Ehemaliger Afghanistan-Oberst der Bundeswehr kritisiert Ortskräfte-Romantik in den Medien
Die Evakuierung afghanischer Ortskräfte von Kabul nach Deutschland ist derzeit beendet. Nach vorläufigen Angaben des Bundesinnenministeriums wurden 138 sogenannte Ortskräfte und 496 ihrer Familienangehörigen nach Deutschland gebracht.
Allerdings gehe man im Ministerium aufgrund von „sehr vielen Nachmeldungen“ davon aus, „dass der Anteil derer, die einen Bezug zu Ortskräften haben, für die gesamte Bundesregierung inzwischen bei mehr als 40.000 Personen liegt“, berichtet die ARD-„Tagesschau“. Die „Berliner Zeitung“ verweist unterdessen auf im Chaos nach Deutschland zurückgekehrte kriminelle Afghanen, die zuvor wegen schwerer Straftaten abgeschoben worden waren. Ein weiterer Punkt, der die Gefährlichkeit der Evakuierungen betrifft: Frankreich gab kürzlich bekannt, dass man mehrere Taliban-Islamisten unter den Evakuierten aufgespürt habe. Sie wurden in einer Ortschaft nahe Paris unter Quarantäne gestellt. Allerdings wurde offenbar einer von ihnen bereits in Paris von der Polizei aufgegriffen.
Leserbrief eines Afghanistan-Kommandanten
Vor diesem Hintergrund und einer drohenden Fluchtwelle aus Afghanistan schrieb der ehemalige Kommandant des Camp Warehouse in Kabul, Oberst Dr. Thomas Sarholz, einen Leserbrief an die FAZ zu ihrer Afghanistan-Berichterstattung. Sarholz leitete seinen Angaben nach 2005/2006 diese damals größte internationale Militärbasis in Afghanistan rund zehn Kilometer östlich von Kabul. Ihm unterstanden „ungefähr 2.400 Soldaten aus mehr als 20 Nationen“.
In seinem Brief dankte der Insider der Zeitung für ihre „ausführliche Berichterstattung zu den Vorgängen in Afghanistan“ am 24. August und hob speziell die Ausführungen zur Evakuierung der Ortskräfte und ihrer Angehörigen hervor. Der Oberst a. D. erklärte, dass er damals auch einige Ortskräfte zur Verfügung hatte, junge Männer, die die Situation in der sie umgebenden Gesellschaft „haargenau“ gekannt hätten. Er erklärte aber auch, dass er bezüglich der Ortskräfte einen anderen Zugang habe, „als der, der üblicherweise in den Medien verbreitet wird“.
Romantisch-idealisierend – und unrealistisch
Mit den „romantisch-idealisierenden Vorstellungen“ von den Ortskräften im Westen räumte der ehemalige Basis-Befehlshaber jedoch auf, diese seien dort unbekannt oder stießen auf völliges Unverständnis: „Selbstlosigkeit war das Letzte, was diese Leute angetrieben hat, um für uns zu arbeiten.“ Das Leben in Afghanistan sei viel zu hart, um sich mit derartigem „Wohlstandsgefasel“ zu beschäftigen, so Sarholz. Die Ortskräfte seien für afghanische Verhältnisse fürstlich belohnt und gut behandelt worden. Es habe sich für sie gelohnt.
Doch wie sieht es mit ihrer Loyalität aus? Der Oberst a. D. erklärte, dass sich ein Afghane ausschließlich über seine Familien- und Stammeszugehörigkeit definiere. Individualismus sei unbekannt. „Gehörten sie starken Familien, Stämmen, Clans an, haben auch diese davon profitiert und schützten diese Leute. (…) Gehörten sie zu schwächeren Gruppen, waren Schutzgeldzahlungen fällig, um nicht umgebracht zu werden.“ Darüber hinaus hätten sie Informationen liefern müssen. „Die Taliban oder ähnliche Gruppierungen waren somit bis ins Detail über unsere Zahl, Ausrüstung, gegebenenfalls sogar über unsere Absichten informiert“, schrieb Dr. Sarholz in seinem offenen Brief an die Redaktion und machte deutlich: „Innerlich verachten uns diese Menschen, was sie aus nachzuvollziehenden Gründen natürlich nie zugeben werden.“
Ausnahmen? „Mir sind sie nicht begegnet“
Abschließend warf er der allgemeinen Berichterstattung „über den Zusammenbruch der durch die westlichen Staaten geförderten politischen Ordnung in Afghanistan“ eine gewisse Blindheit vor. Auch erklärte der Ex-Kommandant, dass es ihn nicht überrasche, dass gerade diese Ortskräfte jetzt zu uns kommen wollen. Sie hätten ja einen recht genauen Einblick in unseren Lebensstandard erlangt. Er wolle aber nicht verkennen, dass es Ausnahmen gäbe. „Nur: mir sind sie nicht begegnet.“
Von den Medien wurde der Brief des ehemaligen Warehouse-Kommandanten kaum beachtet. Der Berliner „Tagesspiegel“ berichtete davon, klassifizierte die Aussagen des ehemaligen Militärs jedoch als „verächtliche Pauschalurteile“ und dass Sarholz den afghanischen Ortskräften unterstelle, aus Berechnung für die Bundeswehr gearbeitet zu haben.
Der österreichische „Exxpress“ berichtet wertungsfrei. In den Leserkommentaren herrscht einheitlich Zustimmung, wie etwa: „Danke für diese wahre und gut beobachtete Sichtweise. Es kann ja logischerweise gar nicht anders gewesen sein. Geahnt hatte ich es schon: sehr viele der Ortskräfte konnten nur überleben, weil sie informelle Mitarbeiter der Taliban waren, vielleicht auch des IS. Sie wurden erpresst und informierten hinter dem Rücken der Deutschen.“ Ein anderer Leser meinte, der Westen solle endlich aufhören, sich überall einzumischen und anderen seine Ordnung und Sicht der Dinge aufdrängen zu wollen. Das funktioniere nicht, glaubt der Leser.
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