des Club of Rome zeige auf, dass die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung 50 Prozent der CO₂-Emissionen verursachen. 50 Prozent der Ärmsten würden hingegen nur 10 Prozent der Emissionen verursachen. „Also ohne den drastischen Abbau dieser Ungleichheiten sind die multiplen Krisen der Ökologie unlösbar“, fasst Hennicke zusammen.
Es müsse gerade beim ressourcensparenden Umgang mit Energie endlich was getan werden. In Deutschland sei das Thema momentan lediglich ein „Marketingslogan“. Es bräuchte jetzt eine „Demokratisierung der Wirtschaft“, erklärt er weiter. „Wir brauchen einen Dialog über Chancen und Risiken von Vergesellschaftung“ und „Sozialpflichtigkeit des Eigentums“.
Demokratisierung der Wirtschaft beinhaltet die Förderung von demokratischer Mitbestimmung der Arbeitnehmer, aber auch die „Durchsetzung […] sozialistischer Wirtschaftsformen innerhalb der kapitalistischen Produktionsverhältnisse“, wie es das „Lexikon zur Soziologie“ beschreibt. Das bedeutet die Übernahme von Betrieben oder Branchen in die staatliche Hand.
Die Sozialpflichtigkeit des Eigentums meint, dass das Eigentum dem Gemeinwohl zugutekommen und nicht für entgegenwirkende Zwecke verwendet werden soll. Hennicke bezog sich auf Artikel 14 Absatz 2 des Grundgesetzes, in dem es heißt: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ In Absatz 3 heißt es weiter: „Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig.“
Abwendung vom bestehenden Kapitalismus
Auf Nachfrage von Journalist Tilo Jung von „Jung & Naiv“, ob das Ziel „das Wohlergehen aller“ mit dem Kapitalismus funktionieren könne, sagte Hennicke: „Das ist die große Frage. Ich persönlich würde sagen, mit dem heutigen Kapitalismus, in der heutigen Form, funktioniert das nicht.“ Es bedürfe eines Diskurses über die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen.
Von einer linearen Art des Wirtschaftens zu einer zirkulären Art überzugehen, sei aber „zwingend notwendig“, ergänzte Fischedick.
Eine zirkuläre Wirtschaft basiert auf Wiederverwertbarkeit, um Ressourcen zu schonen und Abfallprodukte zu vermeiden. Kritikern zufolge sei eine solche Wirtschaft momentan jedoch zu wenig erforscht und der ökologische Nutzen umstritten. Das System hätte auch seine Grenzen, schreiben beispielsweise Jouni Korhonen, Antero Honkasalo und Jyri Seppälä in ihrem Paper „Circular Economy: The Concept and its Limitations“.
Eine wachstumsorientierte Wirtschaft müsse zum Wohle des Klimaschutzes durch einen Strukturwandel abgebaut werden. Vorrangig sei der Klimaschutz. „Ich bin Fan von Klimaschutz! Und wenn man Klimaschutz wirklich ernst nimmt, dann muss man forciert Strukturwandel betreiben, und zwar ökologisch sozialen Strukturwandel. Was nachher als Resultante, als Wachstum dabei rauskommt, ist eigentlich sekundär“, sagte Hennicke.
Ist Deutschland noch veränderungsbereit?
Messner beschreibt die aktuelle Haltung in Deutschland als „Veränderungsmüdigkeit“, was vorwiegend durch die vielen Unruhen und Unsicherheiten in der Welt verursacht werde, wie beispielsweise den Ukraine-Krieg. Die Mehrheit der Deutschen merke allerdings schon, dass etwas nicht stimmt und eine Änderung in Richtung ökologische Umgestaltung notwendig sei.
Laut der letzten Studie des UBA gebe es eine „90-40-70-Konstellation“. „90 Prozent der Bürgerinnen und Bürger wollen eine beschleunigte Klima- und Nachhaltigkeitstransformation“, erläutert er weiter, „40 Prozent der Menschen sind der festen Überzeugung, dass diese Transformation, die sie für richtig halten, ihren ökonomischen und sozialen Status untergräbt“, und „die 70 Prozent stehen dafür, dass die Menschen nicht verstehen, wohin es geht. Unsicherheit.“ Die Unsicherheit erwachse aus dem ständigen Hin- und Herspringen in der Politik. Die Unsicherheit müsse man „angreifen“, woraus wieder Veränderungsbereitschaft wachse.
Maßregelung von nicht konformen Unternehmen
Fischedick führt aus, dass besonders in der Wirtschaft ein Wandel erfolgen müsse. Wichtig für eine erfolgreiche Transformation sei eine Ausweitung von sogenannten „Sozialchecks“ in Unternehmen, die dafür sorgen würden, dass soziale und ökologische Aspekte beim Wirtschaften beachtet werden. Unternehmen, die die Kriterien erfüllen, müssten stärker gefördert werden, andere Unternehmen müssten im Laufe der Zeit verschwinden.
Wirtschaftssysteme müssten sich „weiterentwickeln“, „das heißt, diejenigen auch zu stützen, die als Unternehmen dann eher die soziale Verantwortung in den Mittelpunkt stellen, die ökologische Verantwortung in den Mittelpunkt stellen, diese dann eben stärker als bisher zu unterstützen und den anderen das Leben etwas schwerer zu machen.“
Das Wuppertal Institut beschreibt sich als „ein führender Think Tank für eine impact- und anwendungsorientierte Nachhaltigkeits- und Transformationsforschung. Im Fokus der Arbeiten steht die Gestaltung von Transformationsprozessen hin zu einer klimagerechten und ressourcenleichten Welt“.
Der Club of Rome ist ein Zusammenschluss von Experten verschiedenster Disziplinen aus mehr als 30 Ländern. 1968 gegründet, setzt sich die gemeinnützige Organisation für eine nachhaltige Zukunft der Menschheit ein. Wegweisend war der erste Bericht „Grenzen des Wachstums“ aus dem Jahr 1972. (tp)
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