Impfstrategie der Bundesregierung erntet harsche Kritik
Rund eine Woche nach Beginn der Corona-Impfungen in Deutschland wächst die Kritik an der Strategie der Bundesregierung. Ein Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina warf der großen Koalition schwere Versäumnisse bei der Beschaffung des Impfstoffs vor.
Auch SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sieht deutliche Defizite. SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese griff den Gesundheitsminister scharf an: „Ich bin derzeit schon entsetzt über Jens Spahn“, sagte er t-online. „Er muss als zuständiger Minister endlich seinen Aufgaben nachkommen und die offensichtlichen Probleme unverzüglich in den Griff bekommen.“
Nach den aktuellsten Daten des Robert Koch-Instituts wurden bis Neujahr rund 165.000 Menschen in Deutschland gegen das Coronavirus geimpft. Allerdings hinken die Meldungen an das RKI teilweise der Zahl realer Impfungen in den Bundesländern hinterher.
Lauterbach erwartet zunächst auch noch keine Besserung der Corona-Lage. „Wir werden jetzt die schlimmsten drei Monate der gesamten Pandemie mit hohen Infektions- und Todeszahlen vor uns haben“, sagte er der „Rheinischen Post“. Ab April sei dann durch eine Kombination aus besserem Wetter und mehr verfügbarem Impfstoff ein Licht am Ende des Tunnels erkennbar.
Zu wenig Impfstoff geordert
Deutschland und Europa könnten aus seiner Sicht mit den Impfungen allerdings schon weiter sein. Es sei zu wenig Biontech-Impfstoff geordert und auch beim amerikanischen Unternehmen Moderna zu wenig bestellt worden. „Schon sehr früh war klar, dass der Moderna-Impfstoff sehr stark wirkt und in Hausarztpraxen verwendet werden könnte“, sagte Lauterbach. Wegen der geringen bestellten Menge werde der Moderna-Impfstoff wohl auch bei einer zeitnahen Zulassung keine Rolle spielen. Die Bundesregierung rechnet damit, dass dieser Impfstoff am 6. Januar zugelassen wird.
Die Leopoldina-Neurologin Frauke Zipp betonte: „Ich halte die derzeitige Situation für grobes Versagen der Verantwortlichen.“ Es habe im Sommer Angebote für mehr Impfstoff gegeben, sagte sie der „Welt“. „Wir hätten sie jetzt zur Verfügung.“ So habe etwa Biontech im Spätsommer wesentlich mehr Impfdosen angeboten. Die Leopoldina gehört zu den wichtigsten Beratern der Regierung in der Pandemie.
Biontech hatte am Freitag erklärt, mehr Corona-Impfstoff als bisher geplant an die EU liefern zu wollen. Das Unternehmen befinde sich „in fortgeschrittenen Diskussionen, ob und wie wir weitere Impfstoffdosen aus Europa für Europa in diesem Jahr zur Verfügung stellen können“, sagte Unternehmenschef Ugur Sahin der Deutschen Presse-Agentur.
Wissing: Spahn hat „versagt“
FDP-Generalsekretär Volker Wissing griff Spahn wegen des knappen Impfstoffs an. Allerspätestens im Herbst hätte er auf die rasanten Entwicklungen bei Biontech reagieren müssen, sagte Wissing dem „Handelsblatt“. „Er hat aber die Fehlentscheidung der Bundesregierung nicht korrigiert und versagt.“
Die Linksfraktion fordert eine Regierungserklärung des Gesundheitsministers im Bundestag. „Es muss aufgearbeitet werden, warum der Impfstoff zu knapp ist und wo geschlampt wurde“, sagte der parlamentarische Fraktionsgeschäftsführer Jan Korte der Deutschen Presse-Agentur. Spahn müsse auch erklären, wie die Kapazitäten schnellstens erhöht werden könnten.
Am Dienstag will Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten der Länder die Situation besprechen. Dabei soll auch entschieden werden, ob der aktuelle Lockdown nach dem 10. Januar fortgesetzt wird. Vieles spricht aus Sicht von Wirtschaftsexperten und Politikern dafür. Niedersachsens Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD) sagte im Deutschlandfunk: „Wir haben immer mehr Patienten, die wir behandeln müssen. Deshalb sehe ich für eine Veränderung keinen Anlass.“
Auch der Deutsche Städtetag erwartet eine Verlängerung des Lockdowns. Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy sprach sich im Deutschlandfunk auch dafür aus. die Schulferien zu verlängern. Ein Präsenzunterricht werde erst wieder möglich sein, wenn das Infektionsgeschehen eingedämmt sei. Man müsse auch darüber nachdenken, ob Lehrpläne verändert werden müssten. Wenn man Kontakte reduzieren wolle, spreche vieles auch für einen weiteren Lockdown bei den Kitas. (dpa)
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