Kein Tilgungsplan: Bundesrechnungshof befürchtet hohe Belastungen wegen Corona-Fonds

Hohe Schulden, aber weder Tilgungsplan noch Vorkehrungen für den Fall einer Zinserhöhung: So wurde in Brüssel das 800 Milliarden Euro schwere Corona-Wiederaufbauprogramm „Next Generation EU“ gestrickt. Nun warnt der Bundesrechnungshof vor immensen Kosten durch eine erstreckte Rückzahlung.
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Eine Außenansicht des Bundesrechnungshofes in Bonn, Deutschland.Foto: Andreas Rentz/Getty Images
Von 30. Juni 2024

Der Corona-Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“ könnte für Haushaltspolitiker der nächsten Jahrzehnte zu einem erheblichen Belastungsfaktor werden. Dies geht aus einem aktuellen Bericht des Bundesrechnungshofs hervor.

Der Schuldendienst aufgrund des Programms werde zu einer erheblichen Herausforderung für die EU-Mitgliedstaaten – und je länger die Rückzahlung erstreckt werde, umso stärker werden die nationalen Haushalte damit belastet.

Bundesrechnungshof beklagt schwere Fehler bei Konzeption

Den Rechnungsprüfern ist bei ihrer Analyse der finanziellen Belastungen durch „Next Generation EU“ aufgefallen, dass im Zusammenhang mit der Ausgabe von Anleihen zwei folgenschwere Entscheidungen getroffen wurden.

Zum einen wurde kein konkreter Tilgungsplan für die daraus resultierenden Verbindlichkeiten aufgestellt. Zum anderen wurde offenbar kein Plan B für den Fall steigender Zinssätze aufgestellt. Dabei hatte in der Corona-Zeit noch die Nullzinspolitik der EZB gegolten.

Preisangepasst beträgt das Volumen des EU-Coronafonds derzeit 812,1 Milliarden Euro. Von diesen sind 421,1 Milliarden Euro, die auf Antrag an die Mitgliedstaaten verteilt werden. Wie die „Welt“ berichtet, sind bis dato 274,9 Milliarden Euro davon abgerufen worden. Die Frist für die Beantragung ist nach derzeitigem Stand 2026. Deutschland hat bislang selbst erst einen Bruchteil der ihm zustehenden Mittel in Anspruch genommen.

Bezüglich der Rückzahlung der Anleiheschulden hat Deutschland 24 Prozent davon zu tragen. Der vorgesehene Tilgungszeitraum für den EU-Haushalt erstreckt sich von 2028 bis 2058. Dass die erste Tilgungsrate für die Finanzierung von „Next Generation EU“ 2028 fällig wird, steht fest, noch nicht jedoch, in welcher Höhe das sein wird.

Frühe Tilgung könnte Gesamtbelastung im Rahmen halten

Den Berechnungen des Bundesrechnungshofs zufolge ergibt sich ein erheblicher Unterschied, je nachdem, ob eine frühzeitige oder späte Tilgung erfolgt. Im erstgenannten Fall sei von nominal mindestens 574 und im letztgenannten von maximal 752 Milliarden Euro auszugehen. Je nach Szenario würden mindestens 138 bis maximal 180 Milliarden Euro auf den Bundeshaushalt entfallen.

Dies bedeutet, dass nur eine möglichst schnelle Tilgung auf EU-Ebene die Belastung im Rahmen zu halten vermag. Dagegen wehren sich jedoch die Sozialdemokraten auf EU-Ebene, aber auch die Ampelkoalition. Diese hatte bereits eine Erstreckung der 2020 aufgenommenen 42 Milliarden Euro für nationale Corona-Hilfen veranlasst. Ursprünglich sollten diese Mittel ab 2023 über 20 Jahre zurückgezahlt werden.

Der zuständige Unterausschuss für EU-Fragen will sich nach der Sommerpause mit dem Bericht des Rechnungshofs befassen. Die Erstreckung der Tilgung verschafft dem derzeit ohnehin stark unter Druck stehenden Haushalt Spielräume, perspektivisch steigen aber die Gesamtkosten.

Lindner optimistisch bezüglich nationaler Corona-Verbindlichkeiten

Bundesfinanzminister Christian Lindner geht davon aus, dass Deutschland bei einer soliden Haushaltsführung zumindest die Konditionen zur Tilgung seiner eigenen Corona-Schulden zu seinen Gunsten verändern könne. Ab 2028 soll diese Platz greifen. Der Minister meint, allein dadurch bereits neun Milliarden Euro in den Verteidigungshaushalt umschichten zu können.

Der Bund selbst habe in den Corona-Jahren und 2022 insgesamt knapp 300 Milliarden Euro an Notlagenkrediten aufgenommen. Diese sind planmäßig ab 2028 über 30 Jahre mit einer jährlichen Tilgung von neun Milliarden Euro zurückzubezahlen.

Lindner sieht den Weg zur Eröffnung neuer Spielräume nun in der Rückkehr des Haushalts zu den Maastricht-Kriterien. Diese sehen vor, dass der Schuldenstand der öffentlichen Haushalte 60 Prozent der Wirtschaftsleistung nicht überschreiten dürfe. Derzeit liege die Quote bei 63 Prozent.

Bundesrechnungshof äußerte bereits 2021 Bedenken

Auf einige der im Bericht angesprochenen Risiken hatte der Bundesrechnungshof auch schon 2021 hingewiesen. Damals hatte man eine Minimierung der Haftungsrisiken und eine Anwendung zentraler Fiskalregeln auf den Wiederaufbaufonds angemahnt.

Das Bundesverfassungsgericht hatte zwar eine deutsche Beteiligung im Eilverfahren zugelassen, sich jedoch eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit vorbehalten.

Ausdrücklich stellte man dabei das Risiko in den Raum, dass der Umfang des Schuldendienstes und des deutschen Anteils daran die eigene Haushaltshoheit infrage stellen könnte. Experten sprachen in den Verhandlungsterminen jedoch von überschaubaren Belastungen und jährlichen Mehrausgaben von drei bis vier Milliarden Euro.

Der Bundesrechnungshof zeigte sich daraufhin beruhigt, befürchtete aber dennoch, dass das Programm kein Einzelfall bleiben könnte. Die Bundesregierung betonte, es sei in der Corona-Situation erforderlich gewesen, ein gemeinsames Programm aufzusetzen, um besonders stark betroffene Länder wie Italien oder Spanien zu stabilisieren. Das Bundesverfassungsgericht urteilte daraufhin, eine deutsche Beteiligung sei zulässig.

Im aktuellen Bericht des Bundesrechnungshofs wird davon ausgegangen, dass die Belastung des Bundeshaushalts mit der Tilgung über 30 Jahre hinweg im Durchschnitt zwischen 4,6 und sechs Milliarden Euro pro Jahr beträgt.

Voraussetzung dafür ist, dass alle Zuschüsse in Anspruch genommen werden. Dass dies der Fall sein wird, ist wahrscheinlich, da es in den Mitgliedsländern einen entsprechenden politischen Druck gibt.

Der Rechnungshof geht davon aus, dass schon derzeit nur etwa zehn Prozent der Haushaltsposten disponibel sind, also mehr oder minder flexibel verplanbar sind. Er geht davon aus, dass die Bundeshaushalte perspektivisch immer stärker durch gesetzliche Verpflichtungen festgelegt sein werden. Dies resultiere insbesondere aus Zahlungsverpflichtungen aus dem Sozialbereich.



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