Kungelei oder fachlicher Austausch? Mehr als 40 Treffen zwischen Ampelministern und Richtern

Mehr als 40 Mal haben sich Mitglieder der Ampelregierung seit ihrem Amtsantritt mit Richtern der deutschen Höchstgerichte getroffen. Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion hervor. Experten streiten über die Angemessenheit solcher Termine.
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Bundesverfassungsgericht (Archiv)Foto: via dts Nachrichtenagentur
Von 15. Mai 2024

Volker Boehme-Neßler, Professor für Öffentliches Recht in Oldenburg, zeigt sich besorgt über eine mögliche Erosion der Gewaltenteilung und richterlichen Unabhängigkeit in Deutschland. Anlass dafür ist eine Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion im Bundestag. Dieser zufolge habe es seit dem Amtsantritt der Ampelregierung im Dezember 2021 mehr als 40 Treffen von Ministern oder Staatssekretären mit Richtern deutscher Höchstgerichte gegeben.

Sind regelmäßige Treffen zwischen Politikern und Richtern bereits eine Form der Beeinflussung?

Ampelregierungsmitglieder hätten sich demnach mit Richtern mehrerer höchster Instanzen der deutschen Rechtsprechung außerhalb der Dienstzeit getroffen. Die Angaben beziehen sich auf Richter des Bundesverfassungsgerichts, aber auch des Bundesgerichtshofs oder des Bundesfinanzhofs. Dazu kämen Telefonate oder E-Mails.

Boehme-Neßler sieht in diesen Verbindungen nicht nur eine schiefe Optik. Gegenüber „Bild“ nennt er die Kontakte „hochproblematisch“. Der Grad der „Nähe und Vernetzung“, die diese implizierten, bedrohten „zwei wichtige Grundsätze des Rechtsstaats: die Gewaltenteilung und die richterliche Unabhängigkeit“.

Der Rechtsstaat sei jedoch darauf angewiesen, dass Richter vollständig unabhängig arbeiten könnten. Dies setze jedoch eine konsequente Ausschaltung möglicher Einflussfaktoren voraus. Dazu gehörten auch „weiche“ Formen potenzieller Beeinflussung:

„Regelmäßige Kontakte schaffen Nähe und gegenseitiges Verständnis. Das macht es für Richter schwierig, die Regierung dann unparteiisch und objektiv zu kontrollieren.“

Gedankenaustausch kann auch wechselseitige Entscheidungsprozesse besser nachvollziehbar machen

Boehme-Neßler sieht einen Zusammenhang regelmäßiger Treffen zwischen Spitzenpolitikern und Richtern und einem kontinuierlich abnehmenden öffentlichen Vertrauen in den Rechtsstaat. Demgegenüber sieht Politologe Hans Vorländer von der TU Dresden kein Problem in wechselseitigem Austausch. Dieser sei sogar „Teil einer verantwortungsvollen Staatsleitung“.

Auch CDU-Rechtsexperte sieht einen fallweisen Erfahrungsaustausch grundsätzlich als sinnvoll an:

„Richter können so den politischen Prozess besser verstehen und politische Entscheidungsträger die Grenzen ihrer Gestaltungsspielräume.“

Worin sich im Wesentlichen alle Experten einig sind, ist, dass solche Treffen keinen „konkreten Bezug zu aktuellen politischen oder verfassungsgerichtlichen Entscheidungen“ aufweisen dürfen. So formuliert es der Augsburger Verfassungsexperte Josef Franz Lindner.

Abendessen mit Richtern auch schon in der Ära Merkel praktiziert

Bereits Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte regelmäßig die Richter des Bundesverfassungsgerichts einmal jährlich ins Bundeskanzleramt eingeladen. Dies sorgte unter anderem im Vorfeld eines anstehenden Urteils über ihre Intervention in die Ministerpräsidentenwahl im Landtag von Thüringen für Irritationen. Allerdings urteilte das Höchstgericht im anschließenden Verfahren gegen die Kanzlerin.

Im Vorjahr gab es ebenfalls Kritik an einem Abendessen von Regierungsmitgliedern mit Höchstrichtern in Karlsruhe. Diese hatten nur wenig später über den Nachtragshaushalt der Ampel von 2021 zu urteilen. Auch hier fiel die Entscheidung jedoch zuungunsten der Politik aus – das Beharren des Bundesverfassungsgerichts auf der Schuldenbremse bereitet der Ampel heute noch Kopfzerbrechen.

Auch sonst hat das Bundesverfassungsgericht bei vielen Gelegenheiten Entscheidungen getroffen, die zum Teil gegen die politischen Weichenstellungen der meisten oder sogar aller Parteien im Bundestag gerichtet waren.

Bundesverfassungsgericht trifft auch in der Politik unpopuläre Entscheidungen

So hatte das Bundesverfassungsgericht 2003, 2015 und 2023 die Glaubensfreiheit muslimischer Lehrerinnen mit Kopftuch gegen eine Allparteienkoalition für das Berliner „Neutralitätsgesetz“ verteidigt. Auch in der Rechtsprechung zu Hartz IV beschränkten die Richter die Hoheitsgewalt des Staates und behaupteten individuelle Grundrechte gegen deutliche politische Mehrheiten.

Das Bundesverfassungsgericht beendete auch die Praxis, millionenschwere Förderungen für parteinahe Stiftungen dem Haushaltsausschuss zu überlassen. Dass Karlsruhe auch umstrittene Entscheidungen wie das Klimaschutzurteil von 2021 trifft, ist ebenfalls kein Ausdruck politischer Einflussnahme. In diesem Fall hatte die Politik selbst den Boden für das Urteil bereitet, indem sie den Umweltschutz als Staatszielbestimmung in der Verfassung verankert hat.

In Summe bestätigen jedenfalls nicht wenige Entscheidungen die Einschätzung Vorländers, dass das Bundesverfassungsgerichts „gegenüber der Gesetzgebung sehr kritisch ist“.



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