Zusammenfassung: Deutsche Politiker zur aktuellen Lage

Das Kanzleramt bittet um Verständnis für Härten, der Außenminister wirbt um Besonnenheit. In Berlin und Stuttgart wird gegen die Auflagen demonstriert.
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Reichstag.Foto: iStock
Epoch Times3. Mai 2020

Außenminister Heiko Maas wirbt für Besonnenheit bei der Aufhebung der weltweiten Reisewarnungen. „Wenn Leute nicht nur wieder ins Ausland fliegen können, sondern auch mit hinreichender Sicherheit zurückkommen, dann können wir die Reisewarnung schrittweise zurückfahren“, sagte der SPD-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Es darf dabei aber keine Schnellschüsse geben. Wir können und werden im Sommer nicht noch einmal eine Viertelmillion Menschen aus dem Urlaub zurückholen.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten der Länder hatten wegen der Corona-Pandemie im März umfassende Einschränkungen beschlossen, unter anderem der Bewegungsfreiheit. Auch eine weltweite Reisewarnung des Auswärtigen Amtes gilt weiterhin, sie war am Mittwoch bis Mitte Juni verlängert worden. Schon Ende Juni beginnen in einigen Bundesländern die Sommerferien.

Konkreter Exit-Plan erwünscht

Zuletzt waren Rufe nach einer Aufhebung der Maßnahmen oder zumindest einen konkreten Fahrplan dafür immer lauter geworden, insbesondere aus der Wirtschaft.

Sachsen-Anhalt hat für den Wochenbeginn eine Lockerung der Kontaktbeschränkungen angekündigt. Von Montag an dürfen dann bis zu fünf Menschen zusammen unterwegs sein, auch wenn sie nicht in einem Haushalt leben.

Der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz kritisierte das Vorgehen. „Ich finde es ein bisschen befremdlich. Es gab in dieser Woche ein Gespräch, es gibt in der nächsten Woche ein Gespräch aller Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin“, sagte er „SWR aktuell Rheinland Pfalz“. „Das ist eine sehr enge Vertaktung, da muss man nicht zwischendurch ausscheren.“ In Sachsen-Anhalt gibt es vergleichsweise wenige Corona-Fälle.

In Berlin zogen am Samstag mehrere hundert Menschen auf die Straße, um gegen die Auflagen zu protestieren. Bei einer ähnlichen Kundgebung in Stuttgart waren es nach Veranstalterangaben sogar 5000, die Polizei äußerte sich zur Teilnehmerzahl nicht. Bundesweit fanden zuletzt ähnliche Demos statt. Kritiker befürchten deren Vereinnahmung durch Verschwörungstheoretiker und Rechte.

Steinmeier und Seehofer

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bezeichnete Diskussionen über das Ausmaß der Beschränkungen als wichtig. „Das erzeugt der Politik gegenüber den heilsamen Zwang, täglich zu begründen, wie lange solche Maßnahmen verantwortbar sind“, sagte Steinmeier der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.

Die Maßnahmen sieht er in Deutschland nicht als Gefahr für die Demokratie. Die Demokratie nehme Schaden, wo die Krise missbraucht werde, um autoritäre Strukturen zu verstärken. Dafür gebe es Beispiele in Europa. „Ich sehe aber nicht, dass diese Sorge bei uns gerechtfertigt ist.“

Bundesinnenminister Horst Seehofer sieht die Grundrechte ebenfalls nicht in Gefahr. Die Einschränkungen seien zwar die tiefsten in der Geschichte der Bundesrepublik, schrieb er in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“. Sie unterlägen aber gerichtlicher Kontrolle, einige Maßnahmen seien auch aufgehoben worden – „ein Beleg dafür, dass die Gewaltenteilung auch in der Krise funktioniert“.

Seehofer lobt Merkel und spekuliert über ihre fünfte Amtszeit

Das vielfach gelobte Vorgehen Angela Merkels in der Corona-Krise führt nach dem Eindruck von Innenminister Horst Seehofer im politischen Berlin zu Diskussionen über eine fünfte Amtszeit der Bundeskanzlerin.

„Ich kann nicht bestreiten, dass ich den Gedanken in letzter Zeit öfter gehört habe“, sagte Seehofer der „Bild am Sonntag“. Der CSU-Politiker lobte, die frühere CDU-Chefin führe Deutschland „gerade sehr stark durch die Krise“. Er erlebe sowohl im Kabinett als auch im Zusammenspiel mit den Ministerpräsidenten eine „hervorragende Teamarbeit“ und führe das auf die „strategische Führung“ Merkels zurück. „Wir können froh sein, dass wir in dieser Situation eine solche Kanzlerin an der Spitze unseres Landes haben.“

Angela Merkel (65) hatte zusammen mit ihrem Rückzug vom CDU-Vorsitz bereits im Oktober 2018 angekündigt, dass sie nicht für eine weitere Amtszeit im Kanzleramt zur Verfügung steht.

Seehofer lobte den Beitrag von Christen, Juden und Muslimen zur Bewältigung der Coronakrise. „Christen an Ostern, Juden an Pessach und Muslime im Ramadan – alle mussten und müssen auf gemeinsame Gottesdienste und Feiern im Familien- und Freundeskreis verzichten.“

Kubicki beklagt Grundrechtseinschränkungen

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) hat die in Deutschland eingeführten Grundrechtseinschränkungen scharf kritisiert. „Mittlerweile habe ich das Gefühl, einige Ministerpräsidenten gefallen sich in der Rolle, dass sie auftreten können wie Sonnenkönige und den Eindruck vermitteln, die Gewährung von Freiheiten seien Gnadenakte“, sagte Kubicki der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.

Dass die Regierung ihre Maßnahmen mit wechselnden Kennzahlen begründe, der Verdopplungszahl der Infizierten oder der sogenannten Reproduktionsrate, halte er für rechtlich problematisch.

„Heute habe ich gelernt, dass der R-Wert offenbar gar nicht mehr alleine aussagekräftig ist, anders, als es die Bundeskanzlerin Mitte April noch vermittelte. Was mich wundert, weil wesentliche Grundrechtseinschränkungen mit diesem R-Wert begründet worden sind.“ Das mache ihn langsam nervös.

„Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hat erklärt, dass alles, was der Staat macht, nachvollziehbar sein muss“, sagte Kubicki und unterstellte, manche der vom Robert-Koch-Institut veröffentlichten Zahlen seien politisch motiviert.

Bayerns Staatskanzleichef Florian Herrmann reagierte darauf verärgert: „Das sind Vorwürfe, die man normalerweise nur von der AfD kennt.“ Es handele sich um Verschwörungstheorien. „Ich kenne unsere Wissenschaftler hier. Das sind weltweit anerkannte Epidemiologen und Virologen. Ich glaube, die kennen jedes Virus persönlich. Die haben überhaupt keinen politischen Ehrgeiz. Diesen Vorwurf halte ich für äußerst problematisch“, sagte Herrmann der FAS.

Nachdem Kubicki Unterschiede zwischen bayerischen Kennzahlen und den vom Robert-Koch-Institut genannten Kennzahlen kritisiert hatte, sagte Herrmann: „Was Kubicki nicht berücksichtigt: Die Zahlen des Robert-Koch-Instituts und die Landeszahlen können aufgrund des Meldeverzugs im Tagesrhythmus variieren. Das ist nicht der Hinweis auf eine Weltverschwörung. Das sind bürokratische Abläufe.“

Grenzen „keinen Tag länger als nötig“ geschlossen halten

Angesprochen auf entsprechende Gerichtsurteile sagte Kanzleramtschef Helge Braun der „Welt am Sonntag“: „Ich verstehe und akzeptiere jedes einzelne Urteil. Aber ich empfinde es schon als Herausforderung, wenn sich Gerichte auf den Gleichheitsgrundsatz berufen, um einzelne unserer Maßnahmen aufzuheben oder zu modifizieren.“

Helge Braun (CDU) nahm Wissenschaftler gegen die Kritik an ihren unterschiedlichen Einschätzungen und Empfehlungen in der Coronakrise in Schutz. „Ich halte diese Kritik für sehr, sehr problematisch“, sagte Braun der „Welt am Sonntag“. Die Wissenschaft beantworte die Fragen bezüglich der Ansteckungswege, identifiziere besonders betroffene Gruppen, modelliere die Infektionsdynamik und forsche an Therapien und Impfstoffen. „Im Lichte der Beantwortung dieser Fragen gestaltet die Politik die Entscheidungen. Nicht die Wissenschaft“, sagte Braun weiter.

Außenminister Maas betonte in den Zeitungen der Funke Mediengruppe, die Grenzen in Europa dürften „keinen Tag länger als nötig“ geschlossen bleiben. Aber auch bei den Grenzöffnungen müsse die Regierung „kontrolliert und koordiniert vorgehen, um nicht die Fortschritte im Kampf gegen das Virus aufs Spiel zu setzen, für die wir alle in den letzten Wochen einen Teil unseres normalen Lebens geopfert haben“.

Grüne: „Ermüdungseffekte“

Die Erfolge bei der Eindämmung von SARS-CoV-2 bergen nach Meinung des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann allerdings auch eine Gefahr. Er gehe davon aus, dass Ermüdungseffekte eintreten, sagte der Grünen-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. „Das ist ja auch nur menschlich.“ Es liege an der Politik, unermüdlich darauf hinzuweisen, wie wichtig die disziplinierte Einhaltung der Maßnahmen ist. „Denn sie wirken, das sieht man jetzt.“

Die Grünen beschlossen derweil auf einem Parteitag ein Konzept, das Wirtschaft und Gesellschaft nach der Krise wieder auf die Beine helfen soll. Herzstücke sind ein Konjunkturprogramm von 100 Milliarden Euro noch in diesem Jahr, das auch den Umwelt- und Klimaschutz voranbringen soll, mehr Geld für Bedürftige und Eltern sowie ein gemeinsamer Fonds der EU-Staaten von einer Billion Euro.

Bundespräsident Steinmeier warnte davor, dass der Höhepunkt der Pandemie vermutlich erst bevorstehe. Der komme, wenn in den ärmeren Regionen der Welt, wo die Gesundheitssysteme schwach seien, die Infektionsraten zunähmen. „Das betrifft uns alle“, sagte Steinmeier. „Es gibt keinen Exit aus der Weltgemeinschaft.“ (dpa/dts/ks)



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