LNG-Protest auf Rügen spitzt sich zu – „Politik hat Angst, uns Bürger zu verlieren“

Die Protestformen auf Rügen nehmen immer offensivere Formen an. Jetzt treten zunehmend „Umweltaktivisten“ in Erscheinung, mit Aktionen, die teilweise mit massivem Polizeieinsatz beendet werden müssen. Die Rügener Bürgervereinigungen vermissen weiterhin einen offenen und ehrlichen Dialog abseits vom „stillen Kämmerlein“ mit der breiten Bevölkerung.
Greenpeace-Aktivisten liegen mit einem Schlauchboot vor einem Schiff im Hafen von Mukran.
Greenpeace-Aktivisten liegen mit einem Schlauchboot vor einem Schiff im Hafen von Mukran.Foto: Gregor Fischer/Greenpeace Germany/dpa
Von 26. September 2023

Der Protest gegen die LNG-Vorhaben der Bundesregierung vor Rügen reißt nicht ab und wird konfliktgeladener. Nach mehreren friedlichen Demonstrationen und verschiedenen öffentlich wirksamen Aktionen von LNG-Gegnern werden zunehmend auch strafbare Protestformen genutzt.

Zuvor gab es einige wenige Bürgerversammlungen auf Rügen, bei denen die Bürger ihre Interessen zu wenig ernst genommen sahen. Sie kritisieren, dass die Politik, zuvorderst die Landesregierung und die Bundesregierung, ihre Sorgen und ihr Haltung zu den LNG-Terminals und der Pipeline zu wenig berücksichtigen.

Währenddessen wurden zwei Anträge des Naturschutzbundes (NABU) und der Deutschen Umwelthilfe (DUH) vom Bundesverwaltungsgericht abgelehnt. Mit ihnen sollte ein Baustopp erwirkt werden. Eine Klage der Gemeinde Binz ist vor dem Bundesverwaltungsgericht noch anhängig.

„Umweltaktivisten“ treten in Erscheinung

Zunehmend treten „Umweltaktivisten“ in Erscheinung, mit Aktionen, die teilweise mit massivem Polizeieinsatz beendet werden müssen.

So sonderten sich am 23.9. Protestler der Gruppe „Ende Gelände“ bei einem angemeldeten Protestmarsch nahe dem Hafen Mukran mit circa 700 Teilnehmern ab. Diese drangen dann in ein umzäuntes Hafengelände ein, wo Verlegerohre lagern, die noch vom Bau der Nordstreamleitungen stammen und jetzt für die Pipeline von Mukran nach Lubmin genutzt werden.

Aufgerufen hatten zum Protestmarsch die Gruppe „Ende Gelände“ zusammen mit der „Bürgerinitiative Lebenswertes Rügen“ und „Fridays for Future“. Teilgenommen hatten darüber hinaus auch die „Bürgervereinigung Zukunft Sellin“ und andere dem LNG-Projekt ablehnend gegenüberstehende Gruppen und Bürger.

„Ende Gelände“ besetzte zeitweise das Hafengelände und besprühte die Verlegerohre. Es kam zu Rangeleien mit der Polizei, die die Aktion zunächst nicht zu verhindern vermochte. Später bekam die Polizei die Lage unter Kontrolle. Die Polizei geht nach eigenen Angaben einem Anfangsverdacht auf Hausfriedensbruch und eventuell auf Sachbeschädigung nach.

Verlegeschiff geentert: „Rote Linie des friedlichen Protestes wurde überschritten“

Zuvor hatten bereits am Morgen des 21.9. Greenpeace-Mitglieder in Piratenmanier das Pipeline-Verlegeschiff „Castoro 10“ geentert, das im Greifswalder Bodden begonnen hat, Rohre für die Anbindung der geplanten LNG-Terminals zu verlegen. Mit mehreren Schlauchbooten kaperten sie das Verlegeschiff und sorgten für eine Unterbrechung der Arbeiten.

Einige Mitglieder kletterten auf den Kranausleger des Schiffes, rollten ein 13 Meter großes Banner mit der Aufschrift „Gas zerstört“ aus und ketteten sich dann fest. Etwa 100 Einsatzkräfte der Polizei waren daraufhin bis zum Abend im Einsatz, um die Aktivisten vom Schiff wieder zu entfernen – darunter auch die Wasserschutzpolizei, ein Höheninterventionsteam, Spezialkräfte der Polizei und ein Polizeihubschrauber.

Gascade, der zukünftige Betreiber des geplanten Fernleitungsnetzes, sagte bei „NDR MV Live“, die Greenpeace-Aktion hätte eine rote Linie des friedlichen, demokratischen Protestes überschritten.

Die Polizei erklärte, dass es sich bei der Aktion um einen unangemeldeten Protest handelte, was eine Straftat im Sinne des Versammlungsgesetzes bedeute, so eine Polizeisprecherin zum NDR. Die durch den Arbeitsausfall entstandenen Kosten könnten Greenpeace in Rechnung gestellt werden. Die Polizei erklärte zudem, dass strafrechtlich relevante Vorfälle, wie eine Gefährdung des Schiffsverkehrs, Hausfriedensbruch, Nötigung und Verletzung des Luftverkehrsgesetzes, aufgenommen wurden.

„Wünschen uns offenen und ehrlichen Dialog“

Gegenüber der Epoch Times zeigte sich die Vorsitzende der Bürgervereinigung Zukunft Sellin, Andrea Kähler (61), enttäuscht darüber, dass bis jetzt kein echter Dialog zwischen der Politik, Experten, den Investoren und beteiligten Firmen sowie den regionalen Behörden, Verbänden und Bürgerinitiativen zustande gekommen ist.

Daher fiele in den Bürgerinitiativen immer häufiger der Begriff „ziviler Ungehorsam“, die Konfliktbereitschaft gegenüber staatlichen Behörden wachse. Man sehe zunehmen den Kampf Rügens gegen das LNG-Projekt als Kampf für die Demokratie, so die Juristin.

Am Wochenende habe man lange lebendige Diskussionen unter den einheimischen LNG-Gegnern und den rund 1.000 angereisten Protestlern geführt, berichtet Kähler, die in Sellin gewählte Gemeindevertreterin ist.

„Solch einen offenen und ehrlichen Dialog, wünschten wir uns von Anfang an mit den Befürwortern des Projektes.“ Denn nur wer miteinander rede, könne Kompromisse finden, so Kähler. Sie kritisiert: Immer wieder versuche die Politik im Hintergrund hinter verschlossenen Türen, Gespräche mit Bürgermeistern und wichtigen Entscheidern unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu führen.

DIW-Studie: „Mukran zur Vermeidung einer Gasmangellage nicht notwendig“

Unter den Protestteilnehmern auf Rügen war auch der Wirtschaftswissenschaftler Christian von Hirschhausen. Er ist Professor für Infrastrukturpolitik der TU Berlin und Forschungsdirektor für die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Der Wissenschaftler stellte am Wochenende auf Rügen die kürzlich veröffentlichte LNG-Studie des DIW vor, die im Auftrag der Deutschen Umwelthilfe erstellt wurde.

Sie kommt zu dem Schluss, dass die geplante neue Infrastruktur im Hafen in Mukran im Widerspruch zu den Nachhaltigkeitszielen stehe. „Sie gefährdet ebenso den Lebensraum der Ostsee, verursacht zusätzliche klimaschädliche Emissionen und behindert eine nachhaltige regionale Wirtschaftsentwicklung.“

Auch dem immer wieder durch die Bundesregierung betonten energiewirtschaftlichen Notwendigkeit, das Risiko einer drohenden Gasmangellage vorzubeugen, erteilt die Studie eine Absage. Durch die Stabilisierung der deutschen und europäischen Erdgasmärkte im Jahr 2023 habe sich die energiewirtschaftliche Situation im Vergleich zum Vorjahr wesentlich verändert. „Es hat im Winter 2022/23 keine Gasmangellage gegeben, und auch für den Winter 2023/24 ist diese nicht absehbar.“

Die zu Beginn der Heizperiode 2023/24 vorherrschenden Speichervolumina von knapp 240 TWh in Deutschland, genauer gesagt 1.070 TWh in ganz Europa, sowie die im System befindlichen Mengen an Erdgas würden ausreichen, selbst in sehr kalten Wintermonaten sowohl Deutschland als auch Osteuropa auskömmlich zu versorgen, stellt die Studie fest.

Somit sei Mukran zur Vermeidung einer Gasmangellage nicht notwendig. „Die Bundesregierung sollte den Ausbau der LNG-Infrastruktur stoppen“, so Hirschhausen bei der Vorstellung der DIW-Studie auf Rügen laut TAZ.

Protestgruppen vernetzen sich

Kähler zeigt sich empört, dass das Bergamt Stralsund vor einiger Zeit dem LNG-Projekt vor Rügen eine Vorabgenehmigung pauschal aussprach, ohne dass alle Antragsunterlagen eingereicht waren. „Und dabei fällt ja durch das LNG-Beschleunigungsgesetz die Umweltverträglichkeitsprüfung weg und das, obwohl in einem Biosphärenreservat die LNG-Rohre verlegt werden.“

Zudem erklärt sie: „Wir erleben eine Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern, die nicht weiß, wie sie mit dem Thema umgehen soll.“ Erst sei man für LNG. Nach Widerstand und Proteste sei man dann zurückgerudert. Jetzt möchte man gegen Deals, also gegen Kompensationszahlungen, dann doch eventuell zustimmen und das positiv begleiten, wenn die Region davon profitiere.

Wir nehmen das ganz klar als einen Ausverkauf unserer Heimat für Geld wahr, und das lehnen wir ab.“

Dazu gehöre auch die 500 Millionen-Investition des Bundes für den Schienenausbau und Infrastrukturausbau auf Rügen. „Obwohl von 39 Rügener Gemeinden 37 das LNG-Vorhaben ablehnen und zahlreiche Bürgermeister ebenso denken, wollen viele sich öffentlich nicht so klar positionieren.“

„Politik hat Angst, uns Bürger zu verlieren“

„Auf der einen Seite hat die Politik Angst, uns Bürger zu verlieren. Auf der anderen Seite stehen die Lokalpolitiker und Bürgermeister auch unter Druck. Wenn sie sich gegen LNG sperren, gibt’s keine Fördermittel, oder sie fliegen raus aus Fraktion oder Amt.“ Im Moment wären viele nicht bereit, mutig zu sein, so die Gemeindevertreterin.

Maik Peltzer (55) ist stellvertretender Vorsitzender der Bürgervereinigung Zukunft Sellin. Er ergänzt Frau Kähler dahin gehend, dass bei den Rügenern der Tenor überwältigend sei, dass LNG auf der Insel eine Farce sei. „Gefühlt sind 90 Prozent der Rüganer gegen LNG.“ Die Protestbewegungen seien eine Mischung aus Zugezogenen, aus Menschen aus den alten Bundesländern und den Alteingesessenen.“ LNG sei ein Thema, was über Rügen hinausgehe, so Kähler.

Die Bürgerinitiativen auf Rügen entstanden ursprünglich, weil der wachsende Tourismus auf der Insel auch als Bedrohung von den Menschen hier wahrgenommen wurde, führt Peltzer aus. Jetzt versuche man eine LNG-Industrie auf der Insel aufzubauen, was die Natur und somit die Haupteinnahmequelle gefährde – den Tourismus. „Die hohen Qualitätsstandards, die für den Tourismus so wichtig sind, können wir so nicht mehr halten“, so der gelernte Masseur und medizinischer Bademeister. Bürgerinitiative sollten als Partner und nicht als Feind oder Gegner gesehen zu werden. Hier fehle es an Verständnis für gesellschaftliches Engagement.

Kähler berichtet, dass man sich beim LNG-Protest entsprechend vernetze. „Wir haben jetzt aktuell eine Mail aus Niedersachsen bekommen. Da gibt es das LNG-Terminal in Wilhelmshaven und die organisieren jetzt auch Proteste und wollen sich mit uns zusammentun.“

Für sie sind die LNG-Proteste ein Zeichen, dass sich die Bürger in der Politik wieder mehr zu Wort melden. Da gibt es schon Parallelen zur DDR und 1989, auch wenn dies nicht dasselbe wäre.



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