Kleine Verbesserung, hoher Preis: Pflegereform löst gemischte Reaktionen aus
Die im Bundestag verabschiedete Pflegereform ist auf ein geteiltes Echo gestoßen. Die Diakonie Deutschland sprach am Freitag von einer „Enttäuschung für alle Pflegebedürftigen, Pflegenden und Angehörigen“. Die Reform lasse „vor allem pflegende Angehörige im Regen stehen, die nach wie vor die größten Pflegeleistungen schultern“, erklärte die Vorständin Sozialpolitik, Maria Loheide. „Die Kostensteigerungen der letzten Jahre werden bei weitem nicht von der Pflegeversicherung ausgeglichen.“
Das Gesetz sieht vor, dass Pflegebedürftige, die zu Hause gepflegt werden, zum 1. Januar 2024 fünf Prozent mehr Pflegegeld bekommen. Zudem gibt es ein sogenanntes Entlastungsbudget, um pflegenden Angehörigen Vertretungen zu ermöglichen.
Dafür wurde allerdings die ab 2025 geplante Anhebung der Geld- und Sachleistungen in der Pflege von fünf auf 4,5 Prozent abgesenkt. Zur Finanzierung der Gesamtreform soll der allgemeine Beitragssatz zur Pflegeversicherung am 1. Juli von 3,05 Prozent auf 3,4 Prozent des Bruttolohns steigen.
„Die Altenpflege bleibt das Stiefkind“
„Die Erhöhungen für die Angehörigen und Pflegebedürftigen liegen zwischen 14 und 40 Euro im Monat“, sagte die Präsidentin des Deutschen Pflegerats, Christine Vogler, dem Rundfunksender SWR. Dies helfe den Bedürftigen kaum weiter. Der Pflegerat fordert deshalb, dass die Ausgaben dynamisch steigen sollten, „damit die Bedürftigen nicht immer wieder auf ein neues Gesetz warten müssen“.
Die Stiftung Patientenschutz kritisierte, mit der Reform würden die selbst gesteckten Ziele des Koalitionsvertrags „nicht erreicht“. Weder gebe es eine Dynamisierung der Pflegeleistungen noch würden die entnommenen Milliarden aus der Pandemiezeit in die Pflegeversicherung zurückgezahlt, erklärte Stiftungsvorstand Eugen Brysch. „Die Altenpflege bleibt das Stiefkind der Bundesregierung.“
„Eine kleine Verbesserung“
Der Deutsche Landkreistag begrüßte die Erhöhung der Leistungen für pflegende Angehörige. „Die Menschen wollen möglichst lange in der eigenen Häuslichkeit bleiben und dort gepflegt werden“, erklärte Landkreistagspräsident Reinhard Sager. Wesentliche Reformschritte würden aber noch immer nicht angegangen: „Angesichts des Personalmangels haben wir heute schon mancherorts einen Pflegenotstand.“
Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) begrüßte, dass kurz vor der Abstimmung noch das Entlastungsbudget vereinbart wurde, um pflegenden Angehörigen Auszeiten zu ermöglichen. Dies sei „eine kleine Verbesserung“, erklärte der stellvertretende Vorsitzende des GKV-Spitzenverbands, Gernot Kiefer.
„Der Preis ist allerdings hoch, denn im Gegenzug hat die Regierung die Anhebung der Leistungsbeträge in der ambulanten Pflege gekürzt.“ Dies zeige einmal mehr, „wie sehr die Finanzen der Pflege auf Kante genäht sind“.
Ein Überblick über Kernpunkte:
Pflege zu Hause
Das zuletzt 2017 erhöhte Pflegegeld soll zum 1. Januar 2024 um fünf Prozent steigen, genauso wie die Beträge für Sachleistungen. Pflegegeld soll Pflegebedürftige unterstützen, die nicht in Einrichtungen leben. Sie können es frei nutzen, etwa für Betreuung. Je nach Pflegegrad sind es zwischen 316 und 901 Euro im Monat. Zu Hause gepflegt werden rund vier Millionen Menschen.
Pflege im Heim
Anfang 2022 eingeführte Entlastungszuschläge für Bewohner sollen zum 1. Januar 2024 erhöht werden. Den Eigenanteil für die reine Pflege soll das im ersten Jahr im Heim um 15 statt bisher 5 Prozent drücken, im zweiten Jahr um 30 statt 25 Prozent, im dritten um 50 statt 45 Prozent und ab dem vierten Jahr um 75 statt 70 Prozent.
Hintergrund ist, dass die Pflegeversicherung – anders als die Krankenversicherung – nur einen Teil der Kosten für die reine Pflege trägt. Im Heim kommen dann auch noch Zahlungen für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen in den Einrichtungen dazu.
Beiträge I
Der Pflegebeitrag liegt aktuell bei 3,05 Prozent des Bruttolohns, für Menschen ohne Kinder bei 3,4 Prozent. Zum 1. Juli soll er erhöht werden, und zwar in Kombination mit Änderungen wegen eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Demnach muss mehr danach unterschieden werden, ob man Kinder hat oder nicht. Alles in allem soll der Beitrag für Kinderlose damit auf 4 Prozent steigen und für Beitragszahler mit einem Kind auf 3,4 Prozent. Der darin enthaltene Arbeitgeberanteil soll von nun 1,525 Prozent auf 1,7 Prozent herauf.
Beiträge II
Konkret soll der Pflegebeitrag für größere Familien für die Dauer der Erziehungsphase bis zum 25. Geburtstag des jeweiligen Kindes deutlicher gesenkt werden – und zwar schrittweise je Kind. Ab zwei Kindern müsste damit – bezogen auf den Arbeitnehmeranteil von derzeit 1,525 Prozent – weniger gezahlt werden als heute.
Bei zwei Kindern soll der Arbeitnehmeranteil künftig 1,45 Prozent betragen, bei drei Kindern 1,2 Prozent, bei vier Kindern 0,95 Prozent und bei fünf und mehr Kindern 0,7 Prozent. Ist ein Kind älter als 25 Jahre, entfällt „sein“ Abschlag. Sind alle Kinder aus der Erziehungszeit, gilt dauerhaft der Ein-Kind-Beitrag, auch wenn man in Rente ist.
Jahresbudget
Kommen soll nun doch auch ein Budget mit Entlastungen für die Pflege zu Hause. Es soll Leistungen der Verhinderungs- und Kurzzeitpflege bündeln – also, dass die Pflege gesichert ist, wenn Angehörige es nicht machen können.
Ab 1. Juli 2025 sollen bis zu 3.539 Euro pro Jahr flexibel verwendbar sein, und das ohne einen bisherigen Vorlauf von sechs Monaten bei erstmaliger Inanspruchnahme. Für Eltern pflegebedürftiger Kinder bis zum Alter von 25 Jahren mit Pflegegrad 4 oder 5 soll das Budget ab 1. Januar 2024 mit 3386 Euro zur Verfügung stehen und bis Juli 2025 dann auch auf bis zu 3539 Euro anwachsen.
Dynamisierung
Vorgesehen sind auch zwei Stufen, um alle Geld- und Sachleistungen weiter zu erhöhen. Zum 1. Januar 2025 soll nun ein Plus von 4,5 Prozent statt zunächst gedachter 5 Prozent kommen – im Gegenzug zum noch aufgenommenen Budget. Zum 1. Januar 2028 sollen die Leistungen angelehnt an die Inflationsrate der drei Vorjahre steigen. (afp/dpa/dl)
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