Keine Kappung von Direktmandaten mehr: Union macht Ende der Wahlrechtsreform zur Koalitionsbedingung

Die Union macht die Rücknahme der Reform des Wahlrechts für den Bundestag zur Bedingung für eine Regierungsbeteiligung. Kritik übt sie am möglichen Wegfall von Direktmandaten, eine Verkleinerung des Parlaments soll nach dem Willen von CDU und CSU über weniger und größere Wahlkreise erfolgen.
Der Terminkalender für die Parteien bis zur vorgezogenen Neuwahl des Bundestags am 23. Februar ist eng. (Illustration)
Bis zur vorgezogenen Neuwahl des Bundestags am 23. Februar ist noch einiges zu tun.Foto: Anna Ross/dpa
Von 11. Dezember 2024

Obwohl die Union in jüngsten Umfragen an Boden verloren hat, spricht vieles dafür, dass sie Teil der nächsten Bundesregierung sein wird. Unter den Ampel-Gesetzen, die CDU und CSU in jedem Fall zurücknehmen wollen, ist auch die im März 2023 beschlossene Wahlrechtsreform. Deren Ziel war es, die Ausuferung des Parlaments infolge von Überhang- und Ausgleichsmandaten zu beenden. Die Ampel hat das neue Wahlrecht 2023 beschlossen, das Bundesverfassungsgericht hat die meisten Änderungen als verfassungskonform akzeptiert.

Unions-Fraktionsvize Johann Wadephul nannte die Rücknahme der Wahlrechtsreform in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ) eine „conditio sine qua non“ für einen Koalitionseintritt.

Worum es bei der Wahlrechtsreform ging

Nach dem zuvor geltenden Wahlrecht, das 2002 erstmals zur Anwendung kam, sollte das Bundesparlament 598 Abgeordnete umfassen. In der Realität war davon bald nichts mehr zu bemerken. Hatte der Bundestag nach den Wahlen von 2002 noch 603 Sitze aufgewiesen, stieg diese Zahl stetig an. Im Jahr 2013 zogen bereits 631 Abgeordnete ein, 2017 waren es schon 709.

Nach der Wahl des Jahres 2021 war mit 736 Abgeordneten der historische Höchstwert erreicht. Mittlerweile ist die Zahl auf 733 geschrumpft. Die FDP büßte nach der Wiederholungswahl in Berlin im Februar 2024 ein Mandat ein. Die CSU-Politiker Andreas Scheuer und Stefan Müller legten im Frühjahr ihre Mandate zurück.

Der Hauptgrund für den stetigen Zuwachs an Mandaten ist die größere Anzahl an Parteien, die in den Bundestag kommen. Vorgesehen ist die Wahl von 299 Erststimmenmandaten in den Wahlkreisen, dazu kommen 299 Listenmandate. Dem Bundeswahlgesetz zufolge sind jedoch ausschließlich die Zweitstimmenergebnisse für die Verteilung der Sitze relevant.

Allerdings erzielen die größeren Parteien häufig mehr Erststimmenmandate, als ihnen insgesamt Sitze aufgrund ihres Zweitstimmenanteils zustünden – bei den überzähligen handelt es sich um die „Überhangmandate“. Um die dem bundesweiten Zweitstimmenergebnis entsprechende Gesamtsitzverteilung wiederherzustellen, müssen in solchen Fällen zusätzliche Mandate vergeben werden. Dabei handelte es sich um die sogenannten Ausgleichsmandate.

Union erhielt mehrere billige Mandate in ostdeutschen Städten

Die Ampel wollte dem Wildwuchs ein Ende bereiten – durch eine radikale und ausnahmslose Begrenzung des Bundestages auf 630 Abgeordnete. An der Zweitstimmenregel wurde dabei nichts verändert. Allerdings sollten Parteien nur noch so viele Direktmandate besetzen können, wie es ihrem Zweitstimmenanteil entspräche. Dies nennt sich „Zweitstimmendeckung“.

Die Konsequenz daraus wäre, dass beispielsweise eine Partei, die 140 Direktstimmkreise gewänne, der aber aufgrund der Zweitstimmenverteilung nur 122 zustünden, auf 18 Direktmandate verzichten müsste. Betroffen wären dabei jene Stimmkreise mit den „billigsten“ Direktmandaten.

Im Jahr 2021 waren dies häufig städtische Wahlkreise in Ostdeutschland. So reichten im Stimmkreis Dresden II-Bautzen II 18,65 Prozent der Erststimmen für den Gewinn des Direktmandats, in Leipzig I waren es 20,53 Prozent. Mandate wie diese könnten bei der bevorstehenden Wahl in Gefahr sein. Auch eine Partei wie die CSU, die lediglich in Bayern kandidiert und regelmäßig eine erhebliche Anzahl an Überhangmandaten gewinnt, wäre im Nachteil.

Bundesverfassungsgericht akzeptiert Kappungsgrenze – aber nicht Ende des Grundmandats

Das Bundesverfassungsgericht hat eine an der Gesamtgröße des Parlaments ausgerichtete Kappungsgrenze für Direktmandate für zulässig erklärt. Wadephul hingegen betont:

„Wenn eine im Wahlkreis demokratisch gewählte Person am Ende nicht in den Bundestag kommt, werden sich viele Wähler und Wahlkämpfer geleimt fühlen.“

Für verfassungswidrig erklärt haben die Richter in Karlsruhe hingegen eine Neuerung, die den Wegfall der derzeit geltenden Grundmandatsklausel vorsah. Diese bedeutete, dass eine Partei nur dann an der Mandatszuteilung teilnehme, wenn sie bundesweit mehr als fünf Prozent der Zweitstimmen erziele.

Hätte der Stimmenanteil der CSU dafür beispielsweise nicht mehr ausgereicht, und 2021 kam die Partei nur noch auf 5,2 Prozent, wäre sie nicht mehr vertreten gewesen. Auch die Linkspartei hätte sich nicht mehr durch drei Direktmandate ihren Verbleib im Bundestag sichern können.

Union will Wahlkreise neu zuschneiden

Im Jahr 2025 muss die Grundmandatsklausel nach dem Spruch des Bundesverfassungsgerichts in Geltung bleiben. Das bedeutet, dass jede Partei, der es gelingt, mindestens drei Direktmandate zu erringen, auch entsprechend ihres Zweitstimmenanteils im Parlament vertreten sein wird. Die Kappungsgrenze ist in diesem Fall nicht relevant.

Dies könnte zu Konstellationen führen wie jenen, dass die Linke dank eines mit knapp über 20 Prozent erlangten Direktmandats in Leipzig II (und zwei weiteren in Berlin) wieder im Bundestag vertreten wäre. Hingegen könnte ein Mandat wie das von Gunther Krichbaum (CDU) in Pforzheim mit 28,48 Prozent unter die Kappungsgrenze fallen.

Um die Zahl der Abgeordneten wirksam zu senken, schlägt die Union weniger, dafür größere Wahlkreise vor. Sollte sie Teil der nächsten Regierung werden, hätte sie einige Zeit, um diese neu zu definieren und zuzuschneiden. Ab 2025 wird die Legislaturperiode um fünf Jahre verlängert.

Grabenwahlrecht oder Mehrheitswahlrecht als mögliche Alternativen

Anstelle der Anrechnung der Direktmandate auf die Zweitstimmenverteilung könnte auch ein vollständig getrenntes System Anwendung finden, das sogenannte Grabenwahlrecht. Wäre 2021 auf dessen Basis gewählt worden, würde sich die Mandatsverteilung bei identischem Stimmverhalten wie folgt unterscheiden: Die SPD käme auf 252 Sitze (plus 46 gegenüber dem Ist-Zustand). Die Union wäre mandatsstärkste Partei mit 275 Sitzen (plus 78), die Grünen kämen auf 78 (minus 40), die FDP auf 46 (minus 46) und die AfD auf 61 (minus 22). Die Linke hätte 23 Sitze erlangt – vor der Abspaltung des BSW waren es 39. Der SSW bliebe bei einem Sitz.

Ein reines – relatives – Mehrheitswahlrecht hätte bei 299 Stimmkreisen 121 Sitze für die SPD, 98 für die CDU, 45 für die CSU, jeweils 16 für Grüne und AfD sowie drei für die Linke ergeben. FDP und SSW hätten keine Mandate erzielt. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lässt jedoch Zweifel offen, ob ein solches in Karlsruhe Bestand hätte. Der Anteil der Wähler, deren Stimme keine Berücksichtigung fände, könnte zu hoch sein. Außerdem würde Karlsruhe an der Benachteiligung kleiner Parteien Anstoß nehmen. Unklar wäre, ob ein absolutes Mehrheitswahlrecht mit Stichwahl oder ein gemischtes System wie in Frankreich Bestand hätte.

Direkt gewählte Abgeordnete bürgernäher als Listenkandidaten?

Befürworter eines Mehrheitswahlrechts vertreten die Auffassung, dass direkt gewählte Abgeordnete sich um mehr Bürgernähe bemühen müssen als Abgeordnete, die über Parteilisten ins Parlament gelangen. Die Persönlichkeit des Abgeordneten würde dann eine größere Rolle spielen als die Hausmacht in der Partei.

Inwieweit die politische Praxis in Deutschland dies widerspiegelt, ist strittig. In der Öffentlichkeit als besonders kontrovers wahrgenommene Politiker finden sich sowohl unter direkt gewählten als auch unter Listenabgeordneten. Dass das Splitting von Erst- und Zweitstimme stetig zunimmt, spricht für eine erhöhte Aufmerksamkeit von Wählern hinsichtlich der Erststimme. Andererseits gab es selbst in jüngerer Zeit auch Fälle, da langjährig vor Ort präsente und bekannte Wahlkreisabgeordnete ihr Mandat an Kandidaten verloren, die nicht einmal im Wahlkreis ansässig waren.

 



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