Linkspartei verliert weiter Mitglieder – und gibt Wagenknecht die Schuld

In den vergangenen vier Wochen hat die Linkspartei mehr als 800 Mitglieder verloren. Die Führung macht Ex-Fraktionschefin Wagenknecht dafür zum Sündenbock.
Titelbild
Abstimmung auf Linke-Parteitag in Erfurt 2022.Foto: über dts Nachrichtenagentur
Von 14. Oktober 2022

An dieser Stelle wird ein Podcast von Podcaster angezeigt. Bitte akzeptieren Sie mit einem Klick auf den folgenden Button die Marketing-Cookies, um den Podcast anzuhören.

In der Zeit zwischen dem 8. September und dem 10. Oktober hat die Linkspartei einer ersten Erhebung zufolge mindestens 809 Mitglieder verloren. Dies teilte die Pressestelle der Partei auf Anfrage des ARD-Politikmagazins „Kontraste“ mit, berichtete der rbb.

Das Magazin hatte sich vor allem aus einem Grund für diese Zahl interessiert: Am 8. September hatte die frühere Fraktionschefin Sahra Wagenknecht in der Bundestagsdebatte über den Haushalt des Wirtschaftsministeriums gesprochen. In ihrer Rede hatte sie die Russland-Sanktion wegen des Ukraine-Kriegs scharf kritisiert. Der Bundesregierung warf sie in diesem Kontext vor, „einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun zu brechen“.

Pressestelle der Linkspartei rechnet Details vor

Die Parteiführung der Linkspartei scheint die Zahl der Austritte zum Anlass zu nehmen, Wagenknecht zur Verantwortlichen für den Niedergang der Partei zu machen. Bereits im Vorjahr retteten nur drei Direktmandate den Linken den Verbleib im Bundestag.

Die letzte Landtagswahl, bei der die Partei Zugewinne verbuchen konnte, war jene in Baden-Württemberg im März 2021. Der Sprung von 2,9 auf 3,6 Prozent reichte jedoch nicht für einen Einzug. Im Saarland stürzte die Linkspartei gar von 12,8 auf 2,6 Prozent ab.

Wie die Pressestelle vorrechnet, seien im ersten Halbjahr 2022 pro Tag 10,6 Austritte zu verzeichnen gewesen – die Partei hatte damit 1.917 Mitglieder verloren. Im Zeitraum seit der Wagenknecht-Rede seien es pro Tag 24,5 gewesen. Die meisten Austritte seien der Geschäftsstelle zufolge mit Bezug auf die Äußerungen der Politikerin erfolgt. Einer davon war jener des Hauptgeschäftsführers des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider.

Von 2,3 Millionen auf 57.320 Mitglieder

Die Pressestelle teilte zudem gegenüber „Kontraste“ mit: „Eine solch hohe Zahl der Austritte gab es zu keinem Zeitpunkt zuvor.“ Ob dies zutrifft, lässt sich schwer nachvollziehen – denn bis dato machte die Partei kaum öffentliche Angaben zur Entwicklung der Mitgliederanzahl in einem Monat.

Was die Entwicklung der Mitgliederzahl von Jahr zu Jahr anbelangt, hatte die Partei jedoch schon deutlich gravierende Einbußen zu verkraften. Im letzten Bestandsjahr der DDR-Staatspartei SED verlor diese in mehreren Wellen mehr als eine Million Mitglieder. Noch 1987 hatte die Einheitspartei mit 2.328.331 ihre höchste Mitgliederzahl verbuchen können.

Die Nachfolgepartei PDS wies für das Jahr 1990 noch 285.000 Mitglieder aus, im Jahr darauf waren es nur noch 172.579. Bis 2006 fiel der Mitgliederbestand weiter auf 60.338, ehe die Vereinigung mit der westdeutschen WASG zur Linkspartei ein deutliches Mitgliederplus brachte.

Die höchste Mitgliederzahl als „Die Linke“ wies die SED-Nachfolgepartei im Jahr 2009 auf, als ihr 78.000 Personen angehörten. Bis 2011 sank dieser Bestand jedoch auf 70.000. Allein zwischen Juni 2011 und Juni 2012 verließen, so der „Spiegel“ damals, über 4.300 Mitglieder die Partei. Die letzte aktuelle Mitgliederzahl der Linkspartei vom 30. Juni 2022 betrug 57.320.

Linkspartei-Gründung bewahrte PDS vor Schicksal als Regionalphänomen

Beobachter auch aus dem Umfeld selbst bezweifeln, dass sinkende Mitgliederzahlen und ausbleibende Wahlerfolge der Linken monokausal auf eine Person zurückzuführen sind. Vielmehr deutet sich an, dass es der Partei nicht mehr gelingt, widersprüchliche ideologische Positionen und Milieus zusammenzuhalten.

Schon unmittelbar nach der Wiedervereinigung zeigten sich in der damaligen PDS erhebliche Spannungen. DDR-nostalgische, autoritäre, aber politisch eher pragmatische Ost-Sozialisten und radikale, stark ideologisierte West-Verbände sorgten schon damals für Uneinigkeit. Während es der PDS im Osten immerhin gelang, sich lange über der 20-Prozent-Marke zu halten, blieben Erfolge im Westen weitgehend aus.

Dies änderte sich erst durch den Zusammenschluss mit der WASG. Vor allem der frühere SPD-Spitzenpolitiker Oskar Lafontaine konnte Wählerschichten im Westen erschließen, die zu keiner Zeit für die PDS ansprechbar gewesen wären. Mit dem Widerstand gegen die Hartz-Reformen fand die Linke auch ein gesamtdeutsches Thema.

Innerparteiliche Kämpfe von Flügeln und Milieus

Die Linkspartei konnte sich in weiterer Folge auch in mehreren westdeutschen Ländern etablieren. Programmatisch und stilistisch näherten sich frühere PDS- und frühere WASG-Kader zunehmend an. Allerdings stand sie schon bald vor neuen Unwägbarkeiten. Die ostdeutsche Wählerschaft begann zunehmend den „Heimat“-Faktor bei der Linkspartei zu vermissen – und das Aufkommen der AfD auf der Rechten schadete der Partei vor allem in den neuen Bundesländern.

Im Westen hingegen stieß die Linkspartei trotz eines zunehmenden gesamtgesellschaftlichen Linksrucks in der Ära Merkel auf eine gläserne Decke. Gegenüber den „hippen“, medial favorisierten Grünen konnte die Partei, die immer noch mit DDR-Stallgeruch und Hartz IV assoziiert wurde, linksaußen nicht punkten.

Dies stürzte die Partei in die nächste Identitätskrise. An die Stelle des Antagonismus zwischen DDR-Altkadern und West-Autonomen trat jener zwischen „Lifestyle-Linken“ und „Anti-Imperialisten“, die zumeist auch die „Verteilungsfrage“ stellten.

Hamburger Landesverband strebt „außenpolitische Neuausrichtung“ an

Der Ukraine-Krieg ließ diesen grundlegenden Konflikt nun vollends eskalieren – und in diesem Kontext ist auch die gegenwärtige innerparteiliche Front gegen Wagenknecht zu erklären. Die „Junge Welt“ berichtete jüngst über die Situation im Landesverband Hamburg.

Dort forderten Vorstandsmitglieder den Ausschluss mehrerer Mitglieder, die am 1. Oktober an einer Friedensdemonstration teilgenommen hatten. Dass auch Anhänger der Partei „dieBasis“ an dieser beteiligt waren, nahmen die Landessprecher der Linken zum Anlass, gegen „Putin-Versteher“ in den eigenen Reihen zu poltern. Die Landesspitze kündigte „harte Konsequenzen sowie eine außenpolitische Neuausrichtung“ an. Sie sprach sich für Waffenlieferungen an die Ukraine aus.

Der frühere Linke-Bürgerschaftsabgeordnete Martin Dolzer warf der neuen Spitze daraufhin Opportunismus vor:

Die Landesprecher wollen offensichtlich die Friedensposition der Partei entsorgen, um ihre eigene Karriere zu befördern und Die Linke für vermeintlich mögliche Regierungskoalitionen zu profilieren.“

Die Neuausrichtung bedeute „faktisch die Verlängerung des Krieges“, so Dolzer. Sie zeige zudem „eine ahistorische Herangehensweise auf dem Rücken der Bevölkerungen in der Ukraine, im Donbass und weltweit“.

De Masi bescheinigt Linkspartei „eklatantes Versagen“

Prominente Austritte wie jener des Europapolitikers Fabio De Masi haben ebenfalls weniger mit der Person Wagenknecht als mit den Umgangsformen in der Linken zu tun. Auf Facebook schreibt dieser zu seinem Austritt:

Meine Entscheidung ist nicht Teil einer Flügelauseinandersetzung und ich habe nicht vor, mich in absehbarer Zeit in einer anderen politischen Formation zu engagieren. […] Aber ich möchte nicht mehr in Verantwortung für das eklatante Versagen der maßgeblichen Akteure in dieser Partei in Verantwortung genommen werden, die eine große Mehrheit der Bevölkerung im Stich lassen, die eine Partei brauchen, die sich für soziale Gerechtigkeit und Diplomatie überzeugend engagiert.“

Obwohl er für eine Position eingetreten sei, die „unmissverständlich den Krieg Putins verurteilt“, hätte er sich „eine differenzierte Debatte“ über Sanktionen und deren Wirkung gewünscht.
„Leider hat sich jedoch mein Eindruck bestätigt, dass diese Auseinandersetzung in der Linken nicht mehr produktiv geführt werden kann.“

Korte beklagt „fehlende Souveränität“ im Umgang

Der anhaltische Bundestagsabgeordnete Jan Korte beklagt ebenfalls das Niveau und den Stil der Debatte innerhalb der Linken. Auf Facebook erklärt er:

Während wir ein Theaterstück aufführen, sorgen sich die Menschen in diesem Land darum, wie sie künftig die Energierechnungen begleichen oder ihren Einkauf bezahlen sollen. Ich war gerade erst bei der Tafel in Zerbst, in meinem Wahlkreis. Dort musste man einen Aufnahmestopp verhängen, weil die vielen Menschen, die dort Hilfe suchen, überhaupt nicht mehr versorgt werden können.

Für diese Leute ist DIE LINKE einmal gegründet worden, um ihnen Hoffnung auf ein Leben in Würde zu geben. Für diese Leute müssen sich unsere Diskussionen in den letzten Tagen anfühlen wie ein Arschtritt.

Was unserem Laden gerade am dringendsten fehlt, ist die Souveränität im Umgang miteinander. Dafür gibt es einige Gründe, auch den, dass all die Wahlniederlagen in den vergangenen Monaten zu wenig aufgearbeitet wurden.“

Verbot von „Harry Potter“ gefordert

Eine andere Lebenswelt scheint demgegenüber jene von Bijan Tavassoli zu sein. Dieser hatte laut „Hamburger Morgenpost“ erklärt, kein Mann mehr zu sein, sondern eine Frau. Auf dem Landesparteitag hatte er folglich für den weiblichen Landesvorsitzendenplatz kandidiert.

Tavassoli sei „laut eigener Aussage wegen einer Corona- und wahrscheinlichen Affenpocken-Infektion“ nicht anwesend gewesen. Er habe stattdessen einen Mann mit Kapuzenpullover und Maske die Bewerbungsrede stellvertretend vortragen lassen. In dieser sei ein Verbot aller Bücher von Harry-Potter-Schöpferin J.K. Rowling und die Legalisierung von Crystal Meth gefordert. Zudem seien diverse Parteimitglieder beleidigt worden. Der Tavassoli-Vertreter ließ sich dem Blatt zufolge erst „unter Handgreiflichkeiten“ vom Rednerpult entfernen.

(Mit Material von dts)



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion