„Es wird alles werden wie vorher – nur viel schlimmer“
„Von allem zu viel und überall das Gleiche“, heißt es zugespitzt im Buch „Der Kulturinfarkt“. Das oberste Ziel öffentlich geförderter Kultureinrichtungen sei nicht etwa Kunst oder Innovation, sondern der schiere Selbsterhalt, schrieben die Autoren in einer Analyse im Jahr 2012. Das Buch schlug monatelang hohe Wellen in der deutschen Kunst- und Kulturszene, die Autoren wurden bissig attackiert.
Zehn Jahre später und nach drei Jahren Corona-Krise sprach Epoch Times mit einem der Autoren, Prof. Dr. Armin Klein. Wir wollten wissen, was hat sich seitdem verändert? Trifft die damalige Kritik auch jetzt noch zu?
Herr Prof. Dr. Klein, hat sich die Situation, die Sie im Buch mit Ihren Autorenkollegen „Der Kulturinfarkt“ beschrieben, durch die Corona-Maßnahmen noch verschärft?
In Bezug auf Corona verweise ich gerne auf das Zitat von dem französischen Schriftsteller Michel Houellebecq, der gesagt hat: „Es wird alles werden wie früher, nur viel schlimmer.“ Und ich glaube, diese Erfahrung haben wir gesamtgesellschaftlich gemacht.
Corona hat die Krisensituation, in der wir in Deutschland stecken, noch mal ganz scharf konturiert. Ob das jetzt die Digitalisierung ist, was die Hochschulen ja schmerzhaft erfahren haben oder die Krankenversorgung betrifft. Und im Kulturbereich ist es auch so.
Die Situation, die wir bereits im Buch „Der Kulturinfarkt“ beschrieben haben, dass auf der einen Seite immer mehr produziert wird und auf der anderen Seite immer weniger nachgefragt wird, hat sich weiter verschärft.
Die öffentlich geförderten Theater in Deutschland werden im Schnitt zu 82 Prozent subventioniert. Das heißt, nur 18 Prozent sind Eigeneinnahmen und werden an der Kasse erwirtschaftet. In der Corona-Krise haben diese Einrichtungen trotz Schließung praktisch ein Plus gemacht. Warum? Weil die Zuschüsse natürlich weiter geflossen sind, aber keine Produktionskosten entstanden sind. Dabei waren sie ja die Ersten, die im Rahmen der Corona-Maßnahmen geschlossen und erst spät wieder geöffnet haben. Das ist eine völlig absurde Situation.
Das waren praktisch die Gewinner der Krise, die, die ganz oben in der „Dreiklassengesellschaft“ stehen. Im Buch „Der Kulturinfarkt“ haben wir damals noch von einer „Zweiklassengesellschaft“ gesprochen. Wir haben gesagt, es gibt die, die gut abgesichert sind, das sind die öffentlich subventionierten oder getragenen Kultureinrichtungen. Und auf der anderen Seite gibt es die freien Kultureinrichtungen, die über Projektmittel gefördert werden, die jeweils neu zu beantragen sind.
Was wir gar nicht im Blick hatten, war die große Zahl an Solo-Selbstständigen, die im Grunde genommen als freie Künstler im Theater, als Musiker im Orchester oder wo auch immer, völlig frei dahin schweben.
In der Corona-Krise hat man gemerkt, dass diese Gruppe durch alle Förderkriterien fällt. Dann hieß es: „Wir müssen uns ganz schnell was einfallen lassen, wie wir die auch noch fördern.“
Tatsächlich gibt es in Deutschland weiterhin für große etablierte Kultureinrichtungen, salopp gesagt, so etwas wie einen Bestandsschutz. Also kein Oberbürgermeister, kein Ministerpräsident wird es wagen, eines dieser deutschlandweiten 140 Theater zu schließen.
Auf den Theaterbereich bezogen, man könnte das auch für Museen oder für andere Kultureinrichtungen sagen, ist das Problem, dass wir bei massiv sinkender Nachfrage nach Kultur zu viele Kultureinrichtungen haben. Hinzu kommt, dass von Jahr zu Jahr mehr produziert wird. Es gibt mehr und mehr Veranstaltungen und das Kulturangebot steigt.
Und gerade die eher betagte Bevölkerung in Deutschland bildet das etablierte Kulturpublikum. Genau diese Gruppe war aber von Corona massiv betroffen und mied Orte, wo Kultur aufgeführt wird.
Also ich bin selbst 70 Jahre alt. Gestern war ich zum ersten Mal nach langer Zeit wieder bei einer öffentlichen Veranstaltung. Dort trug die Hälfte der Leute trotz Aufhebung der Maskenpflicht freiwillig eine Maske.
Was ich damit sagen will, ist: In den Theatern, in den Museen und so weiter, wo das betagte Publikum die Stammkundschaft ausmacht, sind die Besucherzahlen weiter massiv zurückgegangen.
Und verrückterweise werden unabhängig davon in vielen Städten, sei es in Karlsruhe, sei es in Frankfurt, sei es in München, sei es in Berlin, sei es in Stuttgart Theatersanierungen durchgeführt, die rund 1 Milliarde Euro kosten.
In Frankfurt werden eine komplette neue Oper und ein neues Schauspielhaus gebaut. Merkwürdigerweise fragt man sich überhaupt nicht: „Wer wird in zehn Jahren da noch hingehen?“
Heißt das, sie befürworten Kultureinrichtungen, die sich auch selbst tragen und durch übliches Marktwirtschaften selbst erhalten können? Soll der subventionierte Teil ihrer Meinung nach abgebaut werden?
Das war nie unsere Forderung gewesen. Es wird auch nie unsere Forderung sein. Ich denke, es ist völlig klar, dass der öffentlich getragene Kulturbereich immer ein Zuschussbereich sein wird. Das lässt sich gar nicht vermeiden.
Aber den wenigsten, die da mitdiskutieren, ist bewusst, dass jede Theaterkarte in Deutschland im Schnitt mit 120 Euro subventioniert wird. Das heißt, wenn Sie an der Theaterkasse 20 € für einen Schauspielbesuch bezahlen, dann legt der Staat noch mal 120 Euro drauf. Wenn Sie mit Ihrer Frau, Ihrem Partner, mit Ihrem Freund beispielsweise 250 € für jede Karte zahlen müssten, dann ist, glaube ich, die Frage nach Marktankopplung oder Marktüberlassung völlig falsch gestellt.
Polemisch ausgedrückt: Wenn 82 Prozent der Einnahmen vom Staat kommen, dann ist das Einzige, was noch stört, der Zuschauer, also die 18 Prozent an Einnahmen, die der Zuschauer bringt. Denn diese Summe ist nur ein Klacks.
Was resultiert daraus?
Dass der Theaterbetrieb einfach um sich selbst kreist. Im Grunde genommen sucht man gar nicht richtig das Publikum und versucht es anzusprechen. Was verhandelt wird im Theater, ist völlig anders als das, was Frau Claudia Roth hinausposaunt. Dort werden nicht unsere wichtigen Lebensprobleme verhandelt, wie sie meint.
Jetzt, mit dem Ukraine-Krieg und der Krise, da müsste unser Theater eine Blütezeit erleben, wo man sagen kann, dort wird das verhandelt, was uns bewegt. Aber wenn Sie mal in die Spielpläne gucken, da werden Sie kaum etwas in diesem Kontext finden.
Mit unserem Buch war die Forderung verbunden, unser Kulturangebot kritisch zu überprüfen, ob die Menge dessen, was produziert wird, tatsächlich noch sinnvoll ist oder vielleicht weniger mehr ist.
Also haben wir mal auf die Pauke gehauen und die Hälfte des Angebots zur Diskussion gestellt, um einen Austausch anzuschubsen. Und dann gab es leider keine Diskussion, sondern ein Hauen und Stechen und es wurde weitergemacht wie bisher.
Das Problem ist – und übrigens nicht nur im Kulturbereich –, dass man Probleme einfach mit Geld zu lösen sucht. Man macht jetzt ein Notprogramm, einen Neustart für die Kultur anstatt die Zeit zu nutzen und zu diskutieren, ob das, was da getrieben wird und die Förderpolitik noch zeitgemäß sind.
Aber welche Gedanken stecken da dahinter? Was hat diese Haltung entstehen lassen?
Bund, Länder und Gemeinden geben jährlich rund 10 Milliarden für Kultur aus. Das ist auf der einen Seite viel Geld. Wenn Sie andererseits sehen, wie in anderen Bereichen mit Milliarden herumgeschleudert wird, dann sind das die berühmten Peanuts. Und kein Politiker, kein Kommunalpolitiker will sich dieser Diskussion stellen, keiner will die Hand an die Kultur legen, das ist in Deutschland ein heiliges Gut und deswegen macht man halt einfach weiter wie bisher.
Und das Schlimme an der Geschichte ist, und das sage ich als jemand, der selber 40 Jahre im Kulturbereich tätig war und die Kultur liebt, dass man alles an Problemen verschleppt und dass man nicht lernt. Wenn Sie 82 Prozent Ihres Einkommens garantiert bekommen, dann werden Sie sich nicht irgendwelche Modernisierungsgedanken machen. Und das ist eigentlich der Kernpunkt, warum wir das Buch geschrieben haben, dass wir gesagt haben, die öffentlich getragenen beziehungsweise geförderten Kultureinrichtungen lernen nicht.
Schauen Sie, ein Wirtschaftsunternehmen, das nicht lernt, wird vom Markt verschwinden. Ganz einfach, weil es nicht konkurrenzfähig ist. Aber die öffentlichen Kulturbetriebe meinen, sie können Theater heute noch so produzieren wie zu Goethes Zeiten. Sie weigern sich, moderne Führungsmodelle zu übernehmen.
Sie lernen nicht, dass heute ein Theater mit vielleicht 800, 900 Angestellten nicht mehr mit einem allmächtigen Intendanten zu führen ist. Und dann spreche ich noch gar nicht von Marketing und auch nicht von Digitalisierung, da spreche ich auch noch nicht von modernen Finanzierungsinstrumenten und, und, und. Es gilt jetzt umzuschalten und die ganze Sache neu zu denken.
Also weniger Hierarchie und mehr moderne Unternehmungsführung?
In Deutschland bieten wir seit 35 Jahren Studiengänge in Kulturmanagement an und lehren dort die ganzen neuen Instrumente. Aber die Kultureinrichtungen übernehmen sie nur sehr zurückhaltend, weil diese Anforderung zum Lernen nicht besteht.
In Kanada haben wir ein Kulturförderungsmodell, was zu 50 Prozent subventioniert wird, und die restlichen 50 Prozent müssen die Einrichtungen selbst erwirtschaften. Das funktioniert hervorragend, weil es die Kultureinrichtungen fordert zu schauen, was in den verschiedenen Gesellschaftsbereichen vor sich geht und wo man sich anpassen muss. Und man muss natürlich auch auf das Publikum schauen, wofür es sich interessiert.
Eine Erfahrung, die in Corona gemacht wurde, war ja, dass die Leute massenhaft ins Mediale abgewandert sind. Dort haben Unterhaltungskonzerne wie Netflix riesige Umsatzsteigerungen gemacht und der Kulturbereich hat weiter geschlafen und einfach mit den alten Modellen weitergemacht.
Das war verschenkte Zeit. Also das Resümee der letzten zehn Jahre nach dem Erscheinen unseres Buches könnte sein: Es gab ein großes Gegacker, aber strukturell hat sich ganz wenig verändert.
Die Schweiz hat diese Diskussion, die wir jetzt führen, vor zehn Jahren geführt. Daraus entstand ein völlig neues Kulturförderungsgesetz. Seitdem werden alle fünf Jahre sämtliche Kultureinrichtungen auf den Prüfstand gestellt und gemeinsam evaluiert, ob die Ziele, die man vereinbart hat, tatsächlich erreicht wurden.
So ein Modell überhaupt in Deutschland mal zu diskutieren und zu sagen, dieses ewige Weitermachen wie bisher, das wird jetzt mal unterbrochen, diese Diskussion ist offensichtlich nicht möglich. Und das ist ein Kernproblem.
Und was halten Sie von dem amerikanischen Modell? Dort wird ja viel mit Sponsoring gearbeitet. Wäre das nicht auf Deutschland übertragbar?
Nein, das ist aus ganz bestimmten Gründen nicht übertragbar. Ich kenne das amerikanische Modell sehr gut. Es ist in der Tat so, dass in den USA sehr viel Geld über die Tickets eingenommen wird. Also die Eintrittspreise für die Kulturveranstaltungen sind dort horrend hoch. So etwas wünsche ich mir für Deutschland nicht.
Aber es ist eine Fehlannahme, dass die restlichen Einnahmen hauptsächlich über das Sponsoring kommen. In Deutschland liegt der Anteil der Sponsoring-Einnahmen bei etwa fünf Prozent. In Amerika sind es acht Prozent, die durch das sogenannte Corporate Giving, von großen Firmen einfließen. Der weitaus größere Teil fließt durch das sogenannte Private Giving ein.
Das heißt Menschen wie Sie und ich, die sich für eine Kultureinrichtung engagieren und dort Mitglied werden, nehmen an sogenannten Mitglieder-Programmen teil. Ab 50 bis vielleicht 20.000 US-Dollar im Jahr können Sie Mitglied im Museum, in einem Theater undsoweiter werden. Dadurch haben sie dann gewisse Vorteile. Das schafft eine ganz enge Ankopplung an die Besucher.
Seit 30 Jahren ziehe ich mit Seminaren durch die Bundesrepublik und sage Leute, warum gucken wir uns das nicht ab? Warum machen wir so etwas nicht auch bei uns in Deutschland? Und dann wird gesagt: „Wir zahlen in Deutschland sowieso schon so viele Steuern. Wir sind nicht bereit, dann noch zusätzlich privat etwas abzugeben.“
In Deutschland hat Staatsfinanzierung Tradition. In Amerika ist es Tradition, dass die Menschen aus Eigenantrieb und eigenem Engagement heraus Geld geben.
Grob gesehen werden in den USA rund 50 Prozent der Einnahmen durch den Ticketverkauf erwirtschaftet, acht Prozent durch das Firmen-Sponsoring und ungefähr 40 Prozent durch die Mitglieder-Programme. Und dann gibt es noch andere Finanzierungsmodelle, insgesamt ungefähr 14 Einnahmequellen.
In Deutschland haben wir im Grunde genommen ein zweidimensionales Modell. Der Staat gibt ganz viel, dann kommen die Einnahmen durch die Eintrittsgelder und ein bisschen Sponsoring.
Dabei gibt es positive Beispiele wie das Festspielhaus in Baden-Baden, der Heidelberger Frühling oder das Musikfestival im Rheingau. Das sind alles Modelle, wo man nicht alles auf den Staat abwälzt. Also diese fehlende Fantasie in Deutschland, das ist das, was uns auf die Barrikaden treibt.
Besteht bei dem jetzigen zweidimensionalen Finanzierungssystem in Deutschland nicht die Gefahr, dass auch der Staat entscheidet, was gezeigt wird und was nicht?
Nein, der Staat kann nicht inhaltlich bestimmen, denn Art. 5 ABS. 3 Grundgesetz schützt die künstlerische Freiheit, das heißt jede Kulturinstitution bestimmt inhaltlich selbst und kann das im Zweifelsfall vor dem Verfassungsgericht einklagen.
Was sagen Sie zum Argument der Subventions-Befürworter, dass, wenn Kulturinstitutionen ihre Eintrittspreise anheben, es dann automatisch zu einem Besucherrückgang kommt?
Das ist in meinen Augen eine Fiktion. Nehmen wir die Foundation Beyeler in Basel. Dort liegen die Eintrittsgelder mittlerweile bei 30 Franken. Trotzdem sind die Schlangen dort an Werk- wie an Sonntagen lang, weil das, was geboten wird, die Leute tatsächlich interessiert.
Ich denke, es gibt eine Grenze nach oben, wo man sagen muss, für bestimmte Gruppen muss es einen vernünftigen Zugang geben, also für Schüler, Studenten, die Jugend, die keine eigenen Einnahmen hat. Aber die Hoffnung, dass, wenn alles nur billig ist, dann kommen die Leute – das funktioniert längst nicht mehr.
Der Preis ist es nicht, was regulativ ausschlaggebend ist. Es ist vielleicht ein Ausschlusskriterium, dass bestimmte Gruppen sich das nicht leisten können. Aber da kann man sich ja Gedanken machen.
Im Grunde genommen hat die ganze Diskussion eine völlige Schieflage, weil wir immer nur über das Geld reden. Wir sollten stattdessen über die Zuschauer reden. Aber offensichtlich funktionieren wir Menschen so, dass wir erst, wenn die Not kommt, erfinderisch werden, statt schon vorher die Zeit zu nutzen.
Kann man zugespitzt sagen, dass diese massive Subvention Bequemlichkeit und Trägheit, also die schlechten Eigenschaften im Menschen fördert, wogegen eine fordernde Umgebung – ein gewisser Druck – die guten Eigenschaften zum Vorschein bringt und zu mehr Innovation, mehr Flexibilität und mehr Dynamik führt?
Ja genau, und es ist noch schlimmer. Wenn Sie jetzt sagen: „Ich bin jetzt ein innovatives Theater und probier das mal alles aus, was das Kulturmanagement zu bieten hat.“ Dann ist es ja keineswegs so, dass sie da in irgendeiner Form eine Belohnung kriegen, sondern im Gegenteil. Die öffentliche Hand sagt dann: „Prima, du kommst mit weniger Geld aus. Vielen Dank! Das können wir an einer anderen Stelle verwenden.“
Diese Logik zu durchbrechen, Innovation zu belohnen und nicht die Trägheit zu belohnen, das wäre im Grunde genommen ein Anreiz, den man mit dem eingesparten Geld schaffen könnte. Dann kommen wir auch weg von diesem ganzen Materialistischen. Es geht darum, dass die Kultureinrichtungen lernen und lernen tun wir Menschen nur, wenn wir dazu gezwungen sind.
Anhand der Opern sieht man ja, dass es auch mit hohen Preisen funktioniert. Der Spitzenreiter dort ist die Oper in Hamburg, die 40 Prozent der Einnahmen selbst erwirtschaftet. Wenn Menschen etwas wert ist, sind sie bereit, dafür auch entsprechend zu zahlen.
Dabei spielt die familiäre Sozialisation eine entscheidende Rolle. Wir wissen aus ganz vielen Untersuchungen. Wer als Kind mit Kultur in Berührung gekommen ist beziehungsweise selbst kulturell tätig war, sei es durch das Schultheater, die Musikschule, beim Ballettunterricht oder durch die Kinder-Malschule, der wird in Zukunft sehr wahrscheinlich kulturaffin sein. Und wer damit nichts zu tun hatte, der wird sehr wahrscheinlich nicht an Kunst und Kultur interessiert sein. Deswegen betonen wir im Buch die kulturelle Bildung so stark und sagen, dass wir da viel mehr investieren müssen.
Denn mithilfe von Kultur werden wir mündige Bürger, die in der Lage sind zu reflektieren und sich auch eine andere Welt vorstellen können.
Was bedeutet für sie Kultur?
Für mich ist Kultur ausgehend vom weiten Kulturbegriff essenziell für unsere Gesellschaft. Kultur ist die Ebene, wo wir uns selbst reflektieren, wo wir uns selbst einen Spiegel vorhalten. Wenn wir diesen Spiegel leichtfertig aus der Hand geben, dann werden wir nur noch Maschinen sein. Dann entsteht hier wahrscheinlich so eine Utopie wie in China.
Das ganze Bürgertum in Deutschland wäre ohne das bürgerliche Theater überhaupt nicht vorstellbar gewesen, was übrigens genauso für England oder Frankreich gilt. Das bürgerliche Theaterspiel hat ja im Grunde genommen die ganzen neuen Werte, die das Bürgertum sich auf die Fahnen geschrieben hat, im Theater vorweggenommen. Und das können Sie durchdeklinieren bis in die bildende Kunst, die Musik und so weiter. Also unser Leben wäre einfach arm, wir wären nur noch konsumierende Lebewesen, die dahinvegetieren.
Aktuelle Untersuchungen zeigen allerdings, dass etwa die Hälfte der Bevölkerung nichts, aber auch gar nichts mit Kultur zu tun hat. Die, die kulturell richtig engagiert und begeistert sind, das sind vielleicht sieben, acht Prozent in Deutschland.
Also von daher ist für mich persönlich – aber auch für meine Vision von Gesellschaft – Kultur existenziell. Doch die Frage ist: Wie entsteht sie und vor allen Dingen, wer wird erreicht?
Das Interview führte Erik Rusch.
Prof. Dr. Armin Klein (70) ist seit 2017 im Ruhestand, hält aber weiter Vorträge und Seminare ab und führt Beratungen für Kulturbetriebe durch. Ab 1994 bis zu seinem Ruhestand war er als Professor für Kulturwissenschaft und Kulturmanagement am Institut für Kulturmanagement der PH Ludwigsburg tätig.
Zudem war er langjähriger Gastdozent im Nachdiplomstudiengang Kulturmanagement der Universität Basel, der Universität Bern, der Universität Freiburg im Breisgau, der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften in Winterthur und des International Centre for Culture and Management in Salzburg.
2012 gründete und leitete er (zusammen mit Dr. Patrick Föhl) die erste Ulm Danube School for Arts Management. Von 2002 bis 2011 war er Leiter des Weiterbildungsprogramms der Robert-Bosch-Kulturmanager in Mittel- und Osteuropa. Davor war er von 1996 bis 2001 Dozent der International Summer Academy Salzburg. Von 2006 bis 2012 war er Vorstandsmitglied der Kulturpolitischen Gesellschaft.
Er ist Herausgeber der Reihe „Kulturmanagement und Kulturwissenschaft“, Mitherausgeber „Deutsches Jahrbuch für Kulturmanagement“ sowie vom „International Journal of Arts Management“, Montreal. 1981-1994 war er Kulturreferent der Universitätsstadt Marburg. 1993 promovierte er zum Dr. phil an der Philipps-Universität Marburg.
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