Last der Erwartungen: Deutschland übernimmt den EU-Vorsitz
Die Erwartungen an Deutschland sind enorm. Mitten in der Corona-Krise übernimmt die Bundesrepublik an diesem Mittwoch den Vorsitz der EU-Staaten.
Bundeskanzlerin Angela Merkel soll in den nächsten sechs Monaten nicht nur den Weg aus der Rezession weisen und den Brexit einigermaßen glimpflich über die Bühne bringen. Sie soll Europa einen und modernisieren, dem ganzen Projekt neuen Schub geben. Was kommt da auf Deutschland zu? Die wichtigsten Antworten:
Was ist die Ratspräsidentschaft überhaupt?
Die EU-Länder wechseln sich alle sechs Monate mit dem Vorsitz der Ministerräte ab, die für die Gesetzgebung zuständig sind. Deutschland übernimmt jetzt von Kroatien und gibt zum 1. Januar an Portugal ab. Während der Ratspräsidentschaft leiten nun deutsche Minister die Beratungen mit ihren EU-Kollegen, also etwa Heiko Maas die Treffen der Außenminister oder Peter Altmaier die der Wirtschaftsminister. Für informelle Treffen und Konferenzen laden sie ins eigene Land – derzeit wegen Corona jedoch nur eingeschränkt. Jedes Vorsitzland versucht, eigene politische Schwerpunkte zu setzen, aber auch als Vermittler in Verhandlungen Kompromisse zuwege zu bringen.
Welche Rolle hat Bundeskanzlerin Merkel?
Formal gar keine. Früher war das anders: 2007 leitete Merkel bei ihrer ersten deutschen Ratspräsidentschaft die Sitzungen der Staats- und Regierungschefs. Doch 2009 wurde mit dem Vertrag von Lissabon der Posten eines hauptamtlichen Ratspräsidenten geschaffen, der jetzt für die Leitung der Gipfel zuständig ist. Derzeit ist das der Belgier Charles Michel. Trotzdem sind die Erwartungen auch an Merkel persönlich hoch. Sie ist von all ihren EU-Kollegen am längsten im Amt, sie gilt als krisenerprobt und pragmatisch. Und sie vertritt das bevölkerungsreichste und wirtschaftsstärkste EU-Land.
Was hat Deutschlands Vorgänger Kroatien erreicht?
Kroatien, das jüngste EU-Mitglied, hatte als Topthema die engere Bindung der EU an den Westbalkan gewählt. Doch die Präsidentschaft wurde von der Pandemie überrollt. Üblicherweise finden nach offiziellen Angaben pro Halbjahr bis zu 1500 EU-Arbeitstreffen statt, von der Fach- bis zur Ministerebene. In der Corona-Krise schwand die Kapazität auf nur noch zehn Prozent. Ministertreffen und ein Gipfel in Zagreb wurden gestrichen, alles auf Videokonferenzen und Krisenbetrieb umgestellt. Anfangs rumpelte es bedenklich zwischen den 27 EU-Staaten, nach und nach rauften sie sich wieder zusammen.
Was hat sich Deutschland vorgenommen?
An erster Stelle steht die Krisenbewältigung. „Das Virus muss eingedämmt, die europäische Wirtschaft wieder aufgebaut und der soziale Zusammenhalt in Europa gestärkt werden“, erklärt die Bundesregierung. Dazu soll rasch das geplante Milliarden-Programm zur wirtschaftlichen Erholung beschlossen werden, zusammen mit dem nächsten siebenjährigen EU-Haushaltsplan bis 2027, möglichst schon bei einem Sondergipfel in Brüssel am 17. und 18. Juli.
Zugleich will Merkel den Klimaschutz und die Digitalisierung voranbringen. Außenminister Maas nennt zwei weitere Punkte: den geordneten Abschluss des britischen EU-Austritts zum Jahresende und eine stärkere Rolle Europas zwischen den globalen Großmächten USA, China und Russland. Auch die Konferenz zur Zukunft Europas – eine Bürgerdebatte – soll auf den Weg gebracht werden. Details stehen im 24-seitigen Präsidentschaftsprogramm. Die Pandemie schränkt die EU-Arbeit weiter ein, nach Einschätzung eines deutschen Diplomaten auf rund 30 Prozent des Üblichen. Vieles muss weiter online laufen.
Wie viel kostet die Präsidentschaft die deutschen Steuerzahler?
Das ist wegen der Corona-Krise schwer zu sagen. Ursprünglich erwartete die Bundesregierung zusätzliche Sach- und Personalkosten von gut 161 Millionen Euro, wie sie auf eine Anfrage der Grünen mitteilte. Doch weil Treffen abgesagt wurden und auch der große EU-China-Gipfel in Leipzig vertagt wurde, dürften Reise- und Organisationskosten wegfallen. Auf Gastgeschenke und große Sponsoren will die Bundesregierung ohnehin verzichten.
Wer bestimmt, welches Land mit der Präsidentschaft dran ist?
Das wird mit einem Ratsbeschluss langfristig festgelegt, folgt aber einer festen Rotation: alle einmal durch und dann wieder von vorne. Als die Europäischen Gemeinschaften anfangs nur sechs Mitglieder hatten und später neun, waren die Abstände kurz. Deshalb ist es auch schon die 13. deutsche Ratspräsidentschaft. Das nächste Mal ist Deutschland aber erst nach 2030 wieder dran. (dpa)
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