Sozialstaat in der Zwickmühle: Ampel ringt um Haushaltskürzungen

Auf der Suche nach Lösungen für die Haushaltskrise ging gestern Abend ein Treffen der Ampel-Koalitionsspitzen im Kanzleramt nach nur anderthalb Stunden zu Ende. Mit einem Budgetloch von 17 Milliarden Euro für den Etat 2024 steht die Bundesregierung vor einer enormen Herausforderung. Die Union hat indessen schon Einsparvorschläge im Sozialetat gemacht. Gibt es tatsächlich Einsparpotenzial bei Kindersicherung, Bürgergeld und Rente?
Titelbild
Bundeskanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner im Bundestag.Foto: Michele Tantussi/Getty Images
Von 1. Dezember 2023

Alles ging schnell: Nach nur anderthalb Stunden liefen die Koalitionsspitzen der Ampel im Kanzleramt wieder auseinander. Dort hatten sich die SPD, die Grünen und die FDP am Mittwoch getroffen, um Auswege aus der Haushaltskrise zu suchen. Die Situation ist seit dem Urteil aus Karlsruhe für die Bundesregierung ziemlich angespannt. Für den Etat 2024 muss mindestens ein Loch von 17 Milliarden Euro gestopft werden. Das ist keine leichte Aufgabe.

Wie die Nachrichtenagentur dpa aus Koalitionskreisen erfahren haben möchte, habe es zwischen den Ampelparteien einen guten politischen Austausch gegeben. Alle drei Partner seien sich gestern Abend einig darüber gewesen, dass sie gute Lösungen im Sinne der Bürger als auch der Wirtschaft finden möchten. Beschlüsse hat es gestern offenbar allerdings nicht gegeben. Offen blieb nach dem Treffen auch, ob sich die Ampel-Koalitionäre im Kanzleramt schon mit ganz konkreten Kürzungen oder Umschichtungen für das kommende Jahr befasst haben.

In der Regierungserklärung am vergangenen Dienstag hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) versprochen, dass sich im Alltag der Bürger durch das Schuldenurteil des Verfassungsgerichts nichts ändern würde. Zweifel an diesem Versprechen sollten aber angebracht sein. Am Ende muss irgendwo eingespart werden.

Man müsse darüber reden, „wo der Sozialstaat seinen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten kann“, hatte gerade erst FDP-Fraktionschef Christian Dürr eingefordert.

Auch in der Opposition macht man sich Gedanken darüber, wo konkret gespart werden kann. Für die Union ist dabei klar, dass man auch vor dem Sozialen nicht haltmachen kann. CDU-Chef Friedrich Merz schlug gerade erst vor, auf die Kindergrundsicherung und die beschlossene Anhebung des Bürgergelds zu verzichten.

Trotz Kritik dürfte Ampel an Kindergrundsicherung festhalten

Tatsächlich macht der Sozialetat im Bundeshaushalt einen erheblichen Teil des Gesamtbudgets aus. Laut dem Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2024 sind im Etat, den Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) verantwortet, 172 Milliarden Euro vorgesehen. Das sind 38 Prozent der Gesamtausgaben. Dass man in diesem Etat keine Einsparungen vornimmt, scheint daher eine Illusion zu sein. Welchen Kürzungsspielraum gibt dieser Etat aber tatsächlich her?

Der von der Union eingeforderte Verzicht auf die Kindergrundsicherung dürfte der Regierung schwerfallen. Immerhin ist es das sozialpolitische Prestigeprojekt von Familienministerin Lisa Paus (Grüne). Allerdings steht Friedrich Merz mit seiner Kritik an dem Projekt nicht allein da. Auch dem Landkreistag, dem Normenkontrollrat und den Ländern bereitet die geplante Grundsicherung Bauchschmerzen.

Da das Gesetz zustimmungspflichtig ist, müssen die Länder im Bundesrat dem Vorhaben ein positives Votum geben. Diese sehen noch einen hohen Nachbesserungsbedarf. Die Ausschüsse im Bundesrat haben Änderungsanträge formuliert, die inzwischen mehr als 100 Seiten füllen. Mitte November gab es eine Anhörung im Familienausschuss. Die Sachverständigen haben da auf viele offenen Fragen im Gesetzentwurf der Ampel hingewiesen. Am 11. Dezember wird es eine zweite Anhörung geben. Grundtenor der Kritiker ist im Moment, dass die Kindergrundsicherung den Familien wenig Mehrwert bringe, dafür aber mehr zusätzliche Bürokratie bedeute.

Für das Startjahr kalkuliert Paus mit 2,4 Milliarden Euro, wovon allein gut 400 Millionen Euro auf Verwaltungskosten entfallen. Bis 2028 sollen die Kosten dann auf knapp sechs Milliarden Euro steigen.

Allerdings soll die Kindergrundsicherung erst 2025 starten. Für den Haushalt 2024 dürfte es bei diesem Posten daher kein Einsparungspotenzial geben. Dass die Ampel tatsächlich auf diese Einführung verzichtet, ist im Moment nicht zu erwarten. Dafür haben sich die Koalitionäre sehr eindeutig auf das Projekt festgelegt.

„Eine schwierige finanzielle Situation kann nicht bedeuten, dass die Politik die Arbeit an wichtigen politischen Sozialprojekten einfach einstellt“, sagte der für das Thema zuständige FDP-Berichterstatter Martin Gassner-Herz.

Die Vizevorsitzende der SPD-Fraktion, Dagmar Schmidt, warnte davor, bei den kleinen Einkommen zu sparen. Dies treibe die Gesellschaft weiter auseinander. „Die hier gestellte Verteilungsfrage in unserer Gesellschaft beantworten wir zugunsten der Familien.“

Die Ampel dürfte auch aus einem anderen Grund das Projekt nicht einstellen wollen: In den Haushaltsberatungen hatte es eine harte Debatte in der Koalition gegeben. Vor allem Finanzminister Christian Lindner (FDP) war wenig begeistert über den damaligen Vorstoß seiner Kabinettskollegin Paus.

Bürgergeldkürzung bringt verfassungsrechtliche Probleme

Auf die Erhöhung des Bürgergelds zum Jahreswechsel zu verzichten, scheint im Moment auch nicht sehr realistisch. Ab 2024 steigt der Regelsatz um mehr als 12 Prozent an.

Die Bundesregierung begründete diesen Anstieg mit den gestiegenen Inflationskosten und beruft sich auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Das hatte in einer Entscheidung festgestellt: „Die Sätze müssen den Grundbedarf der Menschen decken, einschließlich der Miet- und Heizkosten.“

Angesichts der gestiegenen Inflation sieht die Bundesregierung daher den Grundbedarf nicht mehr als gesichert an. Mit der Stimme der Union hatte die Ampelkoalition daher im vergangenen Jahr das Anpassungsverfahren an die Regelsätze verändert. Nun werden die Bedarfe nicht mehr rückwirkend, sondern vorausschauend an die Teuerungsraten angepasst.

Beim Bürgergeld einsparen zu wollen, klingt auf den ersten Blick erst einmal plausibel. Verfassungsrechtlich ist die Umsetzung aber schwierig. Daher ist nicht davon auszugehen, dass die Ampel sich hier auf juristisches Glatteis begibt – gerade auch unter dem Aspekt der gerade erst vom Bundesverfassungsgericht gefällten Haushaltsentscheidung.

Bei der Rente spart die Ampel schon

Inwieweit bei der Rente gespart werden kann, ist unklar. Hier hat die Ampel schon vor dem Urteil aus Karlsruhe Einsparungen geplant. So will sie den Bundeszuschuss in den Jahren 2024 bis 2027 um jeweils 600 Millionen Euro kürzen. Bereits im vergangenen Jahr hatte die Bundesregierung zudem vier geplante Sonderzahlungen in Höhe von jeweils 500 Millionen Euro für die Jahre 2022 bis 2025 nachträglich abgeschafft.

Für das kommende Jahr bedeutet diese Entscheidung, dass der Rentenkasse dann 1,1 Milliarden an Finanzmitteln für nicht beitragsgedeckte Leistungen fehlen. Das kritisierte gerade erst der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Rentenversicherung, Alexander Gunkel. Das entspreche rund 80 Prozent der gesamten Ausgaben für den Grundrentenzuschlag, der eigentlich von den Steuerzahlern finanziert werden sollte, rechnete er vor. Dort sparen zu wollen, dürfte also sehr schwerfallen.



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