Mützenich will Schuldenbremse auch 2024 aussetzen – Scholz vermeidet Festlegung
In der Bundestagsdebatte nach der Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sind Differenzen der Koalition im Umgang mit der Schuldenbremse offenkundig geworden. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich forderte am Dienstag im Plenum auch für den Haushalt 2024 ein Aussetzen der Verschuldungsregel. Zur Begründung verwies Mützenich auf die anhaltenden Folgen des Ukraine-Krieges. Zudem brauche das Land „Zukunftsinvestitionen“.
Über die Etataufstellung 2024 hinaus forderte der SPD-Fraktionschef „grundsätzliche Korrekturen an der Schuldenbremse“. Die Verschuldungsgrenze im Grundgesetz sei eine „wahllos gegriffene politische Größe“, bei der sich die Frage stelle, ob sie noch „angemessen ist angesichts der Herausforderungen dieser Zeit“.
„Klempner der Macht“: Merz spricht Scholz Eignung für Kanzleramt ab
Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) hat auf die Regierungserklärung von Scholz im Bundestag mit scharfen persönlichen Attacken reagiert. Unter dem Applaus seiner Fraktion sprach Merz dem Kanzler am Dienstag die Eignung für das Amt rundweg ab. „Die Schuhe, in denen Sie stehen als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, sind Ihnen mindestens zwei Schuhnummern zu groß“, sagte der CDU-Chef an Scholz gewandt.
Scholz sei allenfalls ein „Klempner der Macht“, dem eine Vision für die Zukunft des Landes fehle, sagte Merz. „Verglichen mit den Kanzlern, die Ihre einstmals so stolze Partei, die SPD, in diesem Land hier gestellt hat, muss man doch spätesten seit dieser Regierungserklärung zu dem Schluss kommen: Sie können es nicht.“
Merz rechtfertigte in seiner Rede noch einmal die letztlich erfolgreiche Klage seiner Fraktion vor dem Bundesverfassungsgericht. „Wir haben über dieses Urteil nicht triumphiert“, sagte Merz. „Uns ist die Tragweite dieses Urteils sehr wohl bewusst.“
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt kritisierte, dass sich Kanzler Scholz in seiner Regierungserklärung nicht in der Frage des Umgangs mit der Schuldenbremse im kommenden Etat positioniert hatte. „Ich hätte erwartet, dass sie ein klares Bekenntnis abgeben, dass Sie die Schuldenbremse 2024 einhalten“, sagte der CSU-Politiker.
Kretschmer: Staatskrise verhindern
Das Bundesverfassungsgericht hatte die Umwidmung von 60 Milliarden Euro im Haushalt 2021 für nichtig erklärt. Das Geld war als Corona-Kredit bewilligt worden, sollte aber nachträglich für den Klimaschutz und die Modernisierung der Wirtschaft eingesetzt werden. Nun steht es nicht mehr zur Verfügung.
Zugleich entschieden die Richter, der Staat dürfe sich Notlagenkredite nicht für spätere Jahre auf Vorrat zurücklegen. Weil der Bund das aber gemacht hat, sollen für das laufende Jahr nun nachträglich Kredite über fast 45 Milliarden Euro genehmigt werden.
Die Opposition hatte Scholz gedrängt, sich zu den Folgen des Urteils im Bundestag oder mit einer Fernsehansprache zu äußern. Am Freitag hatte der Kanzler dann eine Videobotschaft veröffentlicht. Darin sicherte er den Bürgern schnelle Entscheidungen über das weitere Vorgehen zu und betonte, staatliche Hilfen in besonderen Notlagen seien weiter möglich. Allerdings gebe es jetzt klare Vorgaben dafür.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst monierte, die Ampel habe es in zwei Jahren geschafft, den Ruf Deutschlands als Stabilitätsanker zu ruinieren.
Der Kanzler habe es selbst in der Hand, das Ruder herumzureißen – „mit Ehrlichkeit statt immerwährenden Tricksereien“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer (beide CDU) sagte dem „Tagesspiegel“, es gehe darum, eine Staatskrise zu verhindern.
Union will Nachtragshaushalt prüfen
Das Kabinett hatte am Montag einen Nachtragshaushalt für das laufende Jahr auf den Weg gebracht und damit auch erste Schritte für die Aussetzung der Schuldenbremse im Bundestag.
Unionsfraktionschef Friedrich Merz kündigte eine genaue Prüfung des Nachtragshaushalts an. Erst anschließend werde die Fraktion entscheiden, ob sie dagegen vor dem Verfassungsgericht klagen werde, sagte Merz, der auch CDU-Vorsitzender ist. Mit der von der Ampel geplanten Konstruktion scheine es aber einen Weg zu geben, den Nachtragshaushalt verfassungskonform auszugestalten.
„Das heißt nicht, dass wir dem Haushalt zustimmen. Das sehe ich nicht“, betonte Merz und ergänzte: „Aber die Frage, ob wir dagegen klagen, sehe ich im Augenblick auch nicht gestellt.“
Für den Haushalt 2024, der von der Ampel noch überarbeitet werden muss, sei dagegen alles offen. „Wenn die Bundesregierung der Meinung ist, dass sie auch für 2024 eine außergewöhnliche Notlage feststellen lassen sollte, dann sehe ich dies nicht als verfassungskonform an, jedenfalls aus heutiger Sicht.“ Dann werde die Union dagegen gegebenenfalls wieder vorgehen.
Lindner erwartet harte Verhandlungen
Finanzminister Christian Lindner bereitete die Ampel-Fraktionen im Bundestag bereits auf harte Verhandlungen über den Haushalt für das kommende Jahr vor. „Für die endgültige Aufstellung des Bundeshaushalts 2024 werden noch erhebliche Kraftanstrengungen erforderlich sein“, schreibt der FDP-Politiker in einem Brief an die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP, der dpa vorliegt. „Wir werden intensive Diskussionen führen müssen, die nicht immer einfach sein werden.“
FDP-Fraktionschef Christian Dürr schwor die Bürger derweil auf einen Sparkurs in den nächsten Jahren ein. „Wir werden weit über diese Wahlperiode hinaus maßhalten müssen“, sagte er dem „Stern“. Er bekräftigte auch in den ARD-„Tagesthemen“, dass die FDP zur Schuldenbremse stehe. (dpa/afp/red)
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