Liberale beharren auf Lindner-Papier – Esken: „Regieren notfalls auch ohne FDP“

Die Beteiligten bewahren nach dem ersten Krisengipfel der Ampelspitzen vor dem Koalitionsausschuss am Mittwoch Stillschweigen. Die FDP macht jedoch immer stärker deutlich, auf dem jüngst publizierten Lindner-Wirtschaftspapier zu beharren.
Titelbild
Krisengipfel in Berlin mit Kanzler Olaf Scholz (im Bild links), Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner.Foto: Maja Hitij/Getty Images
Von 4. November 2024

Am frühen Montagnachmittag, 4. November, ist das erste von mehreren angesetzten Krisengesprächen der Spitzen der Ampelkoalition in Berlin zu Ende. Über konkrete Inhalte halten sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) noch bedeckt.

Bis Mittwoch sollen noch mindestens zwei Runden dieser Art stattfinden. Sie könnten eine Vorentscheidung über den Fortbestand der Koalition bringen. Anlass für die Krisentreffen ist das am Freitag bekannt gewordene Papier zur „Wirtschaftswende“ von Lindner. In diesem hatte der FDP-Chef eine „grundlegende Revision politischer Leitentscheidungen“ und sogar ein Ende für den „deutschen Sonderweg beim Klimaschutz“ angekündigt.

Esken: „Auf Ausstieg der FDP aus der Koalition vorbereitet

Als erste Stimmen von einem „Scheidungsbrief“ sprachen und Analogien zu 1982 bemühten, ruderte Lindner zurück. Er beklagte eine „Indiskretion“, die dazu geführt habe, dass das Papier an die Öffentlichkeit gelangt sei. Eigentlich, so schrieb Lindner an Parteifreunde, sei dieses zunächst „nur im engsten Kreis der Bundesregierung“ zur Beratung vorgesehen gewesen. Auch die Parteispitze und die Fraktion wollten nicht darüber informiert gewesen sein.

Allerdings hatte das Papier zu diesem Zeitpunkt bereits längst seine Wirkung entfaltet. Selbst bei den Sozialdemokraten ist mittlerweile von einer „Woche der Entscheidung“ die Rede. SPD-Chefin Saskia Esken geht derweil auf Konfrontation. In einer Pressekonferenz am Montag deutete Esken an, auch im Fall eines Platzens der Ampel nicht zwingend den Weg zu Neuwahlen frei zu machen.

Man sei „bereit, mit der Situation – so wie sie sich entwickelt – umzugehen“, so Esken, und man sei „darauf auch gut vorbereitet“. Ob Esken damit eine rot-grüne Minderheitsregierung gemeint hat oder ein Gesprächsangebot an die Union, ist ungewiss. Eine eigene parlamentarische Mehrheit hätte Rot-Grün nicht.

Gabriel findet an einzelnen Elementen des Lindner-Papiers Gefallen

Am Sonntag hatte Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel gegenüber „Bild“ geäußert, das Lindner-Papier enthalte „viel Vernünftiges“, dies zumindest, wenn man es „von seinen ideologischen Seifenblasen befreit“. Konkret fand die Forderung nach einem Ende der bürokratischen Überregulierung bei ihm Gefallen.

Auch dass Lindner davon spreche, den „Sozialstaat an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes zu binden“, bewertete Gabriel als positiv. Schließlich begrüßte er auch die Idee, die „Fehlanreize beim Bürgergeld abzuschaffen“.

Dass es aus der FDP Querschüsse dieser Art gebe, sei deren „Kampf ums politische Überleben“ geschuldet. Gabriel erklärte, Union und SPD sollten „froh sein, wenn ihnen die FDP als möglicher Koalitionspartner erhalten bleibt“. Allerdings mahnte er auch Lindner zu Kompromissen bei der Schuldenbremse. Er solle auf die Bundesbank statt auf „seine finanzpolitischen Taliban-Berater“ hören.

Esken hingegen sieht das Papier lediglich als „Beitrag zum Wahlkampf“ statt zu einer Debatte. Sie erklärte, keinen einzigen der darin angeklungenen Vorschläge umsetzen zu wollen. Auch der scheidende Grünen-Sprecher Omid Nouripour erklärte in seiner letzten Pressekonferenz, es werde keine Aufweichung oder Verschiebung der Klimaziele geben.

Dreiergipfel in Berlin: Wirtschaftsminister Robert Habeck kommt zu einem Treffen mit Kanzler Scholz und Finanzminister Lindner. Foto: Maja Hitij/Getty Images

FDP setzt Habeck unter Zugzwang

Aber auch in der FDP mehren sich die Stimmen, die ein baldiges Ende der Koalition als immer konkretere Option betrachten. Zwar werde es bis Mittwochabend im Koalitionsausschuss keine „spontane Entscheidung“ geben, erklärte Generalsekretär Bijan Djir-Sarai in der „Zeit“. Auf die Frage, ob dieser Koalitionsausschuss das Ende der Ampel markieren könne, äußerte er:

„Das wird man sehen.“

Djir-Sarai beharrt darauf, dass am Ende der Gespräche zwischen Scholz, Habeck und Lindner „sehr konkrete Dinge“ stünden, die eine „Grundsatzentscheidung zur Wirtschaftspolitik“ darstellten. Der Generalsekretär ließ auch keinen Zweifel daran, dass die Lindner-Vorschläge die Grundlage dafür sein müssten.

Die FDP wolle nun auch wissen, „was der eigentlich zuständige Wirtschaftsminister vorschlägt“. Dessen bisherige Wirtschaftspolitik sei jedoch „nicht erfolgreich“ gewesen. Auch Bundestagsfraktionschef Christian Dürr forderte eine Entscheidung zwischen „Subventionsstrohfeuern und strukturellen Veränderungen“. Das Lindner-Konzept sei durchgerechnet und finanzierbar. Außerdem habe es die Rückendeckung der Wirtschaft.

Scholz: „Bestehe darauf, dass Regierung ihre Arbeit macht“

Dies war auch die Botschaft der Mittelstandsvertreter auf dem Wirtschaftsgipfel im Lindner-Ministerium. Aufgrund des Krisengesprächs mit Scholz und Habeck erschien der Minister dort verspätet. Er wurde jedoch über die Stimmung unter den Teilnehmern unterrichtet. Auch dort hieß es, das Lindner-Papier eigne sich, um die dringend benötigte Wirtschaftswende anzustoßen. Die FDP solle auf dessen Beschluss im Koalitionsausschuss beharren oder Neuwahlen ermöglichen.

Ein vorzeitiges Ende der Ampel im Koalitionsausschuss würde auch den Haushalt 2025 infrage stellen. Für Donnerstag, 14. November, ist die sogenannte Haushaltsbereinigungssitzung im Bundestag angesetzt. An eine Verschiebung ist nicht gedacht. Der Koalitionsausschuss muss für diese jedoch eine tragfähige Lösung finden.

Bundeskanzler Olaf Scholz nahm im Rahmen einer gemeinsamen Pressekonferenz mit NATO-Generalsekretär Mark Rutte zum Koalitionsstreit Stellung. Es müsse „um Pragmatismus und nicht um Ideologie“ gehen, mahnte der Kanzler. Es gebe einen Koalitionsvertrag, der umgesetzt werden müsse, so Scholz:

„Ich bestehe darauf, dass die Regierung ihre Arbeit zu machen hat.“



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