Klingbeil: Scholz hat noch keine Zeit für Wahlkampf – in der SPD brodelt es
SPD-Parteichef Lars Klingbeil bekräftigt in einem Video-Interview der Deutschen Presse-Agentur, dass Kanzler Olaf Scholz erst auf dem Parteitag im Juni 2025 nominiert werden soll und nennt einen Grund dafür: „Weil Olaf Scholz gerade gar keine Zeit für Wahlkampf hat.“
Scholz sei Regierungschef eines Landes, „das gerade in einer Umbruchphase ist, wo ganz viele Unsicherheiten noch sind, wo wahnsinnig viel passiert“. Und da sei es dann auch im Interesse des Kanzlers zu sagen: „Ich bin doch jetzt erst mal nicht in der Rolle des Wahlkämpfers, sondern ich bin in der Rolle der Person, die gerade dieses Land führt.“
Offener Brief mit schweren Vorwürfen
In der SPD wächst derweil der Unmut über den Kanzler und die Vorsitzenden. „Die Parteispitze hat es versäumt, eine sozialdemokratische Migrationspolitik zu erarbeiten“, sagte Aziz Bozkurt, Vorsitzender der SPD-Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt, dem „Spiegel“.
„Sie ist orientierungslos, hat keinen Plan.“ Seit Jahren reagiere die SPD nur auf immer neue, immer schärfere Forderungen. Die Unzufriedenheit an der Basis sei groß. Immer mehr migrantische Wähler würden sich abwenden, „weil Scholz` Respekt-Versprechen für sie nicht zu gelten scheint“, sagte Bozkurt.
Seit Dienstagmorgen steht ein offener Brief im Netz, der die Bundesregierung, die SPD-Bundestagsfraktion und die Parteizentrale mit schweren Vorwürfen überzieht. „Mit Trauer, Wut und Entsetzen“ musse man in den vergangenen Tagen mitverfolgen, wie führende Sozialdemokraten „einen Diskurs der Ausgrenzung und Stigmatisierung mitbefeuert haben“, heißt es darin. Bozkurt hat den Brief mitinitiiert. Knapp 4.800 Unterzeichner sind nach eigenen Angaben SPD-Mitglieder.
Auch viele Jusos, darunter der Bundesvorsitzende Philipp Türmer, haben den Brief unterschrieben. Türmer hält es für „offen, wie wir als Partei nächstes Jahr in den Wahlkampf gehen“. Die SPD müsse Unionskandidat Friedrich Merz ein gutes Angebot gegenüberstellen, sagte Türmer dem „Spiegel“. Einen Kanzlerkandidaten, der glaubwürdig und nahbar sei und der die Wähler von Inhalten überzeugt bekomme. Die SPD dürfe nicht nur auf die Fehler der anderen setzen. „Dafür müssen Programm und Kandidat zusammenpassen“, sagte er.
Noch genau ein Jahr bis zur Wahl
Heute ist es genau noch ein Jahr bis zur Bundestagswahl, die für den 28. September 2025 terminiert ist. CDU und CSU haben sich bereits vor der Landtagswahl in Brandenburg früher als erwartet dafür entschieden, mit CDU-Chef Friedrich Merz an der Spitze in den Wahlkampf zu ziehen. Kanzlerkandidatin der AfD soll nach einer Absprache in der Parteispitze die Vorsitzende Alice Weidel werden.
Und bei den Grünen wird eine Entscheidung über die Kanzlerkandidatur im Zuge der Neuaufstellung der Partei bis zum Parteitag im November erwartet. Wirtschaftsminister Robert Habeck gilt dabei nach dem Verzicht von Außenministerin Annalena Baerbock als konkurrenzlos.
„Es gibt kein Wackeln“
In der SPD gibt es unter der Hand eine Diskussion darüber, ob mit Verteidigungsminister Boris Pistorius als Kanzlerkandidat die Chancen bei der Bundestagswahl steigen könnten. Die SPD liegt seit Monaten mit Werten um 15 Prozent weit abgeschlagen hinter der Union. Pistorius ist aber in allen Umfragen der beliebteste Politiker Deutschlands.
Klingbeil betont dennoch, dass die Parteiführung geschlossen hinter einer Kanzlerkandidatur von Scholz stehe. „Es gibt kein Zweifeln, es gibt kein Wackeln. Wir wollen mit Olaf Scholz in diese Bundestagswahl gehen“, sagt er.
Polarisierung zwischen Scholz und Merz „schlecht für die Ränder“
Klingbeil räumt ein, dass der Wahlkampf diesmal härter werde als 2021. Er bekräftigt aber, dass Merz der Wunschgegner der SPD sei. „Weil ich glaube, dass wir mit Friedrich Merz eine Polarisierung in der demokratischen Mitte dieses Landes bekommen, die hilfreich ist.“ Das zeige sich beispielsweise in der Renten- und Wirtschaftspolitik. „Ich glaube, der Anspruch ist, dass wir einen fairen Wahlkampf führen. Aber alles, was in der Mitte auch an Auseinandersetzungen stattfindet, ist schlecht für die Ränder. Und das finde ich gar nicht schlecht.“ (dpa/dts/red)
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