Kretschmer will Mehrheiten ohne die AfD finden – per Konsultationsmechanismus

Um Neuwahlen zu vermeiden, wollen CDU und SPD im sächsischen Antrag Koalitionsgespräche für eine gemeinsame Minderheitsregierung aufnehmen. Spätere Mehrheiten im Parlament sollen per „Konsultationsmechanismus“ erreicht werden. Dabei werde die AfD auf keinen Fall „praktischen Einfluss“ erhalten.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) will keine Minderheitsregierung. (Archivbild)
Sachsen Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) will eine gemeinsame Minderheitsregierung mit der SPD bilden, bei der ein Einfluss der AfD von vornherein ausgeschlossen werden soll (Archivbild).Foto: Michael Kappeler/dpa
Von 15. November 2024

Zweieinhalb Monate nach der Landtagswahl haben die Fraktionen von CDU und SPD im sächsischen Landtag am 15. November 2024 beschlossen, gemeinsame Koalitionsverhandlungen für eine schwarz-rote Minderheitsregierung zu starten. Die Sondierungsgespräche für ein Dreierbündnis mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das eine Mehrheit im Plenum bedeutet hätte, waren in der Vorwoche wegen unüberbrückbarer Differenzen gescheitert.

„Ich bin sehr, sehr froh, dass das zentrale Verbindende für uns ist: Wir wollen eine Politik aus der Mitte des politischen Spektrums heraus machen“, erklärte der geschäftsführende Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) gleich zu Beginn der Landespressekonferenz in Dresden am späten Freitagvormittag.

Wenige Tage nach der Landtagswahl vom 1. September hatte er die Option einer Minderheitsregierung noch strikt ausgeschlossen und versichert, bei dieser Meinung bleiben zu wollen.

„Konsultationsmechanismus“ soll Mehrheiten ermöglichen

Wie schon nach den Sondierungsgesprächen in Thüringen wollen auch CDU und SPD in Sachsen für ihre Handlungsfähigkeit auf ein Konsultationsverfahren setzen. Kretschmer:

Wir wünschen uns, dass der Vorschlag für einen neuen sächsischen Konsultationsmechanismus aufgegriffen wird und lebendig genutzt wird“.

„Vorschläge und Gesetzentwürfe der sächsischen Staatsregierung“ sollen nach den Worten Kretschmers dafür „schon vor der eigentlichen Parlamentsbefassung“ an alle Fraktionen, Gruppen oder Abgeordnete des Landtags übermittelt werden. Diese hätten dann die Möglichkeit, eigene Vorschläge zu entwickeln oder Anregungen zu geben.

Die Staatsregierung könne und solle diese Ideen später „einarbeiten“. Auf diese Weise würden auch die Ideen der Bürger mit in die Regierungsarbeit einbezogen.

„Auf jeden Fall endet dadurch diese Märtyrerrolle, in die sich einige persönlich stellen und sagen, mit uns redet niemand“, meinte der designierte Ministerpräsident, ohne die AfD ausdrücklich zu erwähnen. „Man darf diese Märtyrerrolle nicht zulassen“.

Eine künftige Regierung müsse auch daran arbeiten, dass der „Nährboden“ für die AfD entzogen werde: „Auch dafür besteht ja jetzt mit der vorgezogenen Bundestagswahl eine Chance“.

Nur 51 von 120 Sitzen – Stillstand droht

Kretschmers CDU (41 Sitze) und der SPD (10 Sitze) fehlt es mit ihren gemeinsam 51 Sitzen an zehn Stimmen bis zur Mehrheit im 120-sitzigen Parlament. Die benötigten Kräfte für ein Gesetzvorhaben könnten aus dem Lager des BSW (15) besorgt werden. Die übrigen Fraktionen Grüne (7), Linke (6) und ein Vertreter der Freien Wähler könnten bei jeder Abstimmung das Zünglein an der Waage bilden. Die AfD besitzt mit 40 Sitzen die zweitgrößte Fraktion.

Foto: ts/Epoch Times

Es werde „nicht einfach werden“, das „Land vor dem Stillstand zu bewahren“ und „handlungsfähig und agil zu bleiben“, räumte Kretschmer ein. In den nächsten Tagen würden zunächst die Arbeitsgruppen weiter an dem arbeiten, was die Sondierungsgruppe bereits erarbeitet habe. „Und am Ende werden dann die zwei Parteien darüber entscheiden, ich hoffe, positiv, dass man gemeinsam in die nächsten Jahre geht.“

Für den CDU-Fraktionschef Christian Hartmann ist nicht mehr die Frage ob, sondern nur noch, „unter welchen Rahmenbedingungen“ man in die Minderheitenregierung gehen werde. „Wir sind da jetzt, glaub‘ ich, auf einem guten Weg.“

SPD-Chef Homann: „Erst das Land, dann die Partei“

Henning Homann, der Vorsitzende der sächsischen SPD, betonte, dass die SPD auch und gerade „in schwierigen Zeiten“ Verantwortung übernehmen wolle. Für ihn gelte der Grundsatz „Erst das Land, dann die Partei“.

Der sächsische SPD-Vorsitzende Henning Homann (l.) und der designierte CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer stellten am 15. November 2024 ihre Pläne für eine gemeinsame Minderheitsregierung vor. Foto: Bildschirmfoto/MDR

Der sächsische SPD-Vorsitzende Henning Homann (l.) und der designierte CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer stellten am 15. November 2024 ihre Pläne für eine gemeinsame Minderheitsregierung vor. Foto: Bildschirmfoto/MDR

Den gemeinsamen Plan für eine Minderheitsregierung bezeichnete Homann als „eine Frage des Respekts vor dem Wahlergebnis“. Es handele sich um eine „große Herausforderung“, aber auch um eine Chance:

Dieses Land hat die Chance, mit einer Minderheitsregierung eine neue politische Kultur sich zu erarbeiten, die manchmal etwas nervigen Rituale zwischen Regierung und Opposition zu überwinden […] und über die Sache um Mehrheiten zu werben.“

Relevanter Einfluss für AfD von vorneherein ausgeschlossen

Die künftige CDU/SPD-Regierung werde auf Grundlage des neuen Konsultationsmechanismus auch bei der AfD um konstruktive Vorschläge nachfragen. „Und danach entscheiden wir gemeinsam, welche Vorschläge wir aufnehmen und welche nicht“. Eine Zusammenarbeit mit den Blauen schloss auch Homann kategorisch aus:

Die AfD wird in diesem Land keinen praktischen Einfluss mit ihren hetzerischen, mit ihren antisozialen Thesen auf Politik in Sachsen erhalten. […] Das Konsultationsverfahren fragt am Anfang alle. Aber es schließt gleichzeitig aus, dass am Ende die AfD irgendeinen relevanten Einfluss auf Politik in Sachsen gewinnt.“

Denn falls die AfD in Verantwortung käme, so warnte Homann, dann würde sie „systematisch Sozialdemokraten und Christdemokraten und anderen Demokraten […] ihre parlamentarischen Rechte entziehen“. Das habe das Beispiel anderer „rechtspopulistischer“ Parteien im übrigen Europa gezeigt.

Kretschmer bestätigte, dass es mit Vertretern der AfD auf keinen Fall eine Zusammenarbeit oder auch nur „eine Suche nach Mehrheiten“ geben werde, weil deren Landesverband vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft worden sei.

Vor gut einer Woche hatte sich Kretschmer angesichts des drohenden Scheiterns eines Dreierbündnisses mit dem BSW noch mit dem AfD-Fraktions- und Landesvorsitzenden Jörg Urban getroffen – sehr zum Ärger von SPD-Generalsekretär Matthias Miersch.

Wirtschaft, Arbeitsplätze, Sicherheit, Investitionen, Bürokratie

Als Kernaufgaben nannten Homann und Kretschmer Verbesserungen für die Wirtschaft, den Arbeitsmarkt sowie für die innere, äußere und soziale Sicherheit. Zudem stelle sich die Frage, wie in Schulen, Kitas und Krankenhäuser investiert und Bürokratie abgebaut werden könne.

„Wenn uns das gelingt, im Rahmen der Koalitionsverhandlungen ein solches Angebot zu formulieren, dann kann es auch gelingen, dass wir eine Minderheitsregierung zusammen bilden“, sagte Homann. „Wichtige Grundlagen“ dafür seien bereits gelegt worden. Homanns Credo:

„Wir wollen Sachsen aus der Mitte heraus wieder zusammenführen. Das muss unser Ziel sein. Das schließt eine gesichert rechtsextreme Partei aus, das ist auch richtig so. Aber schließt eben auch alle anderen – und das ist immer noch die übergroße Mehrheit in diesem Land – ein.“

Ein Video der Pressekonferenz der Sondierungspartner von CDU und SPD ist auf dem YouTube-Kanal des TV-Sendern Phoenix einsehbar.

Jörg Urban (AfD, Archivbild) sieht in der Entscheidung von Kretschmer, eine Minderheitsregierung in Sachsen bilden zu wollen, eine „Verhöhnung des Wählerwillens“. Foto: Sean Gallup/Getty Images

AfD: „Wahrscheinlich geht es noch weiter nach links “

Der sächsische AfD-Fraktions- und Landesvorsitzende Urban kritisierte das Bündnisvorhaben in einer Pressemitteilung der sächsischen AfD-Fraktion:

Da sich CDU und SPD ihre Mehrheit ausschließlich über das linke Lager organisieren wollen, ist klar, dass es keinen Abschied von linker Politik geben wird. Im Gegenteil: Es ist zu befürchten, dass es noch weiter nach links geht.“

Immerhin, so Urban, könnten das BSW, die Linken und die Grünen Kretschmers CDU „jederzeit erpressen“.

In Wahrheit aber gebe es in Sachsen „eine überdeutliche Mehrheit für eine Mitte-Rechts-Politik“, schrieb Urban. Dieser Wählerwille sei Kretschmer und der SPD-Sozialministerin Petra Köpping wohl egal. Das betrachte er als eine „Verhöhnung des Wählerwillens“. Darüber hinaus habe Köpping „das Gesundheitswesen kaputtgespart und Vetternwirtschaft betrieben“. Sie sei aus seiner Sicht deshalb „nicht länger zu halten“. „Ich habe zudem den Eindruck, dass CDU und SPD hier in Sachsen ein Bündnis in Berlin zur Bundestagswahl vorbereiten wollen“, so Urban.

BSW-Landeschefin Zimmermann: Kretschmer-Wahl nur unter bestimmten Bedingungen

Sabine Zimmermann, die Landesvorsitzende des BSW in Sachsen, sieht in den Bemühungen um eine schwarz-rote Minderheitsregierung nach Informationen der „Welt“ „nur eine gute Seite“:

Jetzt müssen sich CDU und SPD, die seit zehn Jahren gemeinsamen Regierens das Land heruntergewirtschaftet haben, bei jedem einzelnen Gesetz, das sie im Landtag verabschieden wollen, mit dem BSW verständigen.“

Sie selbst rechne mit einem „Stillstand pur“, auch wenn sich das BSW in Sachsen „guten Lösungen nicht verschließen und eine konstruktive Grundhaltung bewahren“ werde. Ihre Fraktion werde jedenfalls „aufpassen, dass unsere Grundwerte nicht verletzt werden“.

Die Wahl des Ministerpräsidenten werde das BSW davon abhängig machen, ob Kretschmer „konkrete Zusagen“ mache – „zum Beispiel gegen Sozialkürzungen oder für einen konsequenten Umgang mit ausreisepflichtigen Asylbewerbern“, kündigte Zimmermann an.



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