„Made in Germany“ unter Druck: WSJ sieht Deutschland vor Ende seines Erfolgsmodells
Mit einer düsteren Analyse zur Situation in Deutschland wartete das „Wall Street Journal“ (WSJ) am Sonntag, 26.1., auf. In einem ausführlichen Beitrag ist die Rede von einem Ende des jahrzehntelangen Erfolgsmodells der deutschen Wirtschaft – und vom Fehlen eines „Plan B“.
Ausgangspunkt der Betrachtung war die Situation in Ingolstadt, dem Stammsitz von Audi, einem Teil des Volkswagen-Konzerns. Im November meldete Audi einen Gewinneinbruch von 91 Prozent für das dritte Quartal. Der VW-Konzern insgesamt hatte in jenem Zeitraum 63 Prozent eingebüßt. Ingolstadt müsse deshalb ausbleibende kommunale Steuermittel von knapp 100 Millionen Euro befürchten. Die Stadt denkt über eine Absage des traditionellen Bürgerfests nach, die Angst vor einem Detroit-Schicksal geht um. Dort hatte eine Stadt sich fast ausschließlich auf die Autoindustrie ausgerichtet. Deren Niedergang riss die Stadt insgesamt mit sich. In der deutschen Autoindustrie stehen derweil tausende Jobs auf dem Spiel.
WSJ: BIP in Deutschland hat seit 2019 de facto stagniert
Das WSJ macht deutlich, dass Audi vor dem gleichen Problem steht wie auch der Rest der deutschen Autoindustrie. Jene Unternehmen, die in China für den dortigen Markt produzieren, verlieren dort drastisch an Boden. Dies liegt zum einen am auch dort schleppend verlaufenden Wirtschaftswachstum, zum anderen an der Konkurrenz durch einheimische Anbieter. Diese rollen gleichzeitig zunehmend den deutschen Automarkt auf.
Die Zeitung erwähnt, dass das BIP in Deutschland seit 2019 de facto auf der Stelle tritt, zuletzt schrumpfte die deutsche Wirtschaft sogar zweimal in Folge. Es sei die größte Krise seit den 2000ern, als die Arbeitslosigkeit bis auf 12 Prozent gestiegen war. Anders als damals sei jedoch keine unpopuläre, aber wirksame Reformagenda in Sicht.
Jacob Kirkegaard, europäischer Berater des Peterson Institute for International Economics (Washington, D.C.), äußert:
Ohne schnell wachsende Exportmärkte ist das deutsche Modell tot.“
Diese wachsen jedoch nicht schnell: Während Chinas BIP noch vor wenigen Jahren in einem Ausmaß von etwa zehn Prozent pro Jahr gewachsen war, ist es mittlerweile maximal die Hälfte. Der Welthandelsorganisation (WTO) meldet ein stagnierendes globales Handelsvolumen.
Deindustrialisierung in vollem Gange
Allianz-Chefökonom Ludovic Subran attestiert der Politik und der deutschen Öffentlichkeit, die Lage in unzutreffender Weise einzuschätzen. Diese glaubten immer noch an einen „Ausrutscher, den man auf die übliche Art und Weise ausbügeln kann“. Deutschland sei durch die Herstellung und den Export technischer Produkte wie Autos, Roboter, Züge oder Maschinen – zur drittgrößten Volkswirtschaft der Welt aufgestiegen.
Nun wende sich die Welt von „Made in Germany“ ab. Mittlerweile sei die Wirtschaftsentwicklung die Hauptsorge der Bevölkerung – noch vor Migration, Sicherheit und Klimawandel. Die Politik komme verstärkt mit Vorschlägen auf, Investitionen, Konsum und Absatz zu fördern. Es sei von neuen Handelsabkommen die Rede, kurzfristige Maßnahmen seien im Gespräch. Allerdings seien kaum ernst zu nehmende Ideen zur Ankurbelung des innereuropäischen Handels oder zur Öffnung der teils stark regulierten Technologie- und Dienstleistungssektoren zu bemerken.
Eine Deindustrialisierung ist unterdessen in vollem Gange. Die Industrieproduktion in Deutschland ist dem WSJ zufolge seit 2018 um 15 Prozent gesunken. Im verarbeitenden Gewerbe sank die Zahl der Beschäftigten im gleichen Zeitraum um drei Prozent. In der Metall- und Elektroindustrie drohen Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf zufolge bis zu 300.000 Entlassungen in den nächsten fünf Jahren. Seit 2021 seien mehr als 300 Milliarden Euro an Investitionskapital aus Deutschland abgeflossen.
Deutschland hat allein auf den Export gesetzt
Derzeit sei jeder vierte Arbeitsplatz in Deutschland vom Export abhängig, schreibt das WSJ weiter. Mehr als zwei Drittel aller Autos würden exportiert. Mittlerweile gingen 43 Prozent aller in Deutschland produzierten Güter in den Export, viermal so viel wie in den USA. Gleichzeitig habe die Politik immer höhere Hürden für Investitionen in IT oder Infrastruktur geschaffen.
In Ingolstadt hatte der Audi Quattro in den 1980er Jahren einen Boom ausgelöst. Die Popularität von Audi sicherte dem Konzern auch in den wechselvollen Jahren nach der Wiedervereinigung gute Geschäfte. In den frühen 2000ern machten die Schröder-Reformen das Land konkurrenzfähig, niedrige Herstellungskosten trugen zum Aufstieg Deutschlands zum weltgrößten Warenexporteur der Jahre 2003 bis 2008 bei.
Ab 2016 geriet das Erfolgsmodell zunehmend unter Druck. Die erste Präsidentschaft von Donald Trump in den USA brachte Zölle und weitere protektionistische Maßnahmen wieder auf die internationale Tagesordnung. Die Corona-Pandemie belastete die Lieferketten, der Ukrainekrieg und die Energiekrise trieben die Preise in die Höhe. Dazu hinkt Deutschland in Bereichen wie Software und KI hinterher.
Investoren wollen sich in Ingolstadt ansiedeln – darunter chinesischer E-Auto-Bauer
Die Allianz weist darauf hin, dass in Deutschland nur 3,1 Prozent des BIP in Forschung und Entwicklung investiert würden – gegenüber 3,6 Prozent in den USA und 5,2 Prozent in Südkorea. Das WSJ zitiert eine Einschätzung des IW-Wirtschaftsinstituts und der gewerkschaftsnahen Denkfabrik IMK.
Diesen zufolge müsse Deutschland in den nächsten zehn Jahren 600 Milliarden Euro ausgeben, um die Infrastruktur funktionstüchtig zu machen. Diese müssten der Modernisierung des Bildungssystems, der Verbesserung der Verkehrsnetze und des Stromnetzes sowie der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung dienen. Die Problematik der Verteidigungsausgaben sei damit noch nicht einmal mit eingepreist.
Das WSJ nennt als weitere Baustellen die Belastung deutscher Arbeitnehmer ohne Kinder mit im Schnitt 47,9 Prozent durch Steuern und Sozialabgaben. Dazu komme die hohe Sparquote der Deutschen von 20 Prozent ihres Einkommens. Gegenüber 2019 sei das ein Plus von zwei Prozent – und Rolf Bürl vom Nürnberger Institut für Marktentscheidung hält auch das für ein Problem:
Jeder Anstieg der Sparquote um einen Prozentpunkt entzieht der Wirtschaft 25 Milliarden Euro an Nachfrage.“
Immerhin gibt es in Ingolstadt und im nahe gelegenen Schweinfurt doch noch den einen oder anderen interessierten potenziellen Investor. Allerdings illustrieren diese bisweilen sogar die vom WSJ beschriebene Situation. In Ingolstadt soll OB Christian Scharpf zufolge eine großes chinesisches Ingenieurunternehmen sein deutsches Hauptquartier errichten wollen. In Schweinfurt könnte auf dem Gebiet der früheren US-Kaserne der chinesische Automobilkonzern XPeng eine E-Auto-Fabrik bauen.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion