Kitas und Schulen doch schneller wieder komplett öffnen?
Mehrere medizinische Fachgesellschaften fordern ein Ende des Notbetriebs in Kindergärten und Schulen und eine umgehende unbeschränkte Wiederöffnung der Einrichtungen.
In einer gemeinsamen Stellungnahme rufen unter anderem die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte trotz Corona-Pandemie dazu auf. Der Schutz von Lehrern, Erziehern, Betreuern und Eltern und die allgemeinen Hygieneregeln stünden dem nicht entgegen, heißt es in dem Papier, über das zuerst die „Neue Osnabrücker Zeitung“ berichtete.
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sieht den Vorstoß skeptisch. Aus Sachsen, wo Kitas und Grundschulen inzwischen wieder für alle Kinder geöffnet haben, kommt dagegen Zustimmung. „Wir fühlen uns bestärkt, den Kindern wieder zu ihrem Recht auf Bildung und Teilhabe zu verhelfen“, sagte der sächsische Kultusminister Christian Piwarz (CDU) laut eines Tweets seines Ministeriums.
„Insbesondere bei Kindern unter 10 Jahren sprechen die aktuellen Daten sowohl für eine geringere Infektions- als auch für eine deutlich geringere Ansteckungsrate.“ Im Gegensatz dazu seien die sozialen und gesundheitlichen Folgen der Schließung gravierend, schreiben die Medizinerverbände.
Wochenlang waren in ganz Deutschland Schulen und Kitas wegen der Corona-Pandemie geschlossen. Seit Ende April wurde der Schulbetrieb stufenweise wieder aufgenommen. Schüler werden abwechselnd in der Schule und zu Hause unterrichtet und in kleinere Gruppen eingeteilt, um die Abstandsregeln einzuhalten. Der Deutsche Lehrerverband hatte die Prognose abgegeben, dass dies womöglich noch bis weit ins nächste Schuljahr so weitergehen könnte. In den Kitas wird derweil die Notbetreuung weiter ausgeweitet. Wann sie in den Regelbetrieb zurückgehen, entscheiden die Bundesländer selbst, ebenso über das weitere Vorgehen an den Schulen.
In ihrer Stellungnahme schreiben die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene, die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie, die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland: „Kitas, Kindergärten und Grundschulen sollen möglichst zeitnah wiedereröffnet werden“ – und zwar ohne massive Einschränkungen. Es müssten keine kleinen Gruppen gebildet werden. Auch müssten die Kinder weder Abstand wahren noch Masken tragen. Für Lehr- und Betreuungspersonal wird das dagegen empfohlen.
„Entscheidender als die individuelle Gruppengröße ist die Frage der nachhaltigen Konstanz der jeweiligen Gruppe und Vermeidung von Durchmischungen“, heißt es in dem Papier. Soll heißen: Es könnte durchaus eine komplette Klasse unterrichtet werden, solange man etwa in den Pausen darauf achtet, dass sich die Schüler in der Pause dann nicht mit anderen Klassen treffen.
Zu der umstrittenen Frage, wie ansteckend Kinder seien, schreiben die Autoren: „Zahlreiche Erkenntnisse sprechen gegen ein erhöhtes Ansteckungsrisiko durch Kinder.“ Verschiedene Untersuchungen und Auswertungen „ergeben ein zunehmend schlüssiges Bild, dass Kinder in der aktuellen Covid-19-Pandemie im Gegensatz zur Rolle bei der Influenza-Übertragung keine herausragende Rolle in der Ausbreitungsdynamik spielen.“
Der Arzt und SPD-Experte Lauterbach schrieb bei Twitter: Die Kinderärzte meinten es sehr gut. Leider sei es aber falsch, dass Kinder eine geringe Bedeutung für die Pandemie hätten. Sie steckten sich und andere pro Kontakt weniger oft an. Da sie aber so viele Kontakte hätten, sei der Gesamtanteil wahrscheinlich hoch. Der stellvertretende Fraktionsvize der FDP im Bundestag, Michael Theurer, entgegnete, Lauterbach müsse erklären, aufgrund welcher gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse er den Kinderärzten widerspreche. „In Studien in den Niederlanden, Frankreich und Norwegen haben Kinder nur eine sehr geringe Rolle bei der Übertragung gespielt. In Schweden, wo Schulen und Kitas durchgehend geöffnet waren, haben diese sich offenbar nicht zu Infektionsherden entwickelt“, sagte er. (dpa)
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