Kein Platzhirsch

Gespräch mit Herwig Mitteregger über pures Leben und fremd sein
Titelbild
Herwig Mitteregger (54) und seine Frau Marion (47) lebten zehn Jahre in Spanien. Oben: Mittereggers neue CD Insolito. (privat)
Epoch Times16. Juli 2008

„So schreib‘ Dein Leben auf ein Stück Papier und warte bis die Zeit vergeht. Déjà-vu – Déjà-vu.“
Viel Zeit ist vergangen, seit das Lied „Déjà-vu“ der deutschen 80er-Band „Spliff“ ein Hit war: 26 Jahre. Herwig Mittergger (54), Drummer und einer der drei Sänger von Spliff, hat in dieser Zeit viele Jahre auf dem Land in Spanien gelebt – umgeben von Mandelbäumen, wo es mehr Tiere als Menschen gibt.

Mitteregger: Mit 35 kaufte ich die Hütte dort, und wir hatten eigentlich vor, nur ein Jahr zu bleiben. Daraus sind 21 geworden. Vor zwanzig Jahren ging es schon los, dass wir unsere freie Zeit hauptsächlich dort verbrachten und das Haus ausbauten. Nach zehn Jahren zogen wir komplett nach Spanien um.

ETD: Seit zwei Jahren wohnst Du mit Deiner Frau und Deinem Sohn in Hamburg. Was hat Dir in Spanien gefehlt?

Mitteregger: Unterm Strich waren es wohl die sozialen Kontakte zu Menschen aus der eigenen Kultur. So blöd wie das jetzt klingt: Mittlerweile glaube ich, dass verschiedene Kulturen sich zwar ganz nett mit anderen verständigen können, aber eigentlich ist es wichtig, zu seinem eigenen Kulturkreis zurückgehen zu können und dort ein Nest zu haben. Weil Du es zum Beispiel nicht leugnen kannst, dass Du Dich sehr wohl fühlst, wenn Du Deine Muttersprache sprichst.

ETD: Dazu gehören auch die Scherze, die man nur mit der eigenen Sprache machen kann.

Mitteregger: Und Dialekt. Bei Spliff sprachen wir auch sehr viel Dialekt. Einer kam aus Würzburg, der andere aus der Nähe von Fulda, ich kam aus Österreich und habe im Rheinland und in Hamburg gelebt, bevor ich nach Berlin kam. Ich hatte die beiden Dialekte schon gut drauf (spricht jetzt Berlinerisch) und dann war da einer, das war so ‘n richtiger Berliner und hat uns das dann beigebracht. Oder wir sprachen mal eine halbe Stunde bloß Kölsch (was jetzt Kölsch klang) – aus einer Spiellaune heraus. Dann geht man ins Ausland und kann die Späßchen nur noch mit seiner Frau machen. Das machten wir auch oft – aber auf eine Person begrenzt, das ist nicht das Gleiche, wie wenn man hier in Hamburg ist: Man ist wieder voll drin.

ETD: Du bist sprachbegabt, Spanisch zu sprechen war sicher kein Problem für Dich.

Mitteregger: Das ist vielleicht mal ganz lustig, aber gegen Nachmittag wird das dann schon schwieriger: Als wir vor 20 Jahren das Grundstück dort kauften, machten wir auch gleich einen Intensivkurs in Hochspanisch. In den 90er Jahren fingen die Katalanen um Barcelona herum dann an, Unabhängigkeit zu fordern. Plötzlich waren die Straßenschilder auf Hochspanisch weg, dafür standen dort welche auf Valencianisch. Katalanisch wurde dann Landessprache. Mir persönlich wurde das irgendwann zu viel. Ich habe nicht mehr eingesehen, dass ich so viel Zeit investieren muss, um Sprachen zu lernen. Ich wollte weiter Musik machen. Stattdessen war ich ständig auf der Suche im Wörterbuch „Katalanisch-Spanisch“.

ETD: Euer Sohn Simon ist dort geboren, wie kam er damit zu recht?

Mitteregger: Der hatte im Alter von drei Jahren schon vier Sprachen am Hals. Wir wohnten sehr isoliert: Weit und breit keine Kinder. Damit er ein soziales Wesen wird, ging er in den Kindergarten und dann in die Vorschule. Dort wurde katalanisch und hochspanisch gesprochen, sehr viele Engländer waren da, also auch Englisch, und zu Hause hatte er als vierte Sprache Deutsch. Er lernte immer fleißig, für ihn war es o.k. Er hat jetzt immer noch den spanischen Akzent. Aber er fühlt sich jetzt in der Schule in Deutschland viel wohler. Er hat sehr viele Freunde und kann alle zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichen. In Spanien musste er immer mit dem Wagen in die Schule gebracht werden. Fahrradwege gibt es da nicht. Kommt ein Auto entgegen, musste man sich schon mal volle Lotte aufs Feld schmeißen.

ETD: Wie geht es Dir selbst in Hamburg?

Mitteregger: Es macht Spaß hier! Ich vermisse hier nichts. Naja, ich habe ein kleines Studio zu Hause und das andere ist in Spanien. Das ist anstrengend, weil man ständig hin- und hergurken muss. Außerdem ist man immer sieben bis zehn Tage von seiner Familie getrennt. In der Schule müssen laufend neue Entscheidungen getroffen werden – hier ist ja alles komplett im Umbruch. In der Vaterrolle ist man ständig gefordert. Bei der Familie zu sein ist mir auch wichtig.

ETD: Wichtiger als eine große Karriere?

Mitteregger: Man muss nicht immer so tun als müsste man ganz viel Geld verdienen. Man kann ja auch den Mittelweg gehen oder auch den unteren Mittelweg. Mit wenig Geld bin ich schon glücklich. Wir müssen auch nicht mit dicken Autos durch die Gegend fahren. Die Art von Luxus, an die sich die westlichen Industrienationen gewöhnt haben, brauche ich überhaupt nicht. Die zehn oder zwanzig Jahre in Spanien haben mich schon geprägt. Das kommt auch nicht von ungefähr: Meine ersten sechs Lebensjahre habe ich in Österreich auf einem sehr abgeschiedenen Bergbauernhof verbracht. Meine Mutter hat elf Geschwister, jeder hat eine Familie, das ist ein richtiger Clan dort. Das Landleben ist pur: Es geht um frische Luft, es geht um gutes Wasser, es geht um Zeit, es geht um Raum. Wenn du diese vier Komponenten hast, dann kannst Du Dich glücklich schätzen, dann hast Du den Luxus der Welt.

ETD: Wofür in Deinem Leben bist Du besonders dankbar?

Mitteregger: Ich bin eigentlich komplett dankbar für das ganze Leben. Es ist bis jetzt ein durchgehend spannendes Erlebnis gewesen.

ETD: Du selbst bist auch schon mit sechs Jahren in ein anderes Land umgezogen. Hat Dich das geprägt?

Mitteregger:
Ich weiß nur, dass das Leben damals nicht immer besonders angenehm war. Ich musste mich mit einem Stiefvater auseinandersetzen, der austillte, das wünsche ich keinem. Kinder, die früh solche Erfahrungen machen, werden keine Mainstream-Erwachsene. Man muss etwas dafür tun, dass es einem gut geht, sonst neigt man dazu, die schlechten Erfahrungen aus der Kindheit zu wiederholen. Zum Beispiel war ich ein Gegner von Drogen, hatte mir aber als junger Rock ‘n‘ Roller manchmal mit Alkohol richtig die Kante gegeben. Anschließend fühlte ich mich so mies, wie ich diesen Kerl damals mies fand. Solche Dinge muss man relativieren. Man muss es wollen – sehr viele wollen das gar nicht. Man muss ständig reflektieren: Warum mache ich das und wo soll es hingehen?

ETD: Reflektieren ist ja nicht jedermanns Sache. Wenn man nach zehn Jahren seine früheren Kontakte wiedertrifft, kann man sich ganz schön auseinander entwickelt haben.

Mitteregger: Ich kenne natürlich viele Musiker. Bei Musikern ist das etwas Anderes: Wir reden immer offen miteinander und es ist immer als hätte man sich gestern erst gesehen, selbst wenn es vor fünf Jahren war. Das sind auch alles sehr nachdenkliche Jungs.

ETD: Kannst du Dir vorstellen, mit der Musik aufzuhören?

Mittergger: Undenkbar! Für mich ist das ein Bedürfnis. Ich muss mich ab und an an das Klavier setzen und irgendetwas spielen -, ohne dass ich jetzt einen Song schreiben will: das braucht die Seele.

ETD: Insolito heißt Deine neue Solo-CD. Das bedeutet auf Deutsch: außergewöhnlich, fremd. Einerseits ist Deine Musik ja – im Vergleich zu dem was im Radio gespielt wird –
anders. Hat das Fremde und Außergewöhnliche auch mit Deinem Leben zu tun?

Mitteregger: Ja, sich fremd zu fühlen. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt. Das ist ja auch gar nicht so schlecht. Besser als wie ein Platzhirsch aufzutreten, finde ich. Vorsichtig genießen und gucken: Was ist hier los? So haben wir das in Spanien zumindest gemacht und das kam bei den Leuten sehr gut an. Sie haben uns nämlich sehr schnell akzeptiert. „Ihr seid doch ìntegrado“, also integriert, „was wollt ihr denn?“ fragten sie, wenn wir erzählten, dass wir Sehnsucht nach zu Hause hatten. Wir feierten Feste mit ihnen, aber wir haben uns nie erlaubt, ihnen Ratschläge zu geben oder ihnen zu sagen: „bei uns (in Deutschland) machen wir das aber so.“

Die Fragen stellte Heike Soleinsky.

Text erschienen in Epoch Times Deutschland Nr. 29/08



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