Klimaschutzgesetz: FDP lobt „Abschied von Planwirtschaft“ – Forscher hält Fahrverbote für möglich

Das Klimaschutzgesetz wird reformiert. Das haben die Ampelparteien am Freitag im Bundestag beschlossen. Die Union wirft diesen vor, ihr Prestigeprojekt zu „entkernen“ und den Einsparungszielen ihre Verbindlichkeit zu nehmen.
Teilnehmer halten bei Protesten der Klimaschutzbewegung Fridays for Future Plakate.
Teilnehmer halten bei Protesten der Klimaschutzbewegung „Fridays for Future Plakate“.Foto: Henning Kaiser/dpa
Von 27. April 2024

Ob Vlogger „Rezo“ statt der CDU dieses Mal die Grünen in einem einstündigen Video vor der EU-Wahl „zerstören“ wird, ist noch ungewiss. An der Union liegt es derzeit nicht, dass Medien und NGOs über behauptete Rückschritte in der Klimapolitik klagen. Deren Abgeordneter Thomas Heilmann hatte noch versucht, die Abstimmung über die Neufassung des Klimaschutzes zu stoppen.

Ohne Erfolg: Das Bundesverfassungsgericht wies seinen Eilantrag zurück. Die Ampel beschloss mit ihrer Mehrheit am Freitag, 26. April, ein neu gefasstes Klimaschutzgesetz – und bringt damit Medien und Wissenschaft gegen sich auf.

Bundesrat könnte neues Klimaschutzgesetz behindern

Das Gesetz muss noch durch den Bundesrat – und es wird in einigen schwarz-grün geführten Landesregierungen Gesprächsbedarf verursachen. Immerhin ist es jetzt die Union, die von einer „Entkernung“ spricht. Auch die „Zeit“ sieht es ähnlich. Und Klimatologe Niklas Höhne sieht mit der Neufassung tatsächlich mögliche Fahrverbote ins Haus stehen.

Bisher enthält das Klimaschutzgesetz bis 2030 ein verbindliches Reduktionsziel bei den Treibhausgasen von 65 Prozent im Vergleich zu 1990. Auf dem Weg dazu gibt es auch konkrete Vorgaben für einzelne Sektoren – etwa Energie, Verkehr, Industrie, Gebäude oder Landwirtschaft. Jahr für Jahr ist eine rückwirkende Auswertung vorgesehen. Dies soll ein schrittweises Erreichen der Klimaziele gewährleisten.

Sollte ein Sektor seine Ziele in zwei aufeinanderfolgenden Jahren verfehlen, müsste die Bundesregierung „Sofortmaßnahmen“ beschließen. Im Gebäudesektor, wo die Ziele nicht erreicht werden, geht die Ampel davon aus, mit dem Heizungsgesetz bereits einen passenden Fahrplan zur Klimaneutralität bis 2045 beschlossen zu haben.

Deutschland emittierte 2023 um ein Zehntel weniger Treibhausgase

Bundesverkehrsminister Volker Wissing drängte jedoch zuletzt auf den Beschluss der – im Vorjahr bereits vereinbarten – Gesetzesnovelle, die ein Ende der Sektorziele vorsieht. Diese sollen nun wegfallen. Es soll außerdem keine rückwirkende Evaluierung geben, stattdessen sollen diese mehrjährig und sektorenübergreifend stattfinden.

Insgesamt hatte Deutschland dem Umweltbundesamt zufolge von 2022 auf 2023 um 10,1 Prozent weniger Emissionen produziert. Dies sei vorwiegend auf Einsparungen im Energiesektor zurückzuführen. Skeptiker sehen in den geringeren Emissionen in diesem Bereich keinen zwingenden Effizienzgewinn, sondern einen Ausdruck von Energiekrise und Deindustrialisierung.

Wissing hatte erklärt, als Sofortmaßnahmen aufgrund der zweimaligen Zielverfehlung im Verkehrsbereich hätten Fahrverbote gedroht. Alternativen für weniger Emissionen im Verkehr wie Verlagerung von Transporten auf die Schiene seien so kurzfristig nicht umsetzbar.

FDP: Derzeitige Fassung ist „planwirtschaftlich“

Dass es eine Einsparung von 22 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten geben müsse, um 2024 die Sektorziele zu erreichen, müsse die Verkehrsleistung massiv sinken. Bei Pkw sei ein Ausmaß von 15 Prozent erforderlich, bei Lkw um zehn Prozent. In der Corona-Zeit hatte es zu keiner Zeit einen Einbruch von mehr als 9,5 Prozent gegeben. Deshalb sei eine solche Einsparung nur durch Fahrverbote zu erreichen.

Der Expertenrat der Bundesregierung geht demgegenüber davon aus, dass ein Sofortprogramm ein Sektorziel nicht sofort, sondern kumuliert bis 2030 erreicht werden müsse. Entsprechend seien unmittelbare, einschneidende Maßnahmen nicht nötig. Allerdings böten sich – von der FDP rigoros abgelehnte – Maßnahmen wie Tempolimits oder der Abbau als klimaschädlich betrachteter Subventionen an.

Am Freitag verteidigte die FDP im Bundestag ihr Vorgehen und das Drängen auf die Novelle zum Klimaschutzgesetz. Das Gesetz, das die Union nach ihrer „Zerstörung“ bei der EU-Wahl und in Anbetracht „Fridays for Future“-Aufmärsche 2019 initiiert hatte, sei „planwirtschaftlich“. Fraktionschef Christian Dürr äußerte, stattdessen steige die Ampel auf einen marktwirtschaftlichen, technologieoffenen Klimaschutz um. So habe man etwa das „absurde Verbot“ von synthetischen Kraftstoffen rückgängig gemacht.

Grüne sieht Regelungen „ausschließlich verschärft“

Der CDU-Energiepolitiker Andreas Jung warf der Koalition vor, diese „entreißt dem Klimaschutzgesetz das Herzstück“ und nehme ihm die Verbindlichkeit. Die Ampel verschaffe sich „selbst einen Freibrief“, um nichts mehr für den Klimaschutz machen zu müssen.

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge hingegen sieht mit der Veränderung das Klimaschutzgesetz „ausschließlich verschärft“. Zwar hätte auch sie sich mehr Eigenverantwortung für die Sektoren gewünscht, entscheidend sei allerdings, die Ziele insgesamt zu erreichen. Es dürfe „aufs Ganze gesehen kein Gramm mehr CO₂ emittiert werden“ als mit dem bisherigen Gesetz.

Für die SPD betonte Matthias Miersch, entscheidend seien „nicht die Ziele, sondern die Maßnahmen zu ihrer Erreichung“. Und entscheidend sei, dass die Ampel derzeit die erneuerbaren Energien so weit ausbaue, dass es gelingen werde, in allen Sektoren die Emissionsminderungsziele zu erreichen.

Klimaschutzgesetz in alter Form „von der Wissenschaft begrüßt“

Klimawissenschaftler Niklas Höhne vom NewClimate Institute trauert jetzt schon dem alten Gesetz hinterher. Die vom Kabinett Merkel IV beschlossene Regelung habe „die Wissenschaft sehr begrüßt“. Immerhin habe es „als erstes Klimaschutzgesetz weltweit die Verantwortlichkeiten so klar zugewiesen“.

Im „Focus“ äußerte er, schaffe der Verkehrssektor bis 2030 nicht, auf Linie zu kommen, werde es „fast unmöglich, bis 2045 noch null zu erreichen“. Emissionen müssten dann etwa doppelt so schnell sinken wie vor 2030 – ohne dass die anderen Sektoren, die kaum noch ausstießen, helfen könnten. Dann könnten tatsächlich nur noch extreme Treibstoffpreise oder Fahrverbote helfen – sofern die Bevölkerung diese hinnimmt.

BUND-Sprecherin Franziska Heß hält die Änderungen für „verfassungswidrig“. Mit dem Entwurf würde „die Verantwortung für den Klimaschutz erneut an kommende Generationen abgeschoben“. Ein Nachsteuern würde künftig nur noch erforderlich, sollten die Gesamtziele zwei Jahre in Folge nicht erreicht werden.



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