Landtag Sachsen: „Sie reden über Integration: Was ist mit uns?“ Die Menschen von 1989 sind enttäuscht

"Viele Menschen, die 1989 auf die Straße gegangen sind, hatten große Hoffnungen. Sie haben gesagt: Jetzt beginnt das wahre Leben, jetzt bin ich frei, jetzt habe ich Demokratie. Doch sie sind enttäuscht worden," so Integrationsministerin Petra Köpping (SPD).
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Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) sprach als Regierungsvertreterin im Landtag Sachsen zur "Bautzen-Debatte"Foto: Sächsischer Landtag/Steffen Giersch u. Petra Köpping
Epoch Times29. September 2016

Mittwochvormittag, Landtag Sachsen: Die Fraktion der Linken hatte zur aktuelle Stunde anlässlich der Bautzen-Krawalle geladen. Während die Linken-Politiker das Problem einseitig rechts zu verorten suchten, warf ihnen der innenpolitische Sprecher der CDU das Zünden von „politischen Nebelkerzen“ vor und verwies auf die ebenfalls akute linksextremistische Gefahr hin. Integrationsministerin Köpping (SPD) brachte es auf den Punkt: Die Menschen von 1989 sind enttäuscht. Jetzt kommen die Flüchtlinge, doch wer kümmert sich um die Menschen, die vorher schon da waren?

Lutz Richter (Die Linken) forderte zu Beginn der Debatte „Integration eventbetonter Jugendlicher gescheitert – Gewalt darf nicht erfolgreich sein! Lehren aus den Vorfällen von Bautzen ziehen“ auf, Probleme einzugestehen: „Wir haben in Sachsen ein Nazi- und Rassismus-Problem“, so der Politiker.

Die Regierung solle das offen zugeben und nicht das Problem mit Begriffen wie „besorgte Bürger“, „eventbetonte Jugendliche“ oder „Einheimische“ kaschieren, die, wie in Bautzen, dann „geflüchteten jungen Menschen“ gegenüberstehen. [VIDEO, 4:33 min]

Unterschiedliche Haltungen akzeptieren

Der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion Christian Hartmann sprach darüber, dass es nicht sein könne, dass der Linken-Politiker Richter, jetzt „hassförmig auf Leute eindresche“, bis sie seiner Haltung entsprächen. Insoweit müsse er unterschiedliche Haltungen akzeptieren. Dies hieße im Kern Demokratie.

Weiterhin warf Hartmann den Linken mit dem Zeichnen eines Bildes vom braunen Sachsen das Zünden „politischer Nebelkerzen“ vor und verwies auf eine zunehmend gewaltbereite linksextreme Szene, die jetzt sogar die Deutsche Einheitsfeier in Dresden bedrohe. Die Gesellschaft habe ein Problem mit Radikalismus, aber „an den rechten und linken Rändern“, so Hartmann. [VIDEO, 5:04 min]

Ping Pong-Debatte

Doch die Linken bissen sich fest: Der Abgeordnete Heiko Kosel bemerkte: „Das gravierende Problem sind nicht die Flüchtlinge, sondern die über Jahre verfestigten rechtsradikalen Strukturen und Vernetzungen.“

Für AfD-Politiker Sebastian Wippel offenbar zu einseitig gedacht: „Bis zu 400 gewaltbereite Linke sind durch Bautzen gezogen“, so der Abgeordnete. Er wünsche sich „auch eine Integration Linksradikaler“, statt die Szene mit Demokratie-Projekten zu stärken.

Zuviel für Enrico Stange. Der Linken-Politiker zischelte wild gestikulierend: „So viel wirres Zeug auf einem Haufen habe ich in diesem Haus schon lange nicht mehr gehört“, wie der „MDR“ berichtet.

Emotionale Rede der Ministerin: „Die Leute von 1989 sind enttäuscht worden.“

Zum Schluss sprach Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) als Vertreterin der Staatsregierung. Sie sagte vorab, dass sich „alle“, die in Deutschland leben auf dem Boden des Grundgesetzes zu bewegen haben. Dann holt sie zu einer emotionalen Rede aus:

Es seien Fehler gemacht worden, gibt sie zu, die Bürger seien zu Beginn der Flüchtlingskrise nicht so eingebunden worden, wie es hätte sein sollen, nicht nur in Sachsen, in ganz Deutschland:

Wir hätten frühzeitiger, ehrlicher, informieren, aufklären müssen. Wir haben die Bevölkerung nicht mitgenommen.“

(Petra Köpping, SPD, Integrationsministerin von Sachsen)

Köpping glaubt, die Wurzel des Problems zu kennen: „Es ist nicht nur die Flüchtlingskrise, die uns in Sachsen bewegt.“ Ostdeutschland habe auch eine wendebedingte Problematik.

Viele Menschen, die 1989 auf die Straße gegangen sind, hatten große Hoffnungen. Sie haben gesagt: Jetzt beginnt das wahre Leben, jetzt bin ich frei, jetzt habe ich Demokratie. Doch sie sind enttäuscht worden.“

(Ministerin Köpping)

Über diese Enttäuschung müsse gesprochen werden.

„Sie reden über Integration: Was ist mit uns?“

Köpping sei mit Sachsens SPD-Chef Martin Dulig Wochen zuvor in Bautzen gewesen, in Weißwasser, in Zittau. Sie hätten überall die gleichen Gesprächspartner getroffen.

„Frau Köpping, Sie reden über Integration. Frau Köpping, sie reden darüber, dass die Menschen Berufsanerkennung bekommen sollen, die zu uns kommen.“ Sie macht eine Pause, dann sagt sie: „Und wer hat sich um meine Berufsanerkennung gekümmert?“

Die Menschen würden sich benachteiligt fühlen. Man habe sie nicht mitgenommen. Deshalb gelte:

Integration gilt für alle – auch für die Menschen, die da sind.“

(Ministerin Köpping)

Dann geht sie auf die Maßnahmen und Finanzierungen zur Integration in Sachsen ein.

Abwanderungswellen, Arbeitslosigkeit und Männerüberschuss

Später berichtet sie von der ersten großen Abwanderungswelle gut ausgebildeter Menschen aus Sachsen im Jahr 1989. Die zweite Welle kam 1990: Es wurde ausgebildet, es wurden gute Abschlüsse gemacht – doch die Menschen fanden keine Arbeit.

Und heute: In Zittau gebe es heute noch elf Prozent Arbeitslosenquote. Viele, vor allem junge Frauen, würden die Region verlassen – die Folge: ein Überschuss an jungen Männern. Um die müsse man sich kümmern. Diese würden hier keine Frauen mehr finden. Dies alles würde zur Radikalisierung der Gesellschaft beitragen, so die Ministerin. [VIDEO, 8:16 min]

[alle VIDEOs der Debatte im Landtag Sachsen, 28.9.2016, 10.45 – 13 Uhr]

„Alltagsrassismus“: Ja – „Rechte Hochburg“: Nein

Am gleichen Tag sprach Bautzens Oberbürgermeister Alexander Ahrens vom „weitverbreiteten Alltagsrassismus“ in seiner Stadt. Dennoch: Es gebe kaum jemanden, der das Gefühl habe, in einer rechten Hochburg zu leben, so der Rathauschef.

Ganz nebenbei erwähnte Ahrens, dass es in Bautzen seit geraumer Zeit keinen Jugendclub mehr gebe, wie die „Rheinische Post“ berichtet. Weggespart. Für den anwesenden Talkgast Hans-Gerd Jaschke ein Unding: „Einen Jugendclub in einer 40.000-Einwohner-Stadt habe ich immer für selbstverständlich gehalten.“ Selbst der linksliberale Publizist Jakob Augstein ist entsetzt: „Da wäre auch ich Protestwähler.“

Es soll sich was ändern: In Zukunft soll es Bundesmittel für ein Präventionsprogramm geben, unter anderem für einen Jugendclub in Bautzen, sagten Bundesfamilienministerin Schwesig und OB Ahrens noch in der Sendung. Für Ahrens haben Flüchtlinge keinen Sonderstatus: „Ich mache nichts für Flüchtlinge. Ich mache etwas für die Leute in Bautzen, und da ist es mir egal, wo die herkommen.“

Siehe auch:

Bei „Anne Will“: Bautzens OB wehrt sich gegen Vernazifizierung der Einheimischen – Kein Geld für Arbeit mit Jugendlichen



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