Presseschau zum Verbot von ‚linksunten.indymedia‘: Erst schießen, dann weitere Beweise sammeln?
Das Innenministerium verbot die Internetplattform „linksunten.indymedia.org“. Minister Thomas de Maizière legte eine siebenseitige Auflistung mit Beiträgen auf „linksunten.indymedia“ vor, mit denen das Verbot begründet wurde. Darunter waren Beiträge mit strafbaren Inhalten, Bekennerschreiben zu Straftaten und verfassungsfeindliche Inhalte – teils mit Bezug auf den G20-Gipfel.
Die Plattform sei auf Grundlage des Vereinsgesetzes verboten worden. Ziel sei die Zerschlagung der Vereinsstruktur und die Beschlagnahme des Vereinsvermögens. De Maizière räumte ein, dass die Abschaltung der linksextremistischen Plattform „heute oder morgen technisch noch nicht möglich sein wird“.
Die Webseite „linksunten.indymedia“ gilt als die einflussreichste Internetplattform gewaltbereiter Linksextremisten in Deutschland. Das Verbot richtet sich demnach ausdrücklich nicht gegen das weltweite Netzwerk indymedia. Zum Weiterlesen: Baden-Württemberg: Durchsuchungen nach Verbot von linksextremer Seite – Zahlreiche Waffen gefunden
„Stuttgarter Zeitung“: Punkten bei den Konservativen
„Mit solchen Offensiven lässt sich beim konservativen Publikum punkten, dem die Merkel-CDU ansonsten wenig zu bieten hat. Solche taktischen Erwägungen sind ein unschöner Nebenaspekt, sprechen aber keineswegs gegen die Legitimität der Verbotsaktion. Allerdings wäre es wünschenswert, dass der Innenminister seinen Blick auch nach rechts wendet.“
Leipziger Volkszeitung: Wahlkampf mit Kinnhaken an die linksextreme Szene
„Für den Bundesinnenminister hat das Vorgehen gegen ‚linksunten.indymedia.org‘ parteipolitisch willkommene Nebeneffekte. Vier Wochen vor der Bundestagswahl versetzt de Maizière nun der linksextremen Szene einen Kinnhaken. Das wird vielen gefallen, die seit Langem den Eindruck hatten, der Staat blicke auf der Suche nach politischen Gewalttätern immer nur auf die Rechtsradikalen.“
„De Maizière kämpft zugleich auch ums eigene politische Überleben. Die Schwesterpartei CSU reklamiert das Innenressort für die Zeit nach der Bundestagswahl für sich. De Maizière aber will nicht als einer dastehen, der in Fragen der inneren Sicherheit Tipps von der CSU und deren Ministeraspiranten Joachim Herrmann nötig hätte.“
„Junge Welt“ aus Berlin: Wie viele Beiträge stammten von V-Leuten?
„Man muss nicht alles goutieren, was auf der ‚linksunten.indymedia‘-Seite steht. Darunter ist auch mancher Blödsinn. Man möchte gerne wissen, wie viele Beiträge von Provokateuren oder V-Leuten selbst stammen, wird es aber nie erfahren.“
„CDU und CSU gerieren sich einen Monat vor der Bundestagswahl gegenüber ihrer bürgerlichen Klientel als Kämpfer gegen ‚Extremismus jeder Couleur‘, indem sie ein linksradikales Netzwerk zerschlagen oder jedenfalls behindern. Es wird der linken Szene vermutlich rasch gelingen, die verbotene Seite woanders im Netz wiederherzustellen.“
„Neue Osnabrücker Zeitung“: Wahlkampf beim Thema innere Sicherheit
„Ist der Staat auf dem linken Auge blind? Fast schien es so. Wie sonst konnten beim G-20-Gipfel vor knapp zwei Monaten Linksextreme so viel Randale machen. Auch wenn inzwischen klar ist, dass es mehr um die Polizeistrategie gegen die Autonomen ging als um die vermeintliche Vernachlässigung der linksextremen Szene, so steht der Vorwurf immer noch im Raum.“
„Und da packt Bundesinnenminister Thomas de Maizière die Gelegenheit beim Schopf, um im Wahlkampf beim Top-Thema innere Sicherheit zu punkten. Denn beim Verbot der linksextremen Plattform geht es um nichts weniger als die Kernkompetenz der Union. Gut gebrüllt, Herr Minister. Seine Botschaft lautet: Der Staat handelt. Gegen links genauso wie gegen rechts.“
„Süddeutsche Zeitung“: Erst ein Verbot, dann Beweise sammeln?
„Würde man der alten Devise folgen, dass auf einen groben Klotz ein grober Keil gehöre, dann hätte der Bundesinnenminister alles richtig gemacht, als er gleich die ganze linksradikale Internet-Plattform ‚indymedia‘ verbieten ließ, jedenfalls ihre deutsche Variante.(…) Zugegeben: Wegen der strikten Anonymität vieler, die sich auf der Plattform äußerten, war es für die Behörden schwer, einzelne Urheber ausfindig zu machen, die dort strafbare Beiträge ins Netz stellten.“
„Es gibt freilich ein verfassungsrechtliches Übermaßverbot: Der Staat soll nicht im Übermaß, sondern so maßvoll wie möglich eingreifen. Das Vorgehen dagegen, erst ein generelles Verbot auszusprechen und dann weitere Beweise dafür zu sammeln, erinnert ein wenig an das alte Motto aus dem Western: Schieß erst, frage später.“ (afp/dpa/ks)
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