Martin Schulz-Phänomen? Scholz holt die SPD zurück
Es gibt ein allgemein bekanntes Sprichwort: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Dieser Spruch war vielleicht in noch keinem der vergangenen Wahlkämpfe so zutreffend wie in diesem gerade begonnenen. Ein Kanzlerkandidat, der von den Medien sträflich vernachlässigt wurde, schnellt plötzlich in den Wählerumfragen nach oben und überholt die bisher breit diskutierten Kandidaten von Union und Grüne.
Die Rede ist von Olaf Scholz, der als Kanzlerkandidat der SPD gerade dabei ist, für seine Partei das Eisen aus dem Feuer zu holen. Laut Experten ist es seiner neu gewonnenen Beliebtheit zu verdanken, dass die Sozialdemokraten zum ersten Mal seit einem Jahr die Grünen im Sonntagstrend des Meinungsforschungsinstituts INSA überholt haben. In der wöchentlichen Umfrage für die „Bild am Sonntag“ kommen die Sozialdemokraten jetzt auf 20 Prozent. Das sind zwei Prozentpunkte mehr als in der Vorwoche. Die Grünen verharren bei 18 Prozent, die Liberalen bei 12 Prozent. Eine Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP käme damit auf 50 Prozent und hätte eine parlamentarische Mehrheit.
Der Abwärtstrend von CDU/CSU geht hingegen weiter. Die Union verliert in der INSA-Umfrage einen Prozentpunkt und kommt nun auf 25 Prozent. Die AfD bleibt bei 11 Prozent, die Linke bei 7 Prozent. Eine schwarz-rote oder schwarz-grüne Zweierkoalition hätte damit keine Mehrheit. Möglich wäre aber zum Beispiel eine Jamaika-Koalition aus Union, Grünen und FDP oder ein Bündnis aus CDU, SPD und FDP.
Laut Umfragen ist Olaf Scholz inzwischen doppelt so beliebt wie seine Kontrahenten Armin Laschet und Annalena Baerbock. Bei INSA erreicht er 29 Prozent, zwei Prozentpunkte mehr als in der Vorwoche. Das ist laut „Bild am Sonntag“ der höchste Wert, der von INSA in diesem Wahlkampf für einen Kandidaten gemessen wurde. Für den Unionskandidaten Laschet würden demnach 15 Prozent stimmen (plus ein Prozentpunkt), für Grünen-Kandidatin Baerbock 13 Prozent (unverändert). 30 Prozent gaben an, sie würden keinen der drei Kandidaten wählen wollen.
Davon profitiert Scholz
Analytiker gehen davon aus, dass der SPD-Mann in erster Linie von den Schwächen Laschets und Baerbock profitiert. „Die Wählerschaft der Union ist in Auflösung begriffen“, sagt Manfred Güllner vom Meinungsforschungsinstitut Forsa. „Aus Frust über die mangelnde Performance des Kanzlerkandidaten wandern frühere und potenzielle Wähler nicht nur zu den Grünen und zur FDP, sondern inzwischen auch zur SPD und ins Lager der Nichtwähler.“
Zudem scheint Scholz persönlich Qualitäten vorweisen zu können, die ihn mehr als die beiden anderen kanzlertauglich zu machen scheinen. Der „Tagesspiegel“ stellt fest: „Die Methode Scholz ist der Methode Merkel nicht unähnlich. Er lässt sich nicht provozieren, der Jurist ist ein Arbeitstier, gilt als unaufgeregt, verlässlich, immer auf der Suche nach einem Kompromiss, auch wenn der längst nicht immer gut ist. Und er kann sich mit Leuten, die ihn zuvor bekämpft haben, arrangieren, siehe Esken, Walter-Borjans und die Jusos. Scholz ist mehr Kopf-, als Bauchpolitiker, kontrolliert seine Botschaften, kann Krise. Und Scholz machte auch einfach weiter, als es vermessen schien, dass die SPD überhaupt noch einen Kanzlerkandidaten aufstellte – und blieb als einzige sinnvolle Option über.“
Im vergangenen Jahr war Scholz im eigenen Lager noch recht unbeliebt und unterlag im Kampf um den Parteivorsitz. Im linken Lager war er nicht gemocht wegen seines Einsatzes für die Große Koalition. Nun scheinen jedoch alle an einem Strang zu ziehen, und das Mitglied der Atlantik-Brücke könnte als der große Gewinner der Corona-Krise hervorgehen.
Innerhalb der SPD gehört Scholz zum konservativen Flügel. Er zählte zu den Befürwortern der „Agenda 2010“- Politik von Gerhard Schröder, die den „Umbau des Sozialstaates und seine Erneuerung“ beinhaltete. Die Hartz-IV-Reform war ein Teil davon. Er war Befürworter einer Rente ab 67, verteidigt aber im Moment das Rentenalter gegen Anhebungsversuche der CDU.
Da hat er nicht geglänzt
Der derzeitige Finanzminister ist jedoch auch umstritten. Als Erster Bürgermeister von Hamburg hatte er bürgerkriegsähnliche Zustände beim G20-Gipfel im Jahr 2017 zu verantworten.
Im Cum-Ex-Skandal wird ihm vorgeworfen, Einfluss auf die steuerliche Behandlung der Hamburger Warburg-Bank genommen zu haben, die über Jahre in Cum-Ex-Geschäfte (Steuerhinterziehung) verwickelt war. Treffen mit dem Miteigentümer der Bank hatte er erst viel später eingeräumt und sich auf Gedächtnislücken berufen. Brisant sind die Treffen deshalb, weil die Stadt Hamburg später mögliche Steuernachforderungen von 47 Millionen Euro verjähren ließ, eine weitere über 43 Millionen Euro wurde erst nach Eingreifen des Bundesfinanzministeriums im Jahr 2017 geltend gemacht. Insgesamt kostet die Affäre den Steuerzahler Milliarden.
2018 machte Kanzlerin Angela Merkel ihn zu ihrem Stellvertreter und Finanzminister. Also solcher geriet er zuletzt im Skandal um den Milliardenbetrug beim Pleitekonzern Wirecard in die Kritik. Das Unternehmen soll jahrelang seine Bilanzen gefälscht haben, ohne dass Kontrollbehörden einschritten. Scholz musste sich vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags verantworten.
Dafür setzt er sich ein
Scholz ist Treiber und Verfechter der globalen Steuerreform, die beim G20-Treffen im Juli in Venedig beschlossen wurde. Demnach sollen internationale Unternehmen künftig nicht nur in ihrem Heimatland Steuern zahlen, sondern auch da, wo sie Geschäfte machen. Großkonzerne wie Amazon und Google müssten dann beispielsweise in Deutschland auf ihre Umsätze künftig eine Mindeststeuer in Höhe von 15 Prozent zahlen. Andersherum müssten auch deutsche Autokonzerne, die beispielsweise großen Umsatz in China verzeichnen, dort Steuern zahlen.
Ob Deutschland am Ende von der Reform, die 2023 in Kraft treten soll, profitiert, ist ungewiss. „Deutschen Unternehmen drohen Wettbewerbsnachteile, Doppelbesteuerung und administrative Zusatzbelastungen“, sagte Dr. Monika Wünnemann, Leiterin der Abteilung Steuern und Finanzen im BDI. Möglicherweise werde sich das deutsche Steueraufkommen durch die Reform sogar verringern – und zwar durch die Neuverteilung der Besteuerungsrechte zugunsten der Staaten, in denen die Produkte verkauft werden.
Und was hat der 63-Jährige innenpolitisch vor?
In einer Zeit, in der bei vielen der Geldbeutel immer kleiner wird, gibt er vor, vor allem eines im Sinn zu haben: Er will die Anhebung des Mindestlohns zu seinem zentralen Regierungsvorhaben machen. „Mein wichtigstes Gesetz, das ich sofort auf den Weg bringe, ist, für zehn Millionen Bürgerinnen und Bürger eine Gehaltserhöhung zu organisieren“, verspricht er.
Der Journalist und ehemalige Herausgeber des „Handelsblatts“ Gabor Steingart nimmt das etwas genauer unter die Lupe und verdeutlicht, dass Scholz mit einer staatlichen Lohnfestsetzung am Ende den Gesamtwohlstand der Gesellschaft gefährde. Er schreibt: „Laut Zahlen des Statistischen Bundesamts von April 2018 verdient rund jeder vierte deutsche Beschäftigte weniger als zwölf Euro pro Stunde. Vom aktuellen Mindestlohn, der bei einem Stundensatz von 9,60 Euro liegt, profitieren nur 1,42 Millionen. Somit würde Scholz aus rund acht Millionen Niedriglohnbeschäftigten, zu denen auch Berufseinsteiger und Teilzeit-Jobber gehören, künftig Mindestlohnbeschäftigte machen. Die Tarifautonomie – die den Preis der Ware Arbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretern aushandelt – wäre damit spürbar eingeschränkt. Die staatliche Preisfestsetzung würde rund ein Viertel aller Erwerbstätigen betreffen.“
Steingart stellt weiter fest, dass der Finanzminister hier offenbar das Wahlkampfversprechen des amerikanischen Präsidenten Joe Biden kopiere. Der versprach den Amerikanern 15 Dollar pro Stunde.
Steingart beendet seine Kurzanalyse mit Worten von Ludwig Erhard, der als Vater des „deutschen Wirtschaftswunders“ und des als Soziale Marktwirtschaft bezeichneten Wirtschaftssystems der Bundesrepublik Deutschland Geschichte geschrieben hat. Dieser soll sich nämlich die von ihm eingeführte Soziale Marktwirtschaft anders vorgestellt haben. Erhard sagte:
Das erfolgversprechendste Mittel zur Erreichung und Sicherung jeden Wohlstands ist der Wettbewerb.“
Umfragen sind keine Prognosen für den Wahlausgang
Nun, Wahlumfragen sind keine Wahlergebnisse und generell immer mit Unsicherheiten behaftet. Unter anderem erschweren nachlassende Parteibindungen und immer kurzfristigere Wahlentscheidungen den Meinungsforschungsinstituten die Gewichtung der erhobenen Daten. INSA gibt eine statistische Fehlertoleranz von maximal 2,8 Prozentpunkten an. Grundsätzlich spiegeln Umfragen nur das Meinungsbild zum Zeitpunkt der Befragung wider und sind keine Prognosen für den Wahlausgang.
So sieht es auch CDU-Urgestein Wolfgang Bosbach. Gegenüber Epoch Times erklärt er: „Momentan profitiert die SPD ganz eindeutig von den guten persönlichen Werten ihres Kanzlerkandidaten Olaf Scholz, der sich langsam aber kontinuierlich nach oben gearbeitet hat. Allerdings ist er Profi genug,um zu wissen, dass Wahlen nicht sechs Wochen vorher, sondern erst im letzten Moment entschieden werden. Bei Zweifeln sollte er Martin Schulz fragen.“
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion