Lauterbach will sich Impfpflicht annähern – FDP hält sie für verfassungswidrig
Angesichts der dramatischen Corona-Lage gewinnt die Debatte über eine allgemeine Impfpflicht weiter an Fahrt.
Man müsse anfangen, darüber nachzudenken, forderte der SPD-Politiker Karl Lauterbach am Sonntagabend in der Sendung „Die richtigen Fragen“ des TV-Senders Bild. „Ich würde das auf keinen Fall mehr ausschließen und tendiere dazu zu sagen: Das hilft uns jetzt nicht akut, aber wir müssen uns einer Impfpflicht nähern.“
Lauterbach argumentierte: „Ohne Impfpflicht erreichen wir offensichtlich die Impfquote nicht, die wir benötigen, um bei der Stärke der Impfstoffe, die wir haben, und dem R-Wert der Delta-Variante über die Runden zu kommen.“ Der R-Wert gibt an, wie viele Menschen ein Infizierter im Schnitt ansteckt – und damit, wie schnell sich ein Virus ausbreitet.
FDP: Impfpflicht verfassungswidrig
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Michael Theurer sagte dagegen in der Bild-Sendung zu einer allgemeinen Impfpflicht: „Wir halten sie für verfassungswidrig.“ Auch der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei, äußerte sich sehr skeptisch. Eine allgemeine Impfpflicht dürfte „wegen des schwerwiegenden Eingriffs in das Recht auf körperliche Unversehrtheit unter den derzeitigen Rahmenbedingungen auch unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig sein“, sagte er der „Welt“.
Nach dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte sprach sich auch der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, für eine Impfpflicht für Erwachsene aus – falls die Impfquote bis zum Frühjahr nicht entscheidend steigen sollte. „Ich persönlich bin dafür, dass man über eine Impfpflicht für Erwachsene berät und sie im Frühjahr dann auch beschließt, wenn die Impfquote so niedrig bleibt“, sagte Hilgers dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Montag). „Das würde auch die Kinder schützen.“ Freiheit verlange Verantwortung. „Und wenn diese Verantwortung nicht wahrgenommen wird, dann brauchen wir eine Impfpflicht.“
Union offen für Impfpflicht
Zuletzt hatten sich mehrere Unions-Vertreter offen für eine Impfpflicht gezeigt, darunter der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CSU) und Bayerns Regierungschef Markus Söder (CSU).
Der Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, äußerte sich abwägend. Die Impfpflicht sei „ein Mittel, und da bin ich ganz bei der (Weltgesundheitsorganisation) WHO, das wir alle nicht wollen“, sagte er am Sonntagabend im „Heute-Journal“ des ZDF. „Es ist wirklich niemand, der gerne eine Impfpflicht haben möchte. (…) Aber wenn man alles andere versucht hat, dann sagt die WHO: Dann muss man auch über eine Impfpflicht nachdenken.“
Hintergrund der Debatte ist, dass die Impfquote in Deutschland aus Sicht von Experten zu niedrig ist. Zuletzt nahm das Impftempo allerdings wieder zu, vor allem bei den Auffrischungsimpfungen stieg die Nachfrage. Die Infektionslage hat sich in den vergangenen Wochen dramatisch verschärft, zuletzt wurden Tag für Tag neue Höchststände bei der Sieben-Tage-Inzidenz erreicht.
Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans hält eine Diskussion über eine allgemeine Impfpflicht zum jetzigen Zeitpunkt nicht für sinnvoll. „Die Impfpflicht ist nicht die Debatte, die wir jetzt brauchen“, sagte der CDU-Politiker am Sonntagabend in der ARD-Sendung „Anne Will“. „Jetzt bitte ich doch wirklich, alle Kraft darauf zu konzentrieren zu impfen.“ Jetzt sei ein Zeitpunkt, „wo die Zahlen so intensiv steigen, wo ich Menschen überzeugen kann, sich impfen zu lassen, weil sie auch merken, sie verlieren ihre Freiheiten“, führte Hans aus. „Die Anreize waren nie größer als jetzt.“
Heil mahnt Rechtssicherheit an
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sprach sich bei „Anne Will“ dafür aus, nun zunächst vor Weihnachten zu klären, wie eine Impfpflicht in bestimmten Einrichtungen rechtssicher umgesetzt werden kann. „Und dann wird eine Debatte weitergehen, aber in der Reihenfolge.“ Die Bundesländer hatten den Bund gebeten, in bestimmten Einrichtungen wie Krankenhäusern und Pflegeheimen eine Impfpflicht für alle einzuführen, die Kontakt zu besonders Gefährdeten haben.
Die Präsidentin des Deutschen Pflegerats, Christine Vogler, forderte für den Fall einer Impfpflicht in Pflegeheimen eine klare Gesetzesvorgabe, „dass Pflegeeinrichtungen ungeimpfte Mitarbeiter kündigen dürfen“. „Wenn der Gesetzgeber fordert, dass nur Geimpfte und Genesene in Pflegeheimen arbeiten dürfen, haben die Einrichtungen gar keine andere Wahl, als sich von diesen Mitarbeitenden zu trennen“, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Montag). „Wer zum Einfallstor für Corona im Pflegeheim wird, kann dort einfach nicht arbeiten.“
Strengere Regeln in manchen Ländern
Von diesem Montag an gelten unter anderem in Sachsen und Schleswig-Holstein strengere Regeln zur Bekämpfung der Pandemie. Im besonders betroffenen Sachsen werden weite Teile des öffentlichen Lebens eingeschränkt. Außer Bibliotheken bleiben alle Kultur- und Freizeiteinrichtungen, Bars, Clubs und Diskotheken geschlossen. Keine Einschränkung gibt es für Geschäfte der Grundversorgung. Zudem gelten in sächsischen Corona-Hotspots zusätzliche Ausgangsbeschränkungen für ungeimpfte Menschen. Diese dürfen, sobald im jeweiligen Landkreis die Wocheninzidenz über 1000 liegt, zwischen 22.00 und 6.00 Uhr nicht mehr ohne triftigen Grund vor die Tür gehen.
In Baden-Württemberg dürfen Ungeimpfte von Montag an im Schwarzwald-Baar-Kreis, im Ostalbkreis und im Landkreis Biberach zwischen 21.00 Uhr und 5.00 Uhr nur noch aus triftigem Grund ihre Wohnungen verlassen. In Schleswig-Holstein greift eine neue Landesverordnung: Bei Freizeitveranstaltungen gilt drinnen 2G, also Zugang nur für Geimpfte und Genesene. (dpa/oz)
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