Keine klare Aussage zu Netanjahu-Haftbefehl: Bundesregierung will Schritte „gewissenhaft prüfen“
Die Bundesregierung hat die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) zu den beantragten Haftbefehlen gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu und den ehemaligen Verteidigungsminister Joaw Galant „zur Kenntnis genommen“.
Man sei an der Ausarbeitung des IStGH-Statuts beteiligt gewesen und „einer der größten Unterstützer“ des IStGH, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Freitag, 22. November, in Berlin. Diese Haltung sei auch Ergebnis der deutschen Geschichte.
„Gleichzeitig ist Konsequenz der deutschen Geschichte, dass uns einzigartige Beziehungen und eine große Verantwortung mit Israel verbinden.“
Die innerstaatlichen Schritte werden man „gewissenhaft prüfen“. Weiteres stünde erst dann an, wenn ein Aufenthalt von Netanjahu und Galant in Deutschland absehbar sei, so Hebestreit.
Er halte allerdings eine Umsetzung des internationalen Haftbefehls gegen Netanjahu in Deutschland für kaum vorstellbar. „Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, dass wir auf dieser Grundlage Verhaftungen durchführen.“
Baerbock betont Unabhängigkeit der Justiz
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte zuvor bereits auf die „Unabhängigkeit der Justiz“ verwiesen. Die Bundesregierung prüfe derzeit, „was das für die Umsetzung in Deutschland genau bedeutet“, sagte sie im ARD-„Morgenmagazin“. Als Staat, der den Internationalen Gerichtshof anerkenne, sei Deutschland „eigentlich“ an dessen Entscheidungen gebunden. Die Frage sei jedoch derzeit theoretisch, da kein Besuch Netanjahus in Deutschland anstehe.
Der Chefankläger des Gerichts, Karim Khan, hatte im Mai wegen mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit und mutmaßlicher Kriegsverbrechen Haftbefehle gegen Netanjahu, Gallant sowie gegen drei Anführer der Hamas-Terrororganisation beantragt.
Die Vorverfahrenskammer des Haager Gerichts sieht nun Anhaltspunkte für ein systematisches Aushungern der Bevölkerung des Gazastreifens. Auch wird die Verfolgung einer bestimmten Bevölkerungsgruppe – in diesem Fall die Palästinenser – angeführt.
Dabei verwies man auf die katastrophale Versorgungslage in Gaza sowie die seit Monaten prekäre medizinische Versorgung.
Orbán schert aus
Im Mai wurde die Bundesregierung mit der Frage konfrontiert, wie sie mit einem möglichen Haftbefehl des IStGH gegen Netanjahu umgehen würde und ob sie ihn in Deutschland auch vollstrecken würde. Regierungssprecher Steffen Hebestreit erklärte damals: „Wir halten uns an Recht und Gesetz.“
Die Niederlande und Frankreich haben nach Erlass des Haftbefehls angekündigt, dem Beschluss der Kammer zu folgen. Ungarn ist bisher innerhalb der Mitgliedstaaten des Haager Gerichts das einzige Land, das angekündigt hat, den Haftbefehl nicht umzusetzen.
So erklärte Ungarns Regierungschef Viktor Orbán am Freitag, 22. November, dass er aus Protest gegen den Haftbefehl des IStGH Netanjahu zu einem Besuch einladen werde. Ungarn hat derzeit den rotierenden EU-Ratsvorsitz inne.
Orbán werde Netanjahu „garantieren“, dass das IStGH-Urteil „in Ungarn keine Auswirkung haben wird und dass wir uns nicht daran halten werden“.
Der EU-Außenbeauftragte, Josep Borrell, rief zuvor alle EU-Mitgliedsländer auf, den internationalen Haftbefehl gegen Israels Regierungschef und andere Verantwortliche zu achten.
Die Entscheidung des IStGH in Den Haag sei rechtsverbindlich, sagte Borrell am Donnerstag in der jordanischen Hauptstadt Ammann. Alle EU-Staaten seien als Vertragsparteien „verpflichtet, die Gerichtsentscheidung umzusetzen“.
Einreise unwahrscheinlich
Falls Netanjahu trotz Haftbefehl und ohne eine klare Aussage Deutschlands wie im Falle von Orbán in die Bundesrepublik einreise, wäre dies eine „massive Provokation“, so der Völkerrechtler Matthias Goldmann gegenüber dem „ipg-journal“. Er halte eine Einreise Netanjahus nach Deutschland für sehr unwahrscheinlich.
„Sollte er sich tatsächlich ankündigen, müsste die Bundesregierung mit allen diplomatischen Mitteln eine solche Situation vermeiden. Denn wenn er einreist, steht Deutschland vor der Wahl: ihn festnehmen und ausliefern oder eine klare Verletzung der Verpflichtungen gegenüber dem Internationalen Strafgerichtshof riskieren“, so Goldmann gegenüber dem Medium, das von der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegeben wird.
Jede Reise nach Deutschland oder in andere EU-Staaten könnte man als Test verstehen, ob die Vertragstreue gegenüber dem Strafgerichtshof Bestand habe, erklärt er weiter.
Er hält es für problematisch, wenn Mitgliedstaaten den Haftbefehl systematisch ignorieren würden und er weiterhin unbehelligt reisen könnte.
„Das könnte die Glaubwürdigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs erheblich beschädigen“, so Goldmann, Professor für Internationales Recht an der EBS Universität.
Deutschland verpflichtet, Netanjahu festzunehmen?
Eine der zentralen rechtlichen Fragen ist, ob Deutschland verpflichtet wäre, den israelischen Regierungschef bei der Einreise festzunehmen.
Denn grundsätzlich genießen Regierungschefs Immunität. Doch es gebe laut Goldmann Ausnahmen für internationale Strafgerichte. Dabei könne es eine Rolle spielen, dass Israel genau wie rund 40 Prozent aller Staaten kein Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofes ist. Daher sei eine der diskutierten Fragen, ob diese Ausnahmeregel auch für Staaten gelte, die nicht dem Gerichtshof angehören.
Allerdings gibt es auch die Ansicht, dass bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit es generell keine Ausnahmeregelung geben solle und damit auch keine Immunität. Die Rechtslage sei dazu nicht vollständig geklärt, so Goldmann. Deutschland als Mitgliedstaat des Internationalen Strafgerichtshofes müsse Netanjahu eigentlich festnehmen und überstellen.
Grundsätzlich werden am IStGH nur Verfahren bei persönlicher Anwesenheit des Angeklagten durchgeführt. Das heißt, solange der israelische Regierungschef nicht festgenommen wird, wird es kein Verfahren in Den Haag gegen ihn geben.
(Mit Material der Nachrichtenagenturen)
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