Kiesewetter für Flucht nach vorn: „Der Krieg muss nach Russland getragen werden“

Die Rhetorik des CDU-Verteidigungsexperten Roderich Kiesewetter wird immer schärfer: Er fordert nicht nur ein um 200 Milliarden Euro aufgestocktes „Sondervermögen“ für die Bundeswehr und die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern, sondern auch die Bombardierung von Militäreinrichtungen und Ölraffinerien auf russischem Boden.
CDU-Politiker Roderich Kiesewetter war in der ARD-Talksendung «Anne Will» zu Gast.
Das Archivbild zeigt Roderich Kiesewetter (CDU). Der Ex-Berufssoldat sieht in einem Angriff auf russisches Territorium die beste Verteidigung für die Ukraine.Foto: Wolfgang Borrs/NDR/dpa
Von 13. Februar 2024

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Am 9. Februar 2024 verlangte der CDU-Verteidigungsexperte und Ex-Offizier Roderich Kiesewetter im Interview mit der „Deutschen Welle“ (DW), dass Russland auf seinem eigenen Territorium angegriffen werden müsse. Kiesewetter sagte während eines Aufenthaltes in der Ukraine wörtlich:

Der Krieg muss nach Russland getragen werden. Russische Militäreinrichtungen und Hauptquartiere müssen zerstört werden. Wir müssen alles tun, dass die Ukraine in die Lage versetzt wird, nicht nur Ölraffinerien in Russland zu zerstören, sondern Ministerien, Kommandoposten, Gefechtsstände. Es wird an der Zeit, dass die russische Bevölkerung begreift, dass sie einen Diktator hat, der die Zukunft Russlands opfert. Der die Zukunft der russischen Jugend, auch der ethnischen Minderheiten opfert. Dass dies ein Land ist, das im Grunde genommen den Krieg in die Welt trägt, statt eine Friedensmacht zu werden.“

Aus seiner Sicht wäre es „nicht auszudenken, wenn das Ganze scheitert“, sagte Kiesewetter. Denn dann wären „die deutsche Friedensordnung“ und die „Europäische Union Geschichte“. Außerdem würde Deutschland zur „Kriegspartei“. Die Ukraine verdiene sowohl die EU-Mitgliedschaft als auch die NATO-Mitgliedschaft, „sobald die Sicherheitsbedingungen es zulassen“ – einerseits zur Unterstützung, andererseits auch, um die Rüstungsindustrie in die Ukraine verlagern zu können. Russland wolle immerhin „die Existenz des ukrainischen Volkes […] zerstören“.

Es geht auch um Rohstoffe

Kiesewetter hatte erst wenige Tage vor Weihnachten 2023 aufhorchen lassen, als er im „Bericht aus Berlin extra“ über die Rohstoffvorkommen im umkämpften Donezk-Lugansk-Gebiet sprach. „Europa“ sei auf die dortigen Lithiumreserven angewiesen, wenn es „die Energiewende vollziehen“ wolle.

„Eine mögliche Kompromisslinie würde Geländeverzicht bedeuten. Und das wär‘ für Putin der Sieg“, sagte Kiesewetter damals. Deshalb müsse die Bundesregierung Taurus-Marschflugkörper nach Kiew ausliefern. „Wenn die Ukraine zerfällt, sind die Folgekosten viel größer, als wenn wir jetzt viel stärker reingehen“, argumentierte der frühere Oberst (Video ab circa 8:30 Min. auf „YouTube“).

200 Milliarden mehr für Verteidigung

Zuletzt machte sich Kiesewetter in der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ, Bezahlschranke) dafür stark, dreimal so viel Geld für das „Sondervermögen“ der Bundeswehr auszugeben, als kurz nach Kriegsbeginn in der Ukraine beschlossen worden war. Damals hatte Kanzler Olaf Scholz (SPD) im Rahmen seiner „Zeitenwende“-Rede vom 27. Februar 2022 ein neues Staatsschuldenpaket in Höhe von 100 Milliarden Euro aufnehmen lassen. Viel zu wenig, aus Sicht Kiesewetters:

Eine Erhöhung des Sondervermögens für die Bundeswehr würde ich nicht ausschließen. Es ist ja völlig klar, dass wir eher 300 statt 100 Milliarden benötigen, damit die Bundeswehr kriegstüchtig wird.“

Außerdem müsse Deutschland seiner Ansicht nach „dauerhaft“ zusätzlich zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) in den Verteidigungshaushalt stecken, verlangte der Ex-Offizier. Dazu bedürfe es einer „Umpriorisierung“ und „klarer struktureller Reformen“. Nach Ansicht Kiesewetters dürfe das Geld keinesfalls „zum Stopfen von Haushaltslöchern“ „zweckentfremdet“ werden.

„Deutschland ist kurzfristig in der Lage, große Geldmengen freizumachen“

Im Interview mit der „Deutschen Welle“ hatte Kiesewetter den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump einen „Möchtegern-Diktator“ und ein „Werkzeug Putins“ genannt, von dem man sich nicht „abhängig machen“ dürfe. Amerikanische Gerichte hätten ihn als „Verbrecher“ bezeichnet, betonte der Ex-Offizier.

Dass Deutschland die USA „als Hauptgeber der militärischen und finanziellen Hilfe“ ablösen könnte, sei für ihn „keine Frage des Könnens, sondern […] des politischen Willens“. Deutschland sei „kurzfristig in der Lage, große Geldmengen freizumachen“. Dies „wäre auch für die Ukraine möglich“.

Vorteilhafter sei es aus seiner Sicht allerdings, wenn sich Kanzler Scholz zusammen mit den Regierungschefs aus Frankreich, Großbritannien, Polen, Italien „und anderen, die wollen“, im Sinne einer „Lastenteilung“ zusammenschlösse. „Aber wir erwarten von den Amerikanern, dass sie sich weiterhin als europäische Schutzmacht begreifen“.

Der SPD-Haushaltspolitiker Andreas Schwarz hatte laut SZ vorgeschlagen, die Ausgaben für Verteidigung und Zivilschutz gleich ganz von der Schuldenbremse des Grundgesetzes abzukoppeln: „Eine Herausnahme sämtlicher Verteidigungskosten aus der Schuldenbremse hätte auf jeden Fall Charme“, zitiert ihn das Münchner Blatt. Es bestehe „ein erheblicher Nachholbedarf“, die „Gefahr durch Russland“ werde „nicht verschwinden“.

Trump will nur unter Bedingungen weiterhelfen

Hintergrund der Forderungen von Schwarz und Kiesewetter war die jüngste Ansage von Trump auf einer Wahlkampfveranstaltung in South Carolina: Er werde im Fall seiner Wiederwahl im November 2024 kein Land mehr militärisch unterstützen, sofern dieses Land nicht seinen finanziellen Verpflichtungen für das gemeinsame Verteidigungsbündnis nachkomme. Im Gegenteil werde er Russland „sogar dazu ermutigen, zu tun, was auch immer sie wollen“ (Video auf „YouTube“).

Der wohl chancenreichste Präsidentschaftskandidat der Republikaner hatte bereits im Januar 2023 angekündigt, bei seiner zweiten Präsidentschaft den Krieg in der Ukraine innerhalb von 24 Stunden zu beenden. Während seiner Amtszeit (2017 bis 2021) hatte Trump keine neuen Kriege begonnen und ein gutes Verhältnis zu Moskau gepflegt.

Nach Angaben der „Frankfurter Rundschau“ (FR) kritisierte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die jüngsten Äußerungen Trumps als „einzig und allein im Sinne Russlands“. „Jegliche Relativierung der Beistandsgarantie der NATO“ sei „unverantwortlich und gefährlich“.

Die USA – eine „Friedensmacht“?

Genügen die USA als engster militärischer Verbündeter der Bundesrepublik Deutschland eigentlich selbst dem Kiesewetterschen Ideal einer „Friedensmacht“? Bekanntlich ist oder war der westliche Hegemon in allerlei militärische Auseinandersetzungen verwickelt, ohne selbst auf seinem Territorium angegriffen worden zu sein. Der Journalist Hannes Stein erkannte in seiner Analyse der amerikanischen Kriege seit 1861 für den „Deutschlandfunk“ bereits 2015 ein „Muster“:

Am Anfang steht ein Krieg, dessen Ziele im Verlauf des Krieges immer radikaler werden. Dann werden die Sieger [die USA, Anm. der Red.] in einen hässlichen Guerillakrieg verstrickt. Dann verlieren sie die Nerven und ziehen sich zurück. Am Ende siegen jene, die gerade eben kapituliert hatten. So war es in Vietnam, so war es im Irak, der „Islamische Staat“ rekrutiert sich auch aus ehemaligen Angehörigen von Saddam Husseins Baath-Regime. Was lernen wir daraus? Dass es sehr fatal sein kann, ein Verbündeter der Vereinigten Staaten zu sein. Denn am Ende wird man zuverlässig im Stich gelassen.“

Zur Person: Roderich Kiesewetter

Den Bundestagsabgeordneten Roderich Kiesewetter, Jahrgang 1963, zog es nach eigenen Angaben bereits als kaum 20-jähriges Unionsmitglied in die Welt des Militärs. Als Berufsoffiziersanwärter studierte der gebürtige Pfullendorfer in den 1980er-Jahren Wirtschaftswissenschaften in München und Texas. Er schloss laut „Wikipedia“ als Diplom-Kaufmann ab.

In den folgenden Jahrzehnten machte er Karriere unter anderem während des „Aufbaus Ost“, in der Führungsakademie der Bundeswehr, im Bundesverteidigungsministerium, im EU-Rat, bei Auslandseinsätzen in Osteuropa, Afghanistan und in den NATO-Hauptquartieren Brüssel und Mons. In den 2000er-Jahren absolvierte der Oberstleutnant Stationen in Hermeskeil, Düsseldorf, Bonn und Ulm. Im Oktober 2006 war er zum Oberst im Generalstab befördert worden. 2015 endete die militärische Laufbahn des zweifachen Familienvaters als aktiver Berufssoldat.

Bereits 2009 war Kiesewetter für seinen Wahlkreis Aalen-Heidenheim als Direktkandidat der CDU in den Bundestag eingezogen. Seither ruhten seine militärischen Rechte und Pflichten.

Heute ist Kiesewetter stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums und sitzt als ordentliches Mitglied im Auswärtigen und im Gemeinsamen Ausschuss des Bundestags. Zudem nimmt er stellvertretend an den Sitzungen der Unterausschüsse für „Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung“ und für „Internationale Klima- und Energiepolitik“ teil.

Neben seiner Mitgliedschaft beim Sozialverband VdK engagiert sich Kiesewetter als ehrenamtlicher Sprecher in der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) und im Bundeswehr-Sozialwerk. Er ist Mitglied in beinahe jedem wichtigen transatlantischen Thinktank: Eigenen Angaben zufolge gehört er der Atlantik-Brücke, der Trilateralen Kommission, dem European Council of Foreign Relations (ECFR) und dem European Leadership Network (ELN) an. Außerdem ist er Mitglied im Lions Club und in der Clausewitz-Gesellschaft.



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