Länder beraten über Asyl: Sachleistungen statt Bargeld – Abkehr vom „Königsteiner Schlüssel“?
Heute Abend wird Bundeskanzler Olaf Scholz unter anderem CDU-Chef Friedrich Merz und die Ministerpräsidenten Stephan Weil (Niedersachsen) und Boris Rhein (NRW) in Berlin empfangen. Auf dem Programm stehen „Deutschlandpakt“-Gespräche mit dem Schwerpunktthema „Asyl“. Dieses bestimmt auch die zweitägige Herbstkonferenz der Bundesländer, die am Donnerstag in Frankfurt am Main begann.
Länderrunde mit Scholz soll am 6. November zu Asyl beraten
Weil und Rhein werden dem Kanzler möglicherweise schon einige der Anliegen präsentieren, über die Vertreter der Länder bereits am Tag zuvor gesprochen hatten. Eine Runde der Ministerpräsidenten mit Olaf Scholz ist für den 6. November angesetzt. Bereits jetzt zeichnen sich aber einige konkrete Forderungen ab, über die unter den Ministerpräsidenten weitgehend Konsens besteht.
Der niedersächsische Landeschef hat bereits im Vorfeld der Konferenz deutlich gemacht, dass die Verdoppelung der Kopfpauschale eine Kernforderung darstellen wird. Derzeit gewährt der Bund eine Pauschale von 5.000 pro Schutzsuchendem. Gegenüber der „Rheinischen Post“ machte Weil deutlich:
Wir gehen gemeinsam mit den Kommunen davon aus, dass die Pauschale bei 10.000 Euro liegen muss.“
Der Vizepräsident des Deutschen Städtetages, Leipzigs OB Burkhard Jung, schloss sich dieser Position an. Vor allem müsse der Bund die Kosten der Unterkunft für die Asylsuchenden vollständig übernehmen.
An Faeser mehrfach die Zähne ausgebissen
Bereits im Rahmen zweier bisheriger Flüchtlingsgipfel hatten Vertreter von Ländern und Kommunen bei Bundesinnenministerin Nancy Faeser zusätzliche Geldmittel eingefordert. Diese hatte das Ansinnen stets unter Verweis auf die bereits bestehenden Bundesleistungen abgelehnt. Stattdessen bot sie an, Ländern und Kommunen mehr bundeseigene Immobilien zur Verfügung zu stellen.
Im Mai erreichten die Länder in einer Runde mit Teilnahme von Bundeskanzler Scholz erste Zugeständnisse in Höhe einer zusätzlichen Milliarde Euro. Ende September bot der Bund im Rahmen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Flüchtlingsfinanzierung 1,7 Milliarden Euro an. Jung zufolge können diese jedoch „nicht das letzte Wort gewesen sein“, betonte er gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Im November streben die Länder beim Kanzler die Zusage dauerhaft höherer Mittel zur Bewältigung der Flüchtlingskosten an. Zu den zentralen Zielen zählen in diesem Zusammenhang eine Entlastung der Kommunen und eine stärkere Digitalisierung der Ausländerbehörden.
Arbeitspflicht für Asylbewerber umstritten
Ein nicht in allen Details konsensfähiges, aber zunehmend unter den Ministerpräsidenten akzeptiertes Anliegen ist die Integration von Asylsuchenden in den Arbeitsmarkt. Einige Länderchefs machen sich stark für eine Arbeitspflicht – auch, um den Geflüchteten einen strukturierten Alltag zu ermöglichen.
Generell besteht jedoch Übereinstimmung bezüglich der Beseitigung noch bestehender Hindernisse bezüglich des Zugangs zum Arbeitsmarkt. In einer bereits an Medien wie die „Augsburger Allgemeine“ durchgesickerten Beschlussvorlage heißt es:
Mit Blick auf den stetig zunehmenden Arbeitskräftemangel ist es nicht länger hinnehmbar, dass viele Geflüchtete nicht in Arbeit und Beschäftigung gebracht werden können.“
Zudem ist die Rede von einer stärkeren Unterstützung von Unternehmen, die Geflüchtete beschäftigen. In diesem Kontext heißt es auch, dass das Warten auf Sprach- und Integrationskurse die Integration in den Arbeitsmarkt nicht weiter verzögern dürfe.
Weniger Bargeld soll Abfluss in Herkunftsländer verhindern
Ob auch die „Pflicht zur Arbeitsaufnahme“ ab Zuweisung aus der Erstaufnahmeeinrichtung an die Kommune am Ende Konsens finden wird, bleibt abzuwarten. In Österreich wird eine Arbeitspflicht ebenfalls bereits diskutiert. Allerdings weisen Skeptiker darauf hin, dass geltendes EU-Recht den Spielraum für Sanktionen einschränken könne.
Auf allgemeinen Rückhalt stößt hingegen die Forderung, den Ländern mehr Möglichkeiten zu geben, um Asylsuchende bargeldlos und mit Sachleistungen zu versorgen. Dies solle unter anderem einen Kapitalabfluss dadurch verhindern, dass Asylbewerber Geld zu ihren Familien oder Verwandten in das Herkunftsland schicken.
Es sollen, so heißt es in dem Papier, „die in Erprobung befindlichen Systeme zur Einführung von Bezahlkarten sollen schnellstmöglich evaluiert“ werden. Eine bundesweit einheitliche, Verwaltungsaufwand sparende Lösung sei zu prüfen. Dies könne auch „einen Beitrag zur Reduzierung von Fehlanreizen für irreguläre Migration leisten“.
FDP mit Antrag auf Sachleistungen im Landtag von Baden-Württemberg gescheitert
Wie sowohl Bundes- als auch Landespolitiker zuletzt betont hatten, wäre eine Umstellung auf ein Sachleistungssystem auf Länderebene schon jetzt möglich. Eine gesetzliche Regelung bezüglich einer Anrechnung der Sachleistungen auf den Regelbedarf müsste jedoch der Bundesminister für Arbeit und Soziales schaffen.
Kritiker gehen davon aus, dass ein Sachleistungssystem die mit dem Asylwesen verbundene Bürokratie eher vergrößern als verkleinern würde. Die Präsidentin des Deutschen Caritasverbands, Eva-Maria Welskop-Deffaa, spricht von einer „Phantomdebatte“. In der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ äußerte sie:
Die meisten Menschen kommen nicht wegen des Sozialstaates nach Deutschland, sondern weil ihre Lebensgrundlagen zu Hause durch Kriege und Klimakatastrophe zerstört wurden.“
Im Landtag von Baden-Württemberg scheiterte jüngst die FDP mit einem Antrag, der unter anderem auf das Ersetzen von Geld- durch Sachleistungen für Asylbewerber abzielte. Der Flüchtlingsrat begrüßte dies. In einer Erklärung hieß es:
Es werden nicht weniger Menschen zur Flucht gezwungen, nur weil Baden-Württemberg kein Bargeld mehr auszahlt.“
Migrationsforscher schlägt Reform des Königsteiner Schlüssels vor
Gegenüber dem BR plädiert Panu Poutvaara, Leiter des Ifo Zentrums für internationalen Institutionenvergleich und Migrationsforschung, für eine Abkehr vom „Königsteiner Schlüssel“. Dieser sieht eine Verteilung auf Bundesländer anhand von Bevölkerungszahl und Wirtschaftsleistung vor.
Die Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung und die Integrationschancen seien jedoch dort am höchsten, wo die Arbeitslosenquote am niedrigsten sei. Poutvaara schlägt vor:
Eine Reform des Verteilungsmechanismus sollte die Integrationsfähigkeit der Bundesländer stärker berücksichtigen. Zum Beispiel könnten Steuereinnahmen pro Kopf oder offene Stellen in der Region mit einfließen.“
Einigkeit unter den Ländern besteht bei der Forderung an die Bundesregierung, die auf europäischer Ebene geplante Reform des Asylsystems voranzutreiben. Auf diese Weise sollen weniger Schutzsuchende nach Deutschland kommen. Am Freitag wollen die Teilnehmer der Länderrunde in einer Pressekonferenz auch die Ergebnisse der Beratungen vorstellen.
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