Lange Wartezeiten – Engpässe bei Medikamenten: Bürger zweifeln zunehmend am deutschen Gesundheitssystem

Mit dem vorzeitigen Ende der Ampelkoalition drohen wichtige Gesundheitsreformen zu scheitern. Minister Lauterbach wollte das Vertrauen in das deutsche Gesundheitssystem durch gezielte Reformen stärken. Doch jetzt stehen viele dieser Vorhaben auf der Kippe – und die Skepsis der Bürger gegenüber der Gesundheitsversorgung wächst weiter.
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Wartezimmer in einer Arztpraxis. (Symbolbild).Foto: monkeybusinessimages/iStock
Von 15. November 2024

Das vorzeitige Aus für die Ampelkoalition im Bund stellt nun auch eine Reihe von Reformvorhaben infrage, mithilfe derer Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach das Vertrauen in Deutschlands Gesundheitssystem stärken wollte.

Nicht nur Lauterbach, auch Ex-Bundesfinanzminister Christian Lindner hatte in diesem noch vor Kurzem „Effizienzreserven“ ausgemacht. Beide wollten diese durch Reformen nutzbar machen – um eine weitere Belastung Versicherter durch höhere Beiträge zu vermeiden.

Gesundheitssystem in Deutschland: Vertrauen schwindet

Mehrere Umfragen aus den vergangenen Jahren hatten gezeigt, dass die Bürger des Landes zunehmend an dessen Tragfähigkeit zweifeln. Zu Beginn des Jahres 2023 hatte der Bosch Health Campus eine repräsentative Studie veröffentlicht. Dieser zufolge sei der Anteil jener Befragten, die der Politik kaum oder gar nicht zutrauten, eine hochwertige und bezahlbare Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, deutlich gestiegen. Hatte er 2020 noch 30 Prozent betragen, so stieg er der Robert Bosch Stiftung zufolge mittlerweile auf 60 Prozent.

Ein Jahr später präsentierte PwC eine Studie. Dem „Healthcare-Barometer 2024“ zufolge zählten nur noch 52 Prozent der Befragten das deutsche Gesundheitssystem zu den Top 3 der Welt. Im Corona-Jahr 2020 waren es noch 20 Prozent mehr. Lediglich acht Prozent zeigten sich sehr und weitere 25 Prozent eher zuversichtlich, dass Reformen das Gesundheitswesen im Land voranbringen könnten.

Im vergangenen Sommer präsentierte das Allensbach-Institut eine weitere Umfrage, die eine zunehmende Skepsis in der Bevölkerung gegenüber dem Gesundheitssystem in Deutschland abbildete.

Immer mehr Skepsis resultiert aus konkreten Erfahrungen

Auch hier hielt die Mehrheit der Befragten den Status quo noch für zufriedenstellend. Jedoch war der Anteil ebenfalls deutlich zurückgegangen – von 81 auf 67 Prozent innerhalb von zwei Jahren. Dass langfristig die Versorgung schlechter werde, hätten die meisten schon länger befürchtet. Mittlerweile erklärten jedoch 40 Prozent, selbst eine solche Entwicklung anhand eigener Erfahrungen bestätigen zu können.

Diese Erfahrungen hätten die Befragten konkret innerhalb der vergangenen zwei bis drei Jahre gemacht. Nur sieben Prozent erklärten, ihre persönliche Wahrnehmung der Gesundheitsversorgung sei besser geworden.

Die häufigste Erfahrung, die das Vertrauen in das deutsche Gesundheitswesen erschütterte, war jene von Engpässen und Mängeln. So gaben 77 Prozent der Befragten an, entweder sie selbst oder Angehörige hätten in den vergangenen Jahren lange auf einen Arzttermin warten müssen. Zu Beginn des Jahres 2024 hatte die Kassenärztliche Bundesvereinigung gewarnt, dass sich die durchschnittliche Wartezeit bis zu einem Facharzttermin auf 72 Tage erhöhen könne.

Nichtaufnahme beim Arzt als rote Linie des Vertrauens in das Gesundheitssystem

Aber auch bei den Allgemeinärzten verschlechtere sich die Versorgungssituation. Demnach hatten 43 Prozent der Befragten eigenen Angaben zufolge Schwierigkeiten gehabt, überhaupt bei einem Arzt aufgenommen zu werden. Im Laufe der vergangenen Jahre hatten Allgemeinärzte häufig Restriktionen bei der Aufnahme neuer Patienten eingeführt.

Viele nahmen beispielsweise nur noch Bewohner der Stadtteile auf, in der sich ihre Praxis befindet – und deren engste Angehörige. So sollen lange Wartezeiten und überfüllte Wartezimmer verhindert werden. Von längeren Wartezeiten auf Arzttermine berichtete im Rahmen der Allensbach-Umfrage auch eine Mehrheit derjenigen Befragten, die eine angemessene Gesundheitsversorgung noch für gewährleistet halten.

Nur eine Minderheit von ihnen, aber 63 Prozent der Skeptischen bezüglich der Versorgungssicherheit, gaben an, Probleme bei der Aufnahme als Patient selbst gehabt zu haben. Insgesamt 54 Prozent der Befragten gaben auch an, ein von ihnen benötigtes Medikament sei nicht verfügbar gewesen.

Anreizsystem für Hausärzte und Krankenhausreform vor dem Scheitern

Minister Lauterbach wollte durch den Wegfall von Obergrenzen bei der Vergütung Anreize für Hausärzte schaffen, sich auch in dünner besiedelten Gegenden anzusiedeln. In städtischen Brennpunktgebieten sollen Gesundheitskioske ein zusätzliches Angebot schaffen. Gleichzeitig wollte der Minister durch ein Ende von Kassenzahlungen für homöopathische Leistungen Finanzierungsspielräume schaffen.

Diese Reformen stehen durch das Ampel-Aus ebenso infrage wie die Krankenhausreform, die immerhin noch im Bundestag beschlossen worden war. Sollte es im Bundesrat am 22. November zu einer Anrufung des Vermittlungsausschusses kommen, würde jedoch auch diese vorerst platzen. Es ist nicht absehbar, was davon in der nächsten Legislaturperiode noch aufrechterhalten würde.

Einzig die elektronische Patientenakte (ePA) befindet sich bereits auf dem Weg und wird unabhängig vom Ampel-Aus in Kraft treten. Die digitale Aufbereitung von Medikamenten, Befunden und Laborwerten für alle Versicherten, die der ePA nicht widersprochen haben, startet erst am 15. Januar in zwei Modellregionen. Voraussichtlich Mitte Februar wird sie auch bundesweit verfügbar sein.

Schon im Bundestag ist ein Paket zur Notfallversorgung. Dieses soll ein zielsicheres Netz an Anlaufstellen für Notfälle schaffen, die Kliniken entlasten und Zuordnungen von Patienten treffsicherer machen soll. Auch Ersteinschätzungen per Telefon sollen erleichtert werden. Ob dieses Paket noch die erforderliche Mehrheit zur Umsetzung finden wird, ist fraglich.

Welche Erfahrungen haben Sie mit dem deutschen Gesundheitssystem gesammelt – und wohin wird dieses sich entwickeln? Nehmen Sie an unserer Umfrage teil: 



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