Kubicki: „Viele Projekte der Koalition unrealistisch“ – Lang bestreitet Willen zur Deindustrialisierung

Am Freitag ist der dreitägige Ludwig-Erhard-Gipfel der Weimer Media Group zu Ende gegangen. In der Schlussrunde mit Spitzenvertretern von Ampel und Union mahnte FDP-Vize Kubicki realistischere Ziele aufseiten der Bundesregierung an. Er zeigte sich optimistisch, dass die Koalition halten werde.
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FDP-Vizeparteichef Wolfgang Kubicki.Foto: Adam Berry/Getty Images
Von 20. April 2024

Drei Tage lang standen die Gemeinden Gmund und Tegernsee im Zeichen des sogenannten Ludwig-Erhard-Gipfels. Die Veranstaltung soll dem Austausch zwischen Meinungsführern und Entscheidungsträgern aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft dienen. Am Freitag, 19. April, ging die Veranstaltung mit dem „Spitzentalk“ von Vertretern der Bundestagsparteien zu Ende. An der Diskussionsrunde nahmen Friedrich Merz (CDU), Saskia Esken (SPD), Ricarda Lang (Grüne) und Wolfgang Kubicki (FDP) teil.

Kubicki nennt Kraftwerksstrategie als Beispiel für unrealistische Vorstellungen

Angesichts zunehmender Spekulationen über ein vorzeitiges Ende der Ampelkoalition erklärte der FDP-Vize, sein „Bauchgefühl“ sage ihm, dass diese bis zum Ende halten werde. Allerdings seien deutlich intensivere Anstrengungen erforderlich, um die derzeitige Wirtschaftskrise zu überwinden. Er müsse feststellen, dass „die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft massiv gelitten“ habe, äußerte Kubicki.

In der Vorwoche hatte der Internationale Währungsfonds (IWF) im Vorfeld seiner Frühjahrstagung seine vorherige Wachstumsprognose für 2024 deutlich gesenkt. Statt 0,5 Prozent erwartet die internationale Institution nur noch 0,2 Prozent Plus beim BIP. Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute gingen Ende März sogar nur noch von 0,1 Prozent aus.

Um der Lage Herr zu werden, müsse sich die Ampel „realistischere Ziele setzen“, betonte Kubicki. Viele der Projekte der Koalition halte er für unrealistisch. Er nannte dabei unter anderem die geplanten 50 Gaskraftwerke, die erst als Reserve zur Verfügung stehen und dann auf Wasserstoff umgerüstet werden sollten. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte dies im Rahmen seiner Kraftwerksstrategie angekündigt.

Sozialstaat „nicht mehr nachvollziehbar“ und auf „umfassende Betreuung“ ausgerichtet

Kubicki klagte auch über das Bildungsniveau in Deutschland. Dieses sinke „in einem dramatischen Ausmaß, das kaum noch zu beschreiben ist“. Die Reaktion darauf bestehe darin, dass „wir einfach das Leistungsniveau absenken und mittlerweile Abiturnoten erteilen auf dem Wissensstand der Oberprima“. Dies gefährde perspektivisch auch den Standort Deutschland insgesamt.

Ebenso wie CDU-Chef Merz beklagte der FDP-Vize zudem, dass die Frage nach der Effizienz sozialer Leistungen zunehmend tabuisiert werde. Wer diese aufwerfe, gerate „schnell in den Verdacht, unmenschlich zu sein“. Merz äußerte, der Sozialstaat sei für viele „gar nicht mehr nachvollziehbar“. Es gehe immer mehr um eine umfassende Betreuung als um Hilfe zur Selbsthilfe.

Außerdem, so Merz mit Blick auf das Bürgergeld, sei die Unterstützung vonseiten des Staates „teilweise so hoch, dass man an der Arbeitssituation nichts ändern muss“. Mittlerweile würden auf diese Weise sogar Menschen ohne Bleiberecht versorgt.

Esken weist Kritik von Merz und Kubicki zurück

SPD-Chefin Saskia Esken verteidigte die Sozialpolitik der Bundesregierung. Es gebe viele Menschen, die auf fremde Hilfe angewiesen seien und ihr Essen von der Tafel beziehen müssten. Der Sozialstaat sei für jene da, die arbeiten gingen, deren Geld aber dennoch einfach nicht ausreiche:

„Diese Menschen haben uns signalisiert, dass sie Unterstützung brauchen. Der Sinn dieses Sozialstaates ist, diese Menschen da rauszuholen.“

Es sei zwar eine genauere Prüfung der Bedürftigkeit in Zeiten knapper Kassen erforderlich, räumte Esken ein. Allerdings sei auch klar, dass eine pauschale Vergabe weniger Aufwand mit sich bringe.

Esken bezeichnete den Fachkräftemangel als die „Achillesferse unserer wirtschaftlichen Entwicklung“. Sie prognostizierte, dass Deutschland damit „noch ein anwachsendes Problem haben“ werde. Im Vorjahr hatte die Bundesregierung unter Federführung von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil das Fachkräfteeinwanderungsgesetz reformiert. Kritiker aus Wirtschaftsverbänden betrachten es nach wie vor als zu bürokratisch.

Lang: „Wir wollen weiter Industrieland bleiben“

Grünen-Chefin Ricarda Lang widersprach wiederum dem Vorwurf, ihre Partei und die Ampel strebten Klimaschutz durch eine Schrumpfung der deutschen Wirtschaftsleistung an. Ein solcher Ansatz würde Jobs und Wohlstand kosten und am Ende auch die Stabilität im Land.

Für sie sei es, so Lang, „nicht der Weg, zu sagen, dass wir alles ins Ausland packen“. Man wolle „weiter Industrieland bleiben“. Kubicki erklärte daraufhin, „etwas sprachlos“ zu sein. Derzeit, so der FDP-Vize, sei „genau das Gegenteil“ der Fall.

Kubicki mahnte eine „Wirtschaftswende“, die „wirklich ein Wumms“ sein müsse. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Bundesfinanzminister Christian Lindner hatten bereits vor Wochen signalisiert, sich über deren Notwendigkeit einig zu sein. Eine konkrete Vereinbarung scheiterte bislang an unterschiedlichen Vorstellungen über deren Finanzierung.



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