Kohle und Klima: Expertenkommission tagt in der Lausitz
Das Thema Braunkohle-Ausstieg in Deutschland ist auf heiklem Terrain angelangt – im doppelten Sinne. Erst protestierten Kohlegegner gegen die Rodung des Hambacher Forsts im Rheinischen Revier.
Nun besucht die von der Bundesregierung eingesetzte Kohlekommission die Lausitz. An diesem Donnerstag tagt sie im zweitgrößten deutsche Braunkohle-Revier, in dem Tausende ihren Job verlieren könnten – wenige Tage, nachdem der Weltklimarat eine deutliche Warnung aussprach.
„Beispiellose Veränderungen“ seien weltweit nötig, um die Erwärmung der Erde noch auf 1,5 Grad zu beschränken, erklärte das Gremium der Vereinten Nationen am Montag. Andernfalls drohe neben Dürren und steigenden Meeren möglicherweise der Zusammenbruch des gesamten Klimasystems. Einziger Ausweg: Der Ausstoß von Treibhausgasen wie Kohlendioxid (CO2) müsse weltweit betrachtet von 2010 bis 2030 um 45 Prozent fallen und 2050 netto bei Null liegen.
Um seinen Beitrag dazu zu leisten, muss Deutschland als weltweit größter Braunkohle-Produzent bis 2030 größtenteils aus der Kohle aussteigen – anders geht die Rechnung aus Sicht von Klimaexperten nicht auf. „Die Ziele, die wir uns bis zum Jahr 2030 im Stromsektor gesetzt haben, müssen wir auf jeden Fall erreichen“, sagt der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Ottmar Edenhofer. Aber: „Wir sind weit, weit, weit davon entfernt.“
Ende 2015 verpflichtete sich Deutschland im Pariser Abkommen dazu, höchstens 2 Grad und möglichst nur 1,5 Grad Erwärmung im Vergleich zur Zeit vor der Industrialisierung anzustreben. Dazu sieht der deutsche Klimaschutzplan vor, 2030 weniger als die halbe Treibhausgas-Menge als 1990 auszustoßen – insgesamt. Für die Energiesparte heißt das Sparziel 60 Prozent bis 2030. „Das bedeutet natürlich, dass wir dafür Braunkohlekraftwerke und die Steinkohlekraftwerke vom Netz nehmen müssen“, sagt Edenhofer.
Deutlich wird das in Zahlen: Erzeugte die deutsche Stromindustrie 1990 noch Klimagase, die der Wirkung von 466 Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO2) entsprachen, dürfen es 2030 nur noch rund 180 Millionen Tonnen sein. 2ß16 waren es aber noch 332 Millionen Tonnen – knapp die Hälfte davon allein aus der Braunkohle, hat das Umweltbundesamt berechnet. Nimmt man noch die Steinkohle hinzu, kommen rund 80 Prozent aller Treibhausgase des Stromsektors aus der Kohle – am Kohleausstieg kommt der Klimaschutzplan nicht vorbei.
Auch deshalb soll die Kohlekommission mit dem offiziellen Titel „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ bis Jahresende ein Konzept vorlegen, wie der Strukturwandel in den Revieren im Rheinland, in der Lausitz und in Mitteldeutschland gelingen kann.
Doch in der Lausitz etwa steht beim Thema Kohleausstieg eines im Vordergrund: Tausende Industriejobs, die auf dem Spiel stehen. Die sind in der Region nicht üppig gesät. Die Gegend ist ländlich geprägt und gilt als eher strukturschwach verglichen mit der größten Braunkohleregion im Rheinland. Die Braunkohle-Industrie bringt viele gut bezahlte Jobs, was auch die Akzeptanz vieler für den fossilen Energieträger miterklärt. Beim Energieunternehmen Leag, das vier Tagebaue und mehrere Braunkohle-Kraftwerke betreibt, arbeiten rund 8000 Menschen. Viele weitere Firmen profitieren durch Aufträge von der Kohle. Gewerkschafter sprechen von einer Wertschöpfung in der Braunkohle-Industrie von rund 1,4 Milliarden Euro im Jahr.
Die Regierungen in Brandenburg und Sachsen, die vor Landtagswahlen im nächsten Jahr stehen, fordern vom Bund einen Ersatz für die wegfallenden Jobs – auch aus Angst vor möglichen Stimmgewinnen für die AfD. Und ebenso wie Gewerkschafter wollen sie, dass die ganze Debatte in dieser Reihenfolge geführt wird: erst den Strukturwandel in den Braunkohleregionen weiter in Gang bringen und Jobs schaffen und dann über einen Kohleausstieg reden. Die Länder orientieren sich bei ihren Aussagen zu einem Ausstiegsdatum am Revierplan des Tagebaubetreibers. Dieser sieht Braunkohle-Förderung bis voraussichtlich 2045 vor.
Aus Sicht von Klimaexperten ist ein Kohleausstieg 2045 dagegen keine Option. „Dann ist es zu spät, um die größten Klimarisiken für die Menschen zu vermeiden“, sagt Edenhofer. „Was wir bis dahin an CO2 in unserer Atmosphäre wie in einer Müllkippe deponiert haben, ist nämlich verdammt lange haltbar, das hat Folgen für Jahrhunderte.“ Selbst ein Vorschlag von Kommissions-Co-Chef Ronald Pofalla, der einen Ausstieg bis 2038 vorsah und von Industrievertretern als unakzeptabel zurückgewiesen wurde, kommt für Umweltverbände zu spät.
Außerdem seien die Arbeitsplätze in der Braunkohle auf lange Sicht sowieso ohne Zukunft – nicht aus Klimaschutz-, sondern aus wirtschaftlichen Gründen. Der Strukturwandel sei längst im Gange, sagt Edenhofer. „Es muss jetzt darum gehen, ihn so gerecht wie möglich zu gestalten und ihn sozial abzufedern.“ Und: „Ich bin überzeugt davon, dass das möglich ist.“
Doch die Sorge vor einem Strukturbruch, falls die Braunkohle zu schnell verschwindet, ist in der Lausitz nicht neu. Einen solchen Bruch erlebte die Region schon einmal nach dem Zusammenbruch der DDR. Binnen kurzer Zeit fielen ganze Branchen wie zum Beispiel Textil weg. Und auch bei der Braunkohle war es so: Viele der Gruben wurden dichtgemacht, Zehntausende verloren ihren Arbeitsplatz. In der Lausitz ist das präsent bis heute. (dpa)
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