Landgericht Halle: Björn Höcke wegen „Alles für Deutschland“ zu Geldstrafe verurteilt

Im Verfahren gegen Thüringens AfD-Chef Björn Höcke wegen der Verwendung einer verbotenen Losung aus der NS-Zeit ist am Dienstag das Urteil gefallen. Das Landgericht Halle verurteilte den Politiker zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 130 Euro. Die Staatsanwaltschaft hatte zuvor eine Strafe von sechs Monaten auf Bewährung gefordert.
Titelbild
Björn Höcke am 14.05.2024.Foto: via dts Nachrichtenagentur
Von 14. Mai 2024

Vor dem Landgericht Halle ist am Dienstag, 14. Mai, das erstinstanzliche Urteil im Prozess gegen den thüringischen AfD-Chef Björn Höcke ergangen. Er endete mit einem Schuldspruch und einer Verurteilung zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 130 Euro.

Der Politiker musste sich wegen des Vorwurfs des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen verantworten. Dessen soll er sich durch die Verwendung der Parole „Alles für Deutschland“ während einer Wahlkampfveranstaltung im Mai 2021 in Merseburg schuldig gemacht haben.

Der Ausspruch wurde von der nationalsozialistischen Ordner- und Schlägertruppe SA als Wahlspruch verwendet. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, es ist damit zu rechnen, dass Höcke den Schuldspruch anfechten wird.

Staatsanwaltschaft: „Augenscheinlich fundierter NS-Sprachschatz“

In seinem Schlussplädoyer hatte Staatsanwalt Benedikt Bernzen eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten gefordert, ausgesetzt zur Bewährung, mit einer Bewährungszeit von zwei Jahren. Zudem solle er 10.000 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung bezahlen. Dass Höcke sich der Bedeutung des Spruches „Alles für Deutschland“ als Parole der SA nicht bewusst gewesen sei, hielt er für „weder glaubhaft noch nachvollziehbar“.

Er habe vielmehr eine „vielfach in Vergessenheit geratene Parole wiederbelebt und salonfähig gemacht“. Dass Höcke über Parolen, die in jener Zeit verwendet wurden, bestens im Bilde sei, zeige dessen „augenscheinlich fundierter NS-Sprachschatz“. Höcke habe auch an anderer Stelle Vokabular aus jener Zeit verwendet, etwa bei der Titulierung von Ex-Minister Sigmar Gabriel als „Volksverderber“. Bei Höckes Gebaren handele es sich um „gezielte, planvolle Grenzüberschreitungen, um vermeintliche Denk- und Sprechverbote anzugreifen“.

Höckes Anwalt Ralf Hornemann hingegen betonte, dass auf der Wahlkampfveranstaltung überhaupt kein Bezug zur NS-Zeit vorhanden gewesen wäre. Themen seien Windräder, die Grünen und die Migrationspolitik gewesen. Die Rede des AfD-Politikers sei spontan gewesen. Von einem planvollen oder vorbereiteten Vorgehen könne nicht die Rede sein. Zudem habe erst die Staatsanwaltschaft mit ihrem Vorgehen dafür gesorgt, dass die Parole nun bekannt sei.

Einen am letzten Tag eingebrachten Antrag, im Wege eines Gerichtsgutachtens klären zu lassen, wie bekannt es Menschen tatsächlich sei, dass „Alles für Deutschland“ dem Nationalsozialismus zuzuordnen sei, wies das Gericht jedoch ab.

Neurechter Historiker als sachverständiger Zeuge gehört

Die Urteilsfindung ging am Dienstag erst mit Verzögerung vonstatten. Höckes weiterer Verteidiger Ulrich Vosgerau hatte überraschend noch einen sachverständigen Zeugen namhaft gemacht. Bei diesem handelte es sich um den Historiker Karlheinz Weißmann.

Dieser war 2013 Mitgründer des Instituts für Staatspolitik, das von dem als Höcke-Intimus geltenden Publizisten Götz Kubitschek geführt wird. Allerdings hatte Weißmann sich mit Kubitschek in weiterer Folge überworfen. Der Historiker wird ideologisch nach wie vor der „Neuen Rechten“ zugeordnet und schreibt unter anderem für eine einschlägige Wochenzeitung. Diese gilt jedoch als kritisch gegenüber Höcke und seinem Kurs in der AfD.

Weißmann, der auch Gymnasiallehrer war, eröffnete dem Gericht, die Parole, deren Verwendung wegen Höcke vor Gericht stehe, sei in der NS-Zeit „nicht besonders präsent“ gewesen. Plattformen wie der „Ostthüringer Divan“, der „Volksverpetzer“ oder „Holocaust-Referenz“ schätzen dies anders ein. Sie zeigen anhand von Beispielen, dass die Parole auch in anderen nationalsozialistischen Zusammenhängen mehrfach Verwendung gefunden hatte. Die SA hatte sie zudem auf ihre Dolche gravieren lassen.

Aufgrund der Befragung verzögerten sich auch die Plädoyers und die Urteilsverkündung. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) preschte bereits am Vormittag mit einer vorschnellen Eilmeldung über die Verurteilung Höckes zu einer Geldstrafe vor. Deren Höhe ließ sie offen – bei dem Text handelte es sich offenbar um einen vorbereiteten Dummy-Beitrag, der in weiterer Folge konkretisiert werden sollte.

Höcke bestritt Wissen um nationalsozialistische Konnotation der Parole

Der thüringische Landesvorsitzende der AfD hatte eingeräumt, die Äußerung getätigt zu haben. Einen Vorsatz auf Verwendung der Parole einer verfassungswidrigen Organisation hatte er jedoch bestritten. Obwohl er vor Beginn seiner politischen Karriere im Jahr 2014 insgesamt 15 Jahre lang als Lehrer für Geschichte tätig war, sei ihm die nationalsozialistische Konnotation des Spruches „Alles für Deutschland“ nicht geläufig gewesen.

Er habe sich bei der Veranstaltung im Mai 2021 in Merseburg spontan zu der Aussage „Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland“ inspirieren lassen. Grund dafür sei der Titel eines vor ihm liegenden Wahlkampfprogramms gewesen. Er habe die Aussage, so erklärte Höcke am Tag seiner eigenen Aussage, als „Alltagsspruch“ eingeschätzt. Um beurteilen zu können, wie wahrscheinlich Höcke die Bedeutung des Spruches für die SA bewusst war, waren auch Feststellungen darüber zu treffen, wie geläufig diese in welchen Segmenten der Bevölkerung war.

Das erste Gerichtsurteil nach Paragraf 86a StGB, das wegen der Verwendung der Parole erging, stammt aus dem Jahr 2006. Zumindest war es das Erste, das in diesem Sinne Thema medialer Berichterstattung war. Überregionale Aufmerksamkeit fand der Anlassfall jedoch nicht. Auch Besprechungen in juristischen Fachzeitschriften nahmen weniger die Strafbarkeit der Parole als die Begründung der damals verhängten Jugendstrafe in den Fokus.

Verfassungsschutz druckte Informationsbroschüre über verbotene Parolen – ohne „Alles für Deutschland“

Dem Bundesamt für Verfassungsschutz schien die Parole auch nicht als typisch nationalsozialistisch bekannt zu sein. Zumindest fand sie sich nicht in seiner Publikation „Rechtsextremismus: Symbole, Zeichen und verbotene Organisationen“ aus dem Jahr 2022. Dort waren auf Seite 65 verbotene nationalsozialistische Parolen exemplarisch aufgeführt. Einen Anspruch auf Vollständigkeit erhob die Publikation jedoch explizit nicht.

Die Anzeige gegen Höcke hatte der sachsen-anhaltische Grünen-Politiker Sebastian Striegel erstattet. Anlass dafür war, dass er in einer Publikation des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages von der nationalsozialistischen Bedeutung der Parole erfuhr. Das gegen Ende des Jahres 2021 – und damit nach Höckes Rede in Merseburg – erschienene Papier zitierte das Urteil aus dem Jahr 2006.

Was bereits im Vorfeld der Frage nach dem subjektiven Tatvorsatz als Anlass für einen möglichen Freispruch im Raum stand, war jedoch jene nach der Tatbildlichkeit der Äußerung in ihrem konkreten Kontext. Unter anderem hatten Staatsanwaltschaften in der Vergangenheit Verfahren nach Paragraf 86a StGB eingestellt, wenn die Verwendung entsprechender Parolen jenen der Nationalsozialisten zumindest nicht „zum Verwechseln ähnlich“ waren.

Vorgelagertes „Nichts für uns“ hob 2009 die Strafbarkeit auf

Unter anderem war das der Fall, als neonazistische „Freie Nationalisten“ bei einem Aufmarsch dem „Alles für Deutschland“ ein „Nichts für uns“ vorangestellt hatten. Diese Parole wurde unter anderem dem früheren Reichspräsidenten Paul Hindenburg, aber auch dem antitotalitären „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ der Weimarer Zeit zugeschrieben. Die Bayerische Staatsregierung verwies Ende der 2000er-Jahre auf hohe Anforderungen an das Ähnlichkeitserfordernis:

„Insbesondere genügt nicht eine Übereinstimmung in Teilen, sondern es kommt darauf an, ob die Parole insgesamt ohne Weiteres für ein Kennzeichen der nationalsozialistischen Organisation gehalten werden kann.“

Höcke hatte seiner Verwendung ein „Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt“ vorangestellt. Gleiches geschah, als er im Dezember des Vorjahres in Gera am Ende einer Veranstaltung Bezug auf die Anklage nahm. Bei dieser Veranstaltung wiederholte er seine Aussage vom Wahlkampfauftritt in Merseburg, wobei er jedoch das Wort „Deutschland“ selbst nicht aussprach.

Die Staatsanwaltschaft wollte den Vorfall ursprünglich im gegenständlichen Verfahren vor dem Landgericht Halle mit anklagen. Dazu kam es jedoch nicht. Mittlerweile soll es zu einer ähnlichen Szene wie in Gera auch während des patriotischen Maifests am 1. Mai in Hamm gekommen sein. Obwohl ein dazugehöriges Video die Runde macht, ist bislang noch nichts über Anzeigen oder weitere Ermittlungen bekannt.

Weitere Anklagen gegen Höcke stehen noch im Raum

Das Gericht selbst hatte bereits während des Verhandlungstermins am 23. April deutlich gemacht, dass maximal die Verhängung einer Geldstrafe im Fall einer Verurteilung im Raum stünde. Dadurch war klar, dass der Ausgang des Verfahrens keine Auswirkungen auf die Landtagskandidatur Höckes im September in Thüringen haben würde.

Eine Aberkennung des aktiven oder passiven Wahlrechts wäre maximal im Fall einer Verurteilung zu einem Freiheitsentzug von mindestens sechs Monaten in Betracht gekommen. Zudem hätte diese Rechtskraft erlangen müssen. Die Erledigung eines Berufungsverfahrens wäre bis zum 1. September ebenfalls nicht wahrscheinlich gewesen.

Höcke wird jedoch zu einem späteren Zeitpunkt auch in Mühlhausen vor dem Landgericht stehen. Dieses hat eine gegen ihn gerichtete und auf Volksverhetzung lautende Anklage zugelassen. Gegenstand des Verfahrens ist dort ein Telegram-Post, in welchem er in pauschalisierender Weise Einwanderern kriminelle oder gefährliche Neigungen andichtete. Zudem wird die Staatsanwaltschaft noch über ihr weiteres Vorgehen hinsichtlich des Auftritts in Gera zu entscheiden haben.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion